Luis Sellano – Portugiesisches Erbe (Buch)
Auftakt der Henrik-Falkner-Reihe
Henrik Falkners Leben liegt in Scherben, nachdem dieser vor zwei Jahren seine Frau durch einen tragischen Verkehrsunfall verloren hat. Henrik, Mitte 30, hat seinen Job als Polizist hingeschmissen und sieht einer ungewissen Zukunft entgegen, denn ein in Aussicht stehender Job erscheint ihm nur eine finanzielle Notlösung zu sein. Umso überraschter erreicht Henrik die Nachricht, dass ihm Martin, der Bruder seiner Mutter, eine Erbschaft in Lissabon hinterlassen hat. Martin wurde vor langer Zeit aus der Familie verstoßen, Henrik lernte ihn nie kennen. In Lissabon angekommen, erfährt er, dass Martin an einem Herzinfarkt verstorben sei und Henrik sein Haus mit dazu gehörigen Antiquariat vererben möchte. Voraussetzung: Henrik darf das Haus nicht veräußern.
Als Henrik vor dem leicht heruntergekommenen Gebäude steht, stellt er überrascht fest, dass das Geschäft noch in Betrieb ist. Catia, eine Angestellte, die schon seit zwei Monaten kein Gehalt mehr gesehen hat, macht einfach weiter. Henriks Auftritt beunruhigt nicht nur sie, sondern auch die übrigen Bewohner; eine illustre, finanziell abgebrannte Hippie-Kommune. Kaum hat sich Henrik sein vermeintlich neues Zuhause angesehen, erhält er Besuch von einem Anwalt, dessen ungenannter Mandant das Haus erwerben möchte. Über eine Millionen Euro wären zu haben. Noch am gleichen Tag versucht sich Henrik über die finanzielle Lage einen Überblick bei der Steuerberaterin Adriana Teixeira zu verschaffen. Auf dem Rückweg wird er beinahe von einem Mercedes überfahren, wenig später sein Mieter Renato Fernandes brutal zusammengeschlagen. Henrik ahnt, dass die Vorfälle zusammenhängen; sein alter Polizeiinstinkt ist wiedererwacht.
„Er besaß eine gute Ausbildung, aber vor allem hat er zugehört. Er hat dem Fado der Stadt gelauscht, den ewigen Liedern von Sehnsucht und Leid. Der Saudade, wie man bei uns sagt.“
„Saudade?“
„Die portugiesische Form von Weltschmerz, wenn du so willst. Traurigkeit, Wehmut, sanfte Melancholie bis hin zur Verzweiflung.
Im Antiquariat stößt Henrik auf einen alten Stadtplan, in dem ein Nagel steckt. Sollte ihm sein Onkel einen geheimen Auftrag erteilt haben, diesen Ort aufzusuchen? Henrik stößt auf eine alte, abgebrannte Villa, in deren Keller er mehrere Weinfässer findet. Nur enthalten diese keinen edlen Tropfen, sondern Kinderleichen.
Harte Action, schöne Stadt
Luis Sellano, dessen siebenter Lissabon-Krimi für April dieses Jahres angekündigt ist, sorgt aktuell unter dem Namen Max Korn für Aufsehen („Talberg 1935“ und „Talberg 1977“ sind bereits erschienen, der letzte Band „Talberg 2022“ folgt im Mai dieses Jahres). Dabei haben Luis Sellano und Max Korn eines gemeinsam, denn sie sind Pseudonyme des Schriftstellers Oliver Kern, einigen bekannt durch seine Fellinger-Reihe.
Zurück zum vorliegenden Roman, der den Auftakt der Henrik-Falkner-Reihe bildet und im Untertitel als „Lissabon-Krimi“ angepriesen wird. Nicht zu Unrecht, denn die Stadt am Rio Tejo spielt eine nicht unmerkliche Rolle. Man merkt dem Autor jedenfalls an, dass er die Stadt liebt und schon oft besucht haben muss, denn diese bildet einen omnipräsenten und stimmungsvollen Hintergrund. Der hier erstmals auftretende Protagonist hat es aufgrund seines privaten Verlustes nicht einfach und benötigt einige Zeit, um sich auf die neue Umgebung und die damit verbundenen Fallstricke einzustellen. Zur Hilfe kommt ihm dabei die Tatsache, dass offenbar fast alle Einheimischen gut englisch sprechen. Luis Sellano lässt Henrik viel Zeit mit seinen eigenen Problemen, was den Einstieg in die Krimihandlung etwas in die Länge zieht, gleichwohl aber auch sehr authentisch wirkt.
„Arger?“
„Ja. Macht den größten Teil meines Erbes aus.
Nach rund einem Viertel des Buches zeigt der Autor, dass er auch Action kann, denn nachdem Henrik erkannt hat, dass sein Onkel sein Antiquariat dazu nutzte, Gegenstände zu sammeln, die in Zusammenhang mit nicht gelösten Kriminalfällen stehen, sieht der Held wider Willen sich diversen Auseinandersetzungen gegenüber. Jedenfalls muss er reichlich Prügel einstecken und entdeckt erst nach und nach, was es mit den Kinderleichen auf sich hat. Da sitzt ihm schon längst die einflussreichste Familie der Stadt im Nacken. Hilfe findet Henrik gleich bei drei Frauen, die ihm zur Seite stehen. Die Steuerberaterin Adriana, die Ärztin Dr. Mora und die Polizistin Helena Gomes, die ihm nach anfänglichen Schwierigkeiten umso ehrgeiziger unterstützt. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre verschwanden mehrere Kinder aus einem Institut zur Erforschung von Entwicklungsstörungen bei Kindern; darunter Helenas Bruder.
Portugal-Fans und Freunde fauststarker Action dürfen zugreifen, aber auch alle anderen Krimifans finden hier einen guten Serienauftakt mit einer Hauptfigur, die mit zunehmender Handlung aus ihrer inneren Erstarrung erwacht und trotz einer gewissen Sturheit immer sympathischer wird.
- Autor: Luis Sellano
- Titel: Portugiesisches Erbe
- Verlag: Heyne
- Umfang: 368 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juni 2016
- ISBN: 978-3-453-41944-5
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Wertung: 12/15 dpt