Max Korn – Talberg 1935 (Buch)


Talberg 1935
© Heyne

Max Korn – Talberg 1935 (Buch)

Düsternis im Ort und in den Herzen der Menschen

Talberg liegt am Fuße des Friedrichsberges, einer gut neunhundert Meter hohen Erhebung, die das abgelegene Dorf oft von der Sonne trennt. Reich ist hier nur der Steiner Josef, der als Waldbauer nach und nach den anderen ihre Grundstücke abkaufte. Er, nicht der Ortsvorsteher Georg Leiner, hat das Sagen und so ist er es auch, der den Tod seines ältesten Sohnes Wilhelm von der Polizei untersuchen lassen will. Weil er es kann.

Es liegt nicht allein der Schatten des Berges über dem Dorf, dachte sie. Das war dieser eine Gedanke, der sie wieder und wieder heimsuchte und den sie sich nicht erklären konnte. Es war nun einmal so, dass hier etwas nicht stimmte. Einfach nicht stimmen konnte, auch wenn sie keinen Vergleich zu anderen Gegenden hatte. Schließlich war sie ja noch nie irgendwo anders gewesen. Dennoch, es konnte nicht überall auf der Welt so bedrückend sein wie in Talberg.

Elisabeth wird aus ihrem Bett gerissen, ihr Wilhelm liegt tot auf dem Hügel, am Fuße des von ihm erbauten Turms auf dem Friedrichsberg. Ein Turm, dessen Sinn sich die Dorfbewohner nicht erklären können, jedenfalls kann es nicht die Aussicht sein. Ob er, so zerreißt man sich in der Dorfschenke angetrunken das Maul, seine Frau von dort in die Tiefe stürzen wollte, zumal sie ihm in sechs Ehejahren nie ein Kind schenkte? Nun liegt er selber dort und Polizeimajor Karl Leiner von der Bayerischen Landespolizei, ein Neffe des Ortsvorstehers, soll den Vorfall aufklären. Schnell wird ihm klar, dass hier nachgeholfen wurde. Aber von wem?

Von Johannes, Wilhelms jüngerem Bruder, der nach Jahren überraschend aus dem Großen Krieg zurückkehrte und dem seither nicht nur der linke Arm, sondern auch jegliche Menschlichkeit abhandengekommen ist; von Heinrich, dem ebenso bärenstarken wie geistig zurückgebliebenen Sohn von Vroni, der Wirtshaustochter, oder gar vom Schmidinger, dem Knecht von Elisabeths Eltern, der ständig unter hohen Spielschulden leidet und plötzlich verschwindet? Der Polizeimajor ist gefordert, denn zunächst verschwindet Wilhelms Leichnam, die geforderte Verstärkung bleibt aus und das einzige Telefon im Dorf funktioniert plötzlich nicht mehr. Stattdessen gibt es binnen vierundzwanzig Stunden gleich drei rätselhafte Todesfälle; alle mit fremder Hilfe entstanden. Aber außer Elisabeth scheint niemand dem Polizeimajor helfen zu wollen; man bleibt im Dorf seit jeher unter sich und tratscht lieber im Gasthaus als mit der Polizei.

Start einer vielversprechenden Trilogie

Das reale Thalberg liegt im niederbayerischen Dreiländereck und dient dem fiktiven Talberg als Vorlage, da der Autor dort in der Nähe aufwuchs. Der Autor ist übrigens Oliver Kern, dessen Fellinger-Reihe nicht ganz unbekannt ist und den man vor allem als Luis Sellano kennen kann und der sich nun anlässlich der Talberg-Reihe ein weiteres Pseudonym zulegte. „Talberg 1935“ ist der Auftakt einer Trilogie, deren zweiter Band „Talberg 1977“ soeben frisch im Buchhandel erschienen ist. Der Abschluss „Talberg 2022“ soll im Mai dieses Jahres folgen.

„Talberg 1935“ ist ein äußerst düsteres Werk, in dem Hilfe oder gar Erlösung nicht zu erwarten sind. Im ersten Teil geht es hauptsächlich um Elisabeth, die schon immer ein Wildfang war, der sich partout nicht anpassen wollte, noch dazu von klein auf als Hexe verschrien, wozu ihre Mutter als Kräuterkundige ihren Teil beitrug. Auch heute noch ist Elisabeth, inzwischen vierundzwanzig Jahre alt, eine Außenseiterin im Dorf. So viel Schönheit kann nicht gottgewollt sein und dass sie ihrem Wilhelm keine Kinder schenkte ist geradezu ein Skandal. Im zweiten Teil steht verstärkt Johannes, der jüngere Bruder Wilhelms im Blickpunkt, der 1918 nicht nur seinen Arm an der Westfront verlor. Entmenschlicht kehrt er nach einigen Jahren ins Dorf zurück, man hatte ihn schon auf einem Kriegerdenkmal namentlich verewigt. Elisabeth und Johannes werden sehr ausführlich vorgestellt; Krimifans, die auf die weitere Entwicklung des Geschehens drängen, müssen sich mitunter in Geduld üben.  

Egal, ob körperliche Züchtigung oder Essensentzug, egal, ob man sie durch das Auferlegen von Arbeiten jeglicher Art bis zur Erschöpfung getrieben hatte, sie war nicht zu brechen. Nicht körperlich und erst recht nicht im Geiste. Und dabei hatte sie viel ertragen und aushalten müssen, wesentlich mehr jedenfalls als ihre Geschwister. „Ich kann sie ja nicht totschlagen“, war einer der Sätze, den man ihren Vater oftmals hatte sagen hören.

So trübe wie das Wetter ist die Stimmung im Dorf. Hier gibt es nur ein Telefon beim Ortsvorsteher, so es denn funktioniert, ein kaputtes Motorrad und natürlich beim reichsten Mann des Ortes einen Traktor. Weitere motorisierte Fahrzeuge sind Fehlanzeige und verirren sich nur selten in das abgelegene Nest. Wer auf unheilvolle Stimmung steht, in der sich das Grauen nur schleichend herannähert, um dann umso druckvoller zuzuschlagen, sollte hier zugreifen. Auch wenn von Beginn an die Lösung der Mordfälle klar zu sein scheint, keine Bange, klar ist hier gar nichts. Ein atmosphärisch starker, gut arrangierter Krimiplot. Die jederzeit körperlich spürbare, beklemmende, von Hoffnungslosigkeit geprägte Grundstimmung macht zudem eine Verfilmung gut vorstellbar.

Kleiner Tipp zum Schluss: Im vorderen Innenteil der Klappbroschur befindet sich ein Namensregister, das man leicht überschlagen kann.

  • Autor: Max Korn
  • Titel: Talberg 1935
  • Verlag: Heyne
  • Umfang: 400 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: November 2021
  • ISBN: 978-3-453-42459-3
  • Produktseite  


Wertung: 12/15 dpt




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