Jasmin Schreiber – Marianengraben
Eine Roadstory mit Urne
Nach dem frühen Tod des Bruders fühlt sich Protagonistin Paula in einer Trauer gefangen, die so tief anmutet wie der Titel gebende Marianengraben. Die Begegnung mit dem über achtzigjährigen Helmut reißt die junge Frau aus ihrer Lethargie. Das ungleiche Gespann begibt sich auf eine gemeinsame Reise in Richtung Berge, um das letzte Versprechen Helmuts an seine verstorbene Frau einzulösen…
Jasmin Schreiber bedient sich der klassischem Roadstory-Zutaten, um ihre Geschichte zu erzählen: Da sind gegensätzliche, etwas schrullige Charaktere, eine zufällige Begegnung, eine gemeinsame Reise, eine langsam wachsende Freundschaft.
Dass die Protagonisten im Laufe der Handlung ihren Weg finden, um mit dem Tod und ihren persönlichen Verlusten umzugehen, ist Programm. Schreiber wird diesem Wunsch ihrer Leserschaft absolut gerecht.
Der Roman wurde 2020 als erfolgreichstes Debüt des Jahres gefeiert. Er fügt sich ein in eine lange Reihe von Romanen, die um das zentrale Thema „Tod und Sterben“ kreisen. Nichts an diesem Buch ist also wirklich völlig neu, und doch findet die Autorin genau den richtigen Ton, um sich ins Herz ihrer Leserschaft zu schreiben.
Wie kann das sein?
In „Mariannengraben“ geht es um Trauer, Tod und Loslassen,
und damit letztendlich ums (Weiter-)Leben.
Schreiber erzählt die Geschichte aus der Ich-Perspektive Paulas und verleiht ihrer jungen Figur eine sehr lebendige Stimme, der zuzuhören auch dann Spaß macht, wenn die Handlung mal wieder stagniert. Der Erzählton ist direkt, manchmal umgangssprachlich, fast sogar schnodderig. Es gibt viel Raum für wörtliche Rede, woraus sich einiges an Situationskomik entwickelt.
Die Autorin zeigt keine Furcht, die schweren Gedanken und Fragen ihrer Figuren zu formulieren. Sie tut dies ohne jegliches Pathos auf einer sehr empathischen Ebene. Dadurch bewegt sie sich stets auf Augenhöhe mit ihrer Leserschaft.
Schreiber vermittelt nicht den Eindruck, mit ihrem Roman besonders anspruchsvolle Literatur abliefern zu wollen. Und genau das macht ihre Art zu schreiben so glaubwürdig.
Es gibt einige Holprigkeiten, die die Autorin vielleicht durch etwas mehr Ausführlichkeit hätte umgehen können. Da ist z.B. die anfangs völlig aus dem Off getroffene Entscheidung Paulas, Helmut bei seiner Wohnmobilreise zu begleiten, die ausschließlich der Plot-Dramaturgie geschuldet zu sein scheint. Oder man folgt Helmuts Bericht einer Polarexpedition, die ziemlich zusammenhangslos im Raum der übrigen Handlung stehen bleibt.
Doch insgesamt fühlt man sich den beiden Hauptakteuren nah und das liegt eindeutig daran, wie geschickt Schreiber ihnen ein eigenes Leben einhaucht. Die Handlung an sich ist eher spärlich, aber das geht okay, denn die wichtigen Passagen sind diejenigen, in denen Paula per inneren Dialog mit dem verstorbenen Bruder spricht, von diesem Abschied nimmt und sich wieder ihrem eigen Leben zuwendet.
Alles in allem ist dieser Debütroman keine Überraschung. Aber genau darin liegt seine Stärke. Er gewährt exakt die Dosis an Trost, die die Leser*innen erwarten.
- Autorin: Jasmin Schreiber
- Titel: Marianengraben
- Verlag: Eichborn Verlag
- Erschienen: 27.8.2021
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 254
- ISBN: 978-3-8479-0082-5
Wertung: 12/15 dpt