Der Roman hinter dem Roman
Bücher entstehen nicht im luftleeren Raum. Denn Bücher werden von Menschen gemacht. Biographie und Zeitgeschichte fließen immer in einen Text mit ein. Oft sind die Hintergründe nicht weniger spannend als das Werk selbst. So hat die Geschichte hinter dem Welterfolg „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada den Journalisten Oliver Teutsch zu einem eigenen Roman inspiriert. Dieser ist nun im Januar 2022 im Dielmann-Verlag erschienen.
Teutsch versetzt seine Leser*innen in das Berlin von 1945. Die Stadt ist ein Trümmerhaufen, auch das kulturelle Leben liegt am Boden. Die meisten namhaften Künstler*innen wurden von den Nazis ermordet oder ins Exil vertrieben. Wer geblieben ist, hat sich aus der Öffentlichkeit zurück gezogen.
Auf Initiative des neu gegründeten Kulturbundes um Johannes Becher soll nun ein Roman entstehen, um den Menschen Mut zu machen. Ein Roman, der mit dem Faschismus abrechnet und mit dem der „kleine Mann“ sich identifizieren soll.
Teutsch lässt uns ausführlich teilhaben an den zahlreichen Begegnungen und Gesprächen, die Becher und seine Mitstreiter führen, um die Literatur in Deutschland wieder aufzubauen. Dabei spart er nicht mit historischem Hintergrundwissen. Mit großer Detailfreude zeichnet er das damalige Berlin nach: Straßennamen, Gebäude und Alltags-Begebenheiten fließen permanent in sein Erzählen ein. (Ein Namensregister hätte bei der großen Anzahl historisch belegter Personen die Übersichtlichkeit etwas erhöht).
Um seinen Leser*innen einen Rundumblick aufs Ganze zu ermöglichen, wechselt Teutsch ständig die Erzählperspektive. Das verleiht seinem Roman etwas Dokumentarisches. Seine Sprache ist knapp und sachlich. Die Formulierungen, die er seinen Figuren in den Mund legt, sind an den Stil der Zeit angelehnt.
Ungeschönt dokumentarisch ist auch die Darstellung der Hauptfigur Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen alias Hans Fallada. Der Schriftsteller ist schwer gezeichnet von seiner Alkohol- und Morphiumsucht. Mit seiner ebenfalls drogensüchtigen Frau Ulla vegetiert er in einem zerbombten Haus. Er hat Schulden. Er ist körperlich ein Wrack und gesellschaftlich längst am Ende. Schon lange hat er nichts mehr von Bedeutung aufs Papier gebracht. Teutsch vermittelt ein Bild, wie es die Zeitgenossen von Fallada gehabt haben müssen: Der Romancier ist psychisch labil, unzuverlässig, selten nüchtern, voller Stimmungsschwankungen. Teutsch kommt nicht in Versuchung den großen Literaten zu romantisieren. Es ist ein Porträt auf Distanz, das nur wenig vom Innenleben des Künstlers aber viel von der historischen Figur Falladas preisgibt.
Der Roman vermittelt einen ausführlichen Blick auf die Literaturszene der direkten Nachkriegszeit und liefert einen authentischen Eindruck über die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des letzten Fallada-Romans.
„Die Akte Klabautermann“ ist Teutschs Roman-Debüt.
- Autor: Oliver Teutsch
- Titel: Die Akte Klabautermann
- Verlag: Dielmann
- Erschienen: Januar 2022
- Einband: Hardcover mit Lesebändchen
- Seiten: 312
- ISBN: 978-3-86638-343-2
- zur Webiste des Axel Dielmann Verlag
Wertung: 11/15 dpt