Am Anfang konnte ich noch gar nicht einschätzen, auf welche Reise ich mich mit diesem Buch einlasse. In jedem Fall hätte ich nicht gedacht, mich in so vielen unterschiedlichen Arten wiederzuerkennen.
S. 88
“Milch Blut Hitze” ist die Kurzgeschichtensammlung von Dantiel W. Moniz, welche 2022 durch den C.H. Beck Verlag im Deutschen veröffentlicht wird. Der Name ist dabei Programm, denn die unterschiedlichen Kurzgeschichten spiegeln verschiedene Facetten davon wider, was es bedeutet eine Frau zu sein – sei es die Milch, mit der man Neugeborene nährt, das Blut, dass man während der Periode blutet oder die Hitze aus Leidenschaft, die man in sich aufsteigen fühlt, ehe sie einen verschlingt.
Wir begleiten in voneinander unabhängig stattfindenden Kapiteln unterschiedliche Frauen dabei, wie sie an gesellschaftlichen Erwartungen scheitern, ihre Rollen hinterfragen oder sich trotz aller Hürden und Hindernissen von den Vorstellungen ihres christlich-konservativen Umfelds losreißen und dabei wie urzeitliche mesopotamische Göttinnen wirken.
Wir erhalten Einblicke in gescheiterte Schwangerschaften, gebrochene Ehen, die Verachtung einer Tochter gegenüber ihrer gefügigen Mutter, aber auch Frauen, die sich dazu entschieden haben, vogelfrei zu leben und losgelöst im Mondlicht tanzen. Wir begegnen Männern die Angst vor der potenziellen Sexualität von Frauen haben, die aus den Frauen sonst eine Lilith machen könnte, die ihre Gaben zur Befriedigung ihrer eigenen Begierden verwenden würde.
Moniz macht keinen Halt davor authentisch die unschönen Seiten des Frauseins zu zeigen – sei es die patriarchale Unterdrückung, der verlangte Gehorsam von Willen und Körper, die Angst vor oder das Sehnen nach Mutterschaft, schwache Partner, die einen nur aufhalten oder sogar Fehlgeburten und die Verdrängung von sexuellem Missbrauch.
In den Geschichten ging es nämlich nie darum, die richtige oder falsche Entscheidung zu treffen oder einen moralischen Standpunkt zu vertreten, sondern darum, Ausschnitte aus Leben zu zeigen, die auch in der Realität stattfinden könnten. Dabei haben die Figuren und ihre Erfahrungen für sich selbst gesprochen und waren unter die Haut gehend lebendig, denn der Zwiespalt, in denen sie sich befunden und die Verzweiflung, die sie gefühlt haben, machten sie menschlich und nahbar.
Deswegen hatte ich auch ständig das Gefühl einer Freundin zuzuhören, die mir von ihren Erlebnissen berichtet, und musste mich immer wieder fragen, wie ich an der Stelle der Figuren gehandelt hätte.
Während des Lesens fiel es mir dementsprechend auch schwer Abstand zu den Figuren und ihren Geschichten zu halten, denn die unterschiedlichen Geschichten sprachen Gefühle und Erfahrungen an, die ich selbst erlebt habe oder mir von einer Freundin vertraulich anvertraut hätten sein können. Es war so, als hätte es Moniz auf den Punkt gebracht, wie ich mich in ähnlichen Situationen gefühlt habe.
Aber genau das ist, was dieses Buch so bewegend macht: Die Erzählungen und Figuren sind so lebendig und lebensnah, dass sie mir unter die Haut gegangen sind, weil die Erfahrungen der Figuren mir auf die eine oder andere Art passieren könnten.
Und wie im richtigen Leben gab es in den Geschichten kein Richtig oder Falsch, sondern nur die Entscheidungen, die die unterschiedlichen Figuren mit ihrem eigenen Gewissen vereinbaren müssen.
Auch der Schreibstil hat mich beim Lesen mitgerissen, denn jede einzelne der Geschichten hatte eine unterschiedliche Stimmung, die schwer in Worte zu fassen ist: Von Befangenheit, Verachtung, Nostalgie und Mystik war vieles dabei, was dafür sorgte, dass ich mich kaum von den Zeilen lösen konnte und die Geschichten und ihre Handlunge unterstützt hat.
Präzise wurden Gefühle benannt und geschickt in Handlungen umgesetzt, die unmissverständlich aufzeigten, um was es den Figuren in dieser Situation ging und welchen inneren Kampf sie kämpfen mussten. Beim Lesen hatte ich auch das Gefühl, als wären die Geschichten magisch aufgeladen – das war gerade dann der Fall, als sich eine Figur gegenüber den Willen eines Pfarrers behauptet hat oder eine Gruppe von Frauen unter Mondschein ihr Ritual gefeiert haben – es hat sich so angefühlt, als wäre ich während dem Lesen Teil von etwas größerem gewesen.
Ich kann das Buch allen weiterempfehlen, die Freude an prägnanten und packenden Kurzgeschichten haben, die authentische Einblicke in andere Leben bieten. Man wird nicht davon verschont werden mit den unterschiedlichen Figuren mitzufühlen und wird sich selbst vielleicht mit anderen Augen zu sehen.
- Autor: Dantiel W. Moniz
- Titel: Milch Blut Hitze
- Originaltitel: Milk Blood Heat
- Übersetzer: Claudia Arlinghaus und Anke Caroline Burger
- Verlag: C. H. Beck
- Erschienen: 2022
- Einband: Hardcover
- Seiten: 230
- ISBN: 978-3-406-78157-5
- Sprache: Deutsch
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 13/15 dpt