Ein laues Krimilüftchen
Juli 1912. Dr. Otto Fried, Kriminaloberinspektor mit Büro im Institut der k. u. k. Polizeiagenten, ist aufgeregt, denn seine einzige Tochter Amalia heiratet Maximilian Ritter von Becker, einen Ingenieur bei der Generalinspektion der Eisenbahn. Wenngleich die Trauung nur im kleinen Familienkreis stattfinden soll, so möchte Dr. Fried doch sicherstellen, dass alles passt. In der Stanislaus-Kostka-Kapelle bespricht er sich noch einmal mit dem aus Polen stammenden Pater Anzelm Szczepczyk, der es aus Dr. Frieds Sicht ein bisschen zu sehr auf die mit der Trauung verbundene Kirchenspende abgesehen hat.
Am nächsten Tag findet die Hochzeit statt und anschließend geht es in ein nahegelegenes Gasthaus. Nach über einer halben Stunde ist Pater Anzelm noch immer nicht zum Mittagstisch eingetroffen, so dass Dr. Fried diesen abholen will, jedoch zu seinem Entsetzen den Pater erschlagen in dem Altarraum der Kirche vorfindet. Zudem ist eine wertvolle Petrusstatue verschwunden. Gemeinsam mit seinem Partner Anton Nowak übernimmt Dr. Fried selbst die Ermittlungen, die zunächst nicht von der Stelle kommen. Niemand will etwas Außergewöhnliches gesehen haben außer einem jungen Bettler, der des Öfteren an der Kirche um Geld bittet.
Authentische Ermittlungsarbeit, schwacher Spannungsbogen
Im Jahr 1912 steckt die polizeiliche Ermittlungsarbeit noch weit zurück. Befragungen von Zeugen, Untersuchungen des Tatorts, die Obduktion des Leichnams und zudem ein ausgiebiges Aktenstudium sind die Mittel der Wahl. Einen großen Sprung machte die Kriminalpolizei erst Mitte der 1920er Jahre dank des legendären Kommissars Ernst Gennat. So ist die Ermittlungsarbeit von Dr. Fried und „dem Nowak“ durchaus authentisch dargestellt, wobei sich Autor Michael Ritter recht oft in der Schilderung von Alltagsbanalitäten verliert. Dies mag der Atmosphäre zu Gute kommen, den Krimiplot treibt es nicht voran und dies ist denn auch der entscheidende Haken. Der Plot selbst ist hauchdünn. Es werden Gespräche geführt und letztlich ergibt ein Blick in die richtige Akte den entscheidenden Hinweis. Dies wäre nicht weiter schlimm, wenn man zu diesem Zeitpunkt nicht schon längst ahnen würde, wer der gesuchte Mörder ist. Wenn letztlich von Beginn an nur eine Person in Frage kommt und dann nicht noch überraschend ein geheimnisvoller Mister X aus dem Hut gezaubert wird, bleibt es halt überschaubar.
Bis zum Finale gibt es Wiener Kaffeehausleben, ein wohldosiertes Stück Stadtgeschichte und reichlich Privatleben. Wer einen historischen Krimi aus Wien lesen möchte, ist aktuell mit dem neuen Roman von Bastian Zach „Donaumelodien – Totentaufe“, spielt 1876 und ist ebenfalls im Gmeiner Verlag erschienen, deutlich besser bedient. Sollten Dr. Fried und Nowak einen weiteren Fall zu lösen bekommen, ist reichlich Luft nach oben vorhanden. Verdient hätten es die sympathischen Protagonisten auf jeden Fall.
- Autor: Michael Ritter
- Titel: Wiener Hochzeitsmord
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 282 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2021
- ISBN: 978-3-8392-0094-0
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 8/15 dpt