Das blutrote Kleid (Film)
Willkommen in der bunten, tödlichen Wunderhauswarenwelt des Peter Strickland. Ein blutrotes Kleid (im Begleittext “Arterienrot”) sucht sich seine Träger*innen selbst aus und bringt ihnen kein Glück. Im Gegenteil. Zu erstehen in einem artifiziellen Kaufhaus, das den Exzess verspricht, aber streng reglementiert. Hier lauern Stil, unheimliche Puppen, Kaufrausch und am Ende Zerstörung. Das titelgebende Kleid bleibt, während die verschlissenen Konsumenten für den Erhalt sorgen – bis in alle Ewigkeit.
Akt 1: Das Kleid wandert zur verhärmten Bankangestellten Sheila (großartig: Marianne Jean-Baptiste, bestens bekannt aus “Without a Trace”), die alleinerziehend, seit ihr Mann sie verlassen hat, sich nach Gesellschaft sehnt und seltsame Verabredungen mit alternden Gigolos – “Ich heiße Adonis” – trifft. Der verzogene Sohn Vince, angeblich Abiturient, vergnügt sich derweil mit der älteren Gwen (“Game Of Thrones”-Regular Gwendoline Christie), von Sheila missbilligend und neidisch beäugt.
Sheila verirrt sich im Rausch des vom Kleid vorgegaukelten Begehrens und halluziniert sich ihrem Ende entgegen.
Akt 2: Das Kleid landet als Teil eines Junggesellenabschieds erst beim nerdigen Bräutigam Reg, einem obsessiven Waschmaschinen-Reparateur, dann bei seiner Braut Babs. Weil er in seiner Freizeit illegal eine defekte Waschmaschine instand setzte (angezeigt vom Besitzer derselben) verliert sich Reg arbeitslos vorm Fernseher, während es Babs in das Kaufhaus verschlägt, in dem alles begann. Dort ist sie bald heillos verfangen in einem infernalischen Black Friday-Gefecht. Das Kleid triumphiert.
“Das blutrote Kleid” ist ein Film der Chiffren, Zeichen, der Fetischisierung des Alltäglichen. Konsum ist nicht nur Rausch, der an Besessenheit grenzt, sondern auch Teil einer umfassenden Mechanisierung. Der Horror entsteht nicht aus Jump Scares, der Angst vor Monstern oder blutigen Morden, er entspringt Rätselhaftem, bizarren Ritualen, Gesten und Bewegungen. Menschen werden zu Puppen, bestehen aus Kostümen und Perücken und laden mit einer maschinell anmutenden Spieluhr-Choreographie zum Einkauf ein.
Peter Strickland inszeniert das wie einen Giallo, die Farbe Rot dominiert, aber schwarze Handschuhe, die scharfe Messer halten, fehlen. Eine üppige Kolorierung, atemberaubende Bilder, die in all ihrer Opulenz viel von Entfremdung und Isolation verraten. Sheila ist einsam, eifersüchtig auf ihren Sohn, der sich mit einer älteren Frau einlässt und befriedigenden Sex mit ihr hat, während sie selbst nur durchs Schlüsselloch starren kann oder herablassend von wenig attraktiven Männern behandelt wird. Selbst ihre Ansage auf dem Anrufbeantwortet klingt schmerzhaft nach unterdrückten Tränen.
Das Paar Reg und Babsi lebt nebeneinander her, Reg hat ein innigeres Verhältnis zu Waschmaschinen als zu seiner Braut, während Babs ihn weitgehend ignoriert (selbst beim Sex) und ihre Zeit lieber ohne den Bräutigam verbringt. Das Kleid wird sie erst weiter voneinander entfernen, dann zusammenführen. Aber nicht vorm Altar.
“Das blutrote Kleid” changiert geschickt zwischen surrealem Horrorszenario (eine landläufige Spannungskurve darf man nicht erwarten), sarkastischer Konsumkritik und finsterer Komödie.
Die Komik kommt am besten in den befremdlichen Meetings zwischen der Angestellten Sheila und ihren kuriosen Chefs Clive und Stash zum Tragen, die ihr erzählen wie sehr sie in der Vorstandsetage geschätzt werde, nur am Ende mit dem negativen Anlass des Gesprächs herauszurücken. Einmal ist es Sheilas Händedruck, der nicht “bedeutungsvoll” genug sei, ein anderes Mal hat sie es gewagt, der Gattin eines Direktors zuzuwinken. Was als anmaßend aufgefasst wurde, einer Führungsposition gegenüber. Satirisch, kurz und knackig werden so Abhängigkeiten und alltäglicher Irrsinn in der Arbeitswelt kommentiert.
Untermalt wird das Ganze von einem hervorragenden Score des mittlerweile in Berlin beheimateten Trios Cavern Of Anti-Matter. Die hypnotischen, oszillierenden Klänge lavieren zwischen Meditation und Ekstase, lullen atmosphärisch ein, um im nächsten Moment kakophonisch zu irritieren. Eine faszinierende Melange aus Electronica, Popol Vuh und Goblin.
Fazit: “Das blutrote Kleid” ist soghafter Arthouse-Horror der labyrinthischen Art, der hinter seinen kunstvollen, rauschhaften Bildern und Tönen eine Menge über das Leben in Modernen Zeiten zu erzählen hat. Peter Strickland erweist sich einmal mehr als ein ungeheuer interessanter Filmschaffender.
Cover, Fotos © Koch-Media
- Titel: Das blutrote Kleid
- Originaltitel: In Fabric
- Produktionsland und -jahr: GB, 2018
- Genre: Horror, Komödie, Drama, Arthouse
- Erschienen: 27.05.2021
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
118 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Marianne Jean-Baptiste
Sidse Babett Knudsen
Julian Barratt
Steve Oram
Gwendoline Christie
Richard Bremmer - Regie: Peter Strickland
- Drehbuch: Peter Strickland
- Kamera: Ari Wegner
- Schnitt: Mátyás Fekete
- Musik: Cavern Of Anti-Matter
- Extras:
Auflistung der Extras, ggf. mit Gesamtlänge selbiger. - Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.40:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB, DTS-HD Master Audio 5.1
Untertitel: z.B. D - FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite
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Wertung: 12/15 dpt