M. Karagatsis – Held von Kastropyrgos (Buch)


Ein Opportunist wird zum Kriegsheld

Held von Kastropyrgos
© Verlag der Griechenland Zeitung

Michalos Russis ist das weltliche Oberhaupt, ein sogenannter Kotzambassis, der christlichen Gemeinde von Kastropygros, der wichtigsten Stadtgemeinde der Peloponnes. Als schwerreicher Gutsherr dem die halbe Stadt gehört hat er sich mit den türkischen Besatzern schon lange arrangiert. Er genießt sein Leben, geht Streit aus dem Weg und vermehrt sein Vermögen, so wie es alle Kotzambassis machen. Eines nachts wird er zu Bischof Dorotheos gerufen, wo die anderen Stadtoberhäupter bereits versammelt sind. Es gibt Gerüchte über eine Revolution, die von einem Überläufer an die Türken verraten wurden. Um diesen Verdacht zu zerstreuen, werden alle führenden Bischöfe und Stadtoberhäupter nach Tripolis zitiert, um ihre Zuneigung zum Sultan zu beweisen.

„Dieses Leben in Tripolis, wird das nicht gefährlich sein?“ „Gefährlich, durchaus nicht. Wenn alle Archonten und Bischöfe der Einladung Folge leisten und sich loyal verhalten, wird Mechmed Salich sich beschwichtigen lassen. Ohne uns ist doch jede Aufstandsbewegung kopflos. Ohne uns ist jede Aufstandsbewegung zum Scheitern verurteilt. Darum wird uns der Kaymakam