Gewaltige Springflut mit tödlichen Folgen
Die idyllische Gemeinde Cap Ferret an der Atlantikküste ist nicht nur ein Magnet für Touristen. Einheimische haben sich an der äußersten Spitze in der Rue de Paradis niedergelassen, die in einer Senke liegt. Dies rächt sich in der Nacht zum 12. März als eine Düne bricht und die beschauliche Siedlung von einer Springflut zerstört wird. Olive Morel, eine Anwohnerin, kann sich nicht mehr retten und ertrinkt.
Sechs Monate später. Die betroffenen Anwohner haben sich wieder einigermaßen eingerichtet, da erwartet sie der nächste Ärger, denn alle Häuser sollen abgerissen werden, da sie illegal errichtet wurden. Nun ja, fast alle, denn ausgerechnet das größte Haus, jenes des Bürgermeisters Philippe Deschamps, soll stehen bleiben. Es ist Samstag, Commissaire Luc Verlain hat Urlaub und wartet mit seiner hochschwangeren Freundin Anouk auf ihr erstes Baby. Der Anruf seines neuen Vorgesetzten Laurent Aubry, in dem Luc nur einen jungen und machtgierigen Karrierebeamten sieht, der von Polizeiarbeit keine Ahnung hat, kommt folglich zur Unzeit. Aubry schickt Luc nach Cap Ferret, wo er die aufgebrachten Anwohner beruhigen soll. Sie weigern sich ihre Häuser zu verlassen, doch schon am Montag sollen die Bagger anrollen.
Luc trifft erwartungsgemäß auf Widerstand, wobei ihm schnell klar wird, wie angespannt die Lage wirklich ist. Vor allem der Bürgermeister scheint verhasst zu sein. Zu Lucs Unmut erscheint auch noch Aubry selbst am Cap, in dem erneut ein schweres Unwetter aufzieht. Und tatsächlich, eine neue Springflut trifft abermals verheerend die Rue de Paradis. Erneut gibt es einen Toten, doch dieses Mal ist die Ursache alles andere als natürlich. Da alle Einwohner ein Motiv hatten, Deschamps umzubringen, ist die Lage vertrackt. Durch die Flut eingesperrt in einem Haus, der Mörder weilt somit zwangsläufig unter ihnen, nehmen die Befragungen ihren Lauf. Durch die Einmischung von Aubry wird die Stimmung bald explosiv. Mit verheerenden Folgen.
Ja, ja, ein Hauch von Agatha Christie
Es hätte nicht der doppelten Erwähnung im Roman bedurft um darauf hinzuweisen, dass „Rue de Paradis, Luc Verlains fünfter Fall“, gewisse Parallelen zu Agatha Christies „Mord im Orient-Express“ aufzeigt. Man erinnert sich an den Klassiker: Irgendwie hingen alle mit drin. So ist es auch im vorliegenden Fall, der sich – rein kriminell betrachtet – sehr langsam entwickelt. Zunächst wird die Flut im März ausführlich geschildert und wie die Anwohner diese erlebt haben. Danach werden diese mit der neuen Situation konfrontiert, dass sie ihren geliebten Meerblick dank einer geplanten Umsiedlung in eine Reihenhaussiedlung vor Bordeaux aufgeben sollen. Schnell wird klar, warum Bürgermeister Deschamps verhasst ist, obwohl sie ihn über zwanzig Jahre lang immer wieder wählten. Dann wird die zweite Flut im September geschildert und – tatsächlich – geschieht ein Mord. Zu dem Zeitpunkt hat man das Buch schon zur Hälfte durch.
Im „zweiten Teil“, wenn man es so nennen möchte, macht Autor Alexander Oetker dann aber reichlich Tempo. Erst muss Luc mit Entsetzen feststellen wie sein arroganter Chef die Ermittlungen gegen die Wand fährt bevor er sich allein an die Lösung des Falles machen muss. In Rückblenden werden die dunklen Geheimnisse der Anwohner zutage gefördert. Es zeigt sich ein gigantisches Konglomerat aus Neid, Abhängigkeit und Missgunst. Auch die Gier kommt nicht zu kurz, da es Deschamps zeitlebens verstand, sich seine Nachbarn von ihm abhängig und erpressbar zu machen. Sicher, der Fall ist sehr stark konstruiert, aber nicht zuletzt dank eines sehr flüssigen Schreibstils durchweg empfehlenswert. Nicht nur für Fans der legendären Queen of Crime; auch Frankreich-Fans kommen voll auf ihre Kosten, denn was wäre ein Aquitanien-Krimi ohne gutes Essen und Trinken? Eben.
- Autor: Alexander Oetker
- Titel: Rue de Paradis
- Verlag: Hoffmann und Campe
- Umfang: 284 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: November 2021
- ISBN: 978-3-455-01212-5
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt