In dieser Minute
von Steffen Georg Beitz
Alleine in dieser Minute – solange das Lesen dieser Rezension dauert – passieren zeitgleich unfassbar viele verschiedene Dinge. Und leider sind die schlimmen Dinge eindeutig in der Überzahl. Denn zu den unabwendbaren Katastrophen, unter denen Menschen leiden, kommen noch die Grausamkeiten hinzu, die Menschen Menschen antun. In jeder Minute eines jeden Tages.
Genau das macht jeden einzelnen unversehrten Augenblick so kostbar. Glück, das zeigt uns Steffen Georg Beitz in seinem Roman, ist zerbrechlich. Und Liebe ist das wohl zerbrechlichste Glück von allen.
Diese Einsichten sind Dreh- und Angelpunkt in Beitz‘ Debüt „In dieser Minute“. Auf den ersten Blick besitzt der Roman alle Zutaten für eine klassische Lovestory: Zwei junge Menschen, die sich verlieben, Leidenschaft, eine Prise Erotik, tiefe Emotionen und unüberwindbare Hindernisse. Aber Beitz‘ Debüt ist mehr.
Wir werden Zeuge, wie Dirk, ein junger Gärtner aus Düsseldorf, und der in Paris lebende Exil-Iraner Rahim sich das erste Mal begegnen, wie sie sich verlieben und eine Wochenendbeziehung beginnen. Beitz jongliert geschickt mit den verschiedenen Settings: mal zeigt er uns Dirks wortkarges Singleleben, mal Rahims quirlige Multi-Kulti-WG in Paris, in der die beiden ihre Wochenenden verleben. Beitz bezieht alle Milieus in sein Erzählen ein. Jedem Protagonisten – und sei der Auftritt noch so kurz – widmet er die größtmögliche Authentizität. Nichts wird verklärt oder romantisiert dargestellt. Alles wird bei ihm Teil der Geschichte: alle Unterschiede und Widersprüche, alle Parallelen, alles Schöne und Hässliche.
Beitz bündelt – so scheint es – alle Themen, die ihm am Herzen liegen: Fremdenhass, das Leben im Exil, Homosexualität und Homophobie, Diskriminierung und Rassismus. Er ergreift Partei für die zu Unrecht Verfolgten und lenkt den Blick auf die Schwachen, die Verlorenen, die Hilflosen. Doch trotz der großen Themen-Fülle geht ihm dabei nie der Erzählfaden verloren.
Wer „In dieser Minute“ partout „nur“ als Liebesgeschichte vor multikulturellen Hintergrund lesen mag, kann dies tun und wird nichts vermissen, denn auch stilistisch weiß Beitz zu überzeugen.
Aber das wäre Verschwendung. Denn dieser Roman ist wirklich mehr. Sehr viel mehr. Nur eines ist er nie: kitschig.
Wertung: 14/15 dpt
- Autor: Steffen Georg Beitz
- Titel: In dieser Minute
- Verlag: tredition
- Erschienen: März 2021
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 380
- ISBN: 978-3347107922