Cinderella (Musikfilm, VoD)
Dass diese Neuverfilmung als Musical eigentlich für die Kinoleinwand bestimmt war, wird schnell klar: Bunt, laut und turbulent ab der ersten Minute. Das amerikanische Aschenputtel wird voller Energie gespielt von Popsängerin Camila Cabello und auch andere Rollen sind hochkarätig besetzt: Pierce Brosnan und Minnie Driver als Königspaar, was sich nicht immer ganz einig ist, Idina Menzel (bekannt für die Oscar-prämierte Schmetterballade „Let it go“ aus Disney’s „Die Eiskönigin“) als Stiefmutter, die einen Sinneswandel erfährt, sowie Billy Porter. Der Musical-Darsteller und Schauspieler mag dem deutsche Publikum bisher eher weniger bekannt sein, sein kurzer Auftritt als Fee in „Cinderella“ wird das definitiv ändern!
Cinderella als Musical – poppige Coversongs dominieren
Der Soundtrack besteht hauptsächlich aus adaptierten Coverversionen und wenigen neuen Kompositionen. Insgesamt absolut poppig, basslastig und zum Mitsingen. Die Coversongs werden in die Handlung integriert und bekommen damit überraschend neue Bedeutung: Madonnas „Material Girl“ wird zum Beispiel zur Lektion der Stiefmutter für ihre leiblichen Töchter: Denn nur wer als Hausfrau brilliert, kann reich heiraten und so lautet das Ziel. Das Lied der Fabolous Godmother, also der guten Fee, ist ein Cover von „Shining Star“, einem Song der Funk- und Soulband Earth, Wind & Fire – absolut hinreißend performt von Billy Porter, nachdem er Ella, wie Cinderella eigentlich heißt, für den Ball aufgepeppt hat – also inhaltlich ebenfalls bestens platziert.
Absolutes Highlight ist die Ballszene am Königshof: Die Werberinnen um Prinz Robert schmachten ihn mit einer Einlage von Salt ‘n’ Pepas’ „Whatta Man“ an, was von ihm mit einer Version von „Seven Nation Army“ erwidert wird. Auch hier ergibt die Neuinterpretation überraschend Sinn: Schließlich hat sich der Prinz schon längst für Ella entschieden, und lässt sich von dieser „Seven Nation Army“, den heiratswilligen Frauen, die aus aller Welt zum Ball angereist sind, nicht davon abbringen. Text, Musik, Choreografie und Kostüme machen diese Szene zu einem unvergesslichen Spektakel für Augen und Ohren!
Der Anti-Disney – Angriffspunkt und Stärke zugleich
Der Film räumt mit Frauenklischees aus dem klassischen Märchen auf und ist doch selbst Märchen – nur eben eines, das in unsere Zeit passt. In der manchen Menschen noch immer gezeigt werden muss, dass Frauen nicht per se schüchtern und zurückhaltend sind und sich unterordnen. Sei es gegenüber Männern oder gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden.
Das Disney-Märchenideal der weißen, scheuen und blonden Frau wird von der kubanisch-stämmigen, quirligen Camila Cabello wunderbar sympathisch auf den Kopf gestellt! Ihre Besetzung für die Titelrolle war definitiv eine gute Entscheidung, nicht nur weil sie als Popstar („Havana“, 2017) sicherlich viele Zuschauerinnen und Zuschauer lockt, sondern auch, weil sie ihren schauspielerischen Durchbruch mit Bravour meistert. Besonders in schnellen Dialogen zeigt sich ihr gutes Gespür für Timing und Komik.
