Charlotte McConaghy – Zugvögel (Buch)


Charlotte McConaghy – Zugvögel (Buch)

Charlotte McConaghy - Zugvögel (Cover © S. Fischer Verlage)
Cover © S. Fischer Verlage

Franny hat es sich in den Kopf gesetzt, mit einem Schiff den letzten Küstenseeschwalben auf ihrem Weg nach Süden zu folgen. Der Roman spielt in einer Zukunft, in der Klimawandel und Artensterben deutlich ihr zerstörerisches Gesicht zeigen. Die meisten Wildtiere sind mittlerweile ausgestorben, auch fast alle Vogelarten, die es der Protagonistin besonders angetan haben. Franny überredet den Kapitän eines Fischerbootes, sie auf ihre Reise mitzunehmen, was sie in eine Zwickmühle bringt: Sie verabscheut das Fischen, welches durch die leer gefischten Meere sowieso keine Zukunft mehr hat, freundet sich aber mehr und mehr mit der Besatzung an. Die Fahrt ist für alle Beteiligten ein verzweifelter Versuch, an etwas festzuhalten. Für Franny bedeutet es auch, sich endlich ihrer Vergangenheit und sich selbst zu stellen.

Das Artensterben ist eins der zentralen Themen des Romans, um das sich die Haupthandlung, aber auch die Beziehung von Franny und ihrem Mann Niall dreht. Erfrischenderweise ist es auf sehr organische Art in die Geschichte eingearbeitet und geht einem als Leser*in gerade dadurch unter die Haut. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass diese Welt bald unsere Welt sein könnte. Sätze wie der von Niall sind heute schon so relevant wie sie nur sein können:

Unsere Machthaber sind zu dem Schluss gekommen, dass Wirtschaftswachstum wichtiger ist. Das Artensterben erscheint ihnen als akzeptabler Preis für ihre Habgier.

Trotzdem ist die Geschichte Frannys Geschichte. Wir folgen ihr auf ihrer Reise den Zugvögeln hinterher und bekommen immer wieder kleine Einblicke in ihre Vergangenheit. Dabei sehen wir schnell, wie sehr sie von Schuldgefühlen und selbstzerstörerischen Tendenzen beherrscht wird.

Hat er irgendwie gewusst, dass ich schon ewig auf jemanden warte, der mich in Stücke haut, den Abriss übernimmt, damit ich das nicht immer selber machen muss?

Zu Anfang weiß man noch nicht, wo diese herkommen und oft scheint auch ihre radikale Handlungsweise nicht ganz nachvollziehbar. Je mehr man aber über ihr Leben erfährt, desto mehr versteht man auch ihre Motive und ihre Verzweiflung, gewinnt Respekt vor ihrer Entschlossenheit und Resilienz. Sie ist hin- und hergerissen zwischen einer Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit und einem tiefen Bedürfnis nach Freiheit und Wildheit. 

Ich habe ja selbst nie herausgefunden, wie man zuverlässig sein kann und gleichzeitig frei.

Neben Franny lernt man noch weitere interessante Charaktere kennen, die allerdings stellenweise etwas kurz kommen. Der Roman ist aus der inneren Perspektive der Protagonistin geschrieben und so erfährt man über andere nur, was diese auch wahrnimmt. Da Franny aber hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, ist das oft recht wenig. Das ist schade, gerade wenn man als Leser*in gerne mehr über ihre Mitmenschen erfahren möchte. So wird einem allerdings ein sehr immersiver Einblick in Frannys Inneres gewährt und man hat das Gefühl, die Welt mit ihren Augen sehen zu können. 

Charlotte McConaghy hat mit “Zugvögel” einen bewegenden Roman über Verlust, Sehnsucht, Getriebensein, Liebe und Freiheit geschrieben. Es ist ein Buch über eine Frau, die verzweifelt nach Nähe und ihrem Platz in der Welt sucht. Die viel verloren hat und sich selbst nicht viel zugesteht, die ihre Chance auf Glück oft selbst zerstört. Und die doch wieder und wieder etwas findet, woran sie sich festhalten kann.

Meine Seeschwalbe erhebt sich als Erste. Inzwischen nenne ich sie nur noch ‘meine’, denn sie hat sich in mich hineingebohrt und ihr Nest in meinem Brustkorb gebaut.


Wertung: 12/15 dpt

  • Autor: Charlotte McConaghy
  • Titel: Zugvögel
  • Originaltitel: Migrations
  • Übersetzer: Tanja Handels
  • Verlag: S. Fischer Verlage
  • Erschienen: 09/2021
  • Seiten: 400
  • ISBN: 978-3-596-70520-7
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten

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