Auffällig ist, dass diese aufwändige Neuproduktion des „Cinderella“-Stoffes viel negative Kritik durch die Film-Community1 und Presse erfahren hat. Das mag daran liegen, dass eine Neuadaption des Märchens mit abgeänderter Handlung an zentralen Stellen nicht überall auf Anklang stößt:
Cinderella ist in dieser Version stark, ehrgeizig und laut. Ihr Ziel ist es, ihre selbstgeschneiderten Kleider zu verkaufen und nicht, einen Prinzen zu heiraten. Die gute Fee hat einen atemberaubenden Auftritt als nonbinäres Zauberwesen in Gestalt von Billy Porter in umwerfendem Kostüm und Plateau High Heels. Und direkt die erste Szene des Films zeigt, dass der Cast der Bewohnerinnen und Bewohner des Königreichs ungewöhnlich divers besetzt worden ist. Tatsächlich ist “Cinderella” die wohl erste Hollywood-Musicalproduktion, in der ein geouteter transgender Schauspieler mitwirkt: Gemeint ist Jenet la Lacheur in der Rolle des Count Wilbour und „best friend“ des Prinzen Robert.2
Kurz: Es handelt sich um den Anti-Disney, der sich selbst durch viel Klamauk und schnippische Dialoge nicht ganz ernst nimmt. So setzt der Film weniger auf Pathos, sondern mehr auf Originalität, Komik und aktuelle Zeitbezüge. Diese erfrischende Neuadaption ins Hier und Jetzt, musikalisch wie inhaltlich, bietet sicherlich für diejenigen, die eine weitere süßliche Version des durch die Disney-Studios bekanntgewordenen Märchens erwartet haben, eine Angriffsfläche – macht aber definitiv die Stärke des Films aus!
Hintergrundinfos zum Film
Die ursprüngliche Idee für den Film kam vom Briten James Cordon3, dem musical-affinen Talkshow-Host von „The Late Late Show“, der selbst in verschiedenen Musicals als Darsteller mitwirkte und auch bereits als Drehbuchautor ausgezeichnet wurde. Er produzierte „Cinderella“ und übernimmt die humoristische Rolle als einer der drei Mäuse, die Ella später in Menschengestalt auf der Kutsche zum Ball bringen. Regie und Drehbuch stammen von Kay Cannon, die dem deutschsprachigen Publikum besonders für die „Pitch Perfect“-Musikfilme bekannt sein wird, bei denen die Autorin und Produzentin für das Drehbuch verantwortlich war. Parallelen dazu lassen sich bei „Cinderella“ in den (manchmal etwas zu glattgebügelten) Popsongs sowie dem flapsigen Humor erkennen.
Wie oben bereits erwähnt, war „Cinderella“ eigentlich als Produktion für die Kinoleinwand geplant. Aufgrund verschiedener Drehunterbrechungen und späterer Auflagen, die auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen sind, wurde der Film schließlich am 3. September 2021 auf Amazons Streaming-Plattform „Prime Video“ als „Amazon Original“ zur Verfügung gestellt – im Originalton oder auf deutsch mit untertitelten Songs.
- Titel: Cinderella
- Originaltitel: Cinderella
- Produktionsland und -jahr: USA, 2021
- Genre: Musical, Fantasy, Comedy
- Erschienen: 03. September 2021
- Label: Amazon Studios
- Spielzeit: 113 Minuten
- Darsteller:
Camila Cabello
Idina Menzel
Nicholas Galitzine
Minnie Driver
Pierce Brosnan
Billy Porter - Regie: Kay Cannon
- Drehbuch: Kay Cannon
- Musik: Jessica Weiss
- FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Film anschauen auf Amazon Prime (kostenpflichtiger Streaming-Anbieter)
Wertung: 13/15 dpt
Ich mochte den Film auch sehr und stimme zu: die Ballszene mit Seven Nations Army war der Hit! Mir hat auch der Charakterbogen der Evil Stepmom gefallen – mal ein neuer Ansatz! Ein bisschen hat die IMDB Community aber auch recht. Die beiden Hauptdarsteller funktionieren zusammen nicht besonders überzeugend.
(SPOILER WARNING) Außerdem bekommt Ella bei aller Frauen-Power am Ende den tollen Job für das Kleid, das sie gerade nicht selbst gemacht hat – WTF?!
Naja egal. Trotzdem schön 😍
Liebe Magdalena, vielen Dank für deinen Kommentar! Deiner Kritik stimme ich zu – gute Detailbeobachtung und ja, vielleicht habe ich deshalb auch nicht so recht gewusst, was ich über “Prinz Robert” schreiben soll. 😉 Viele liebe Grüße Sarah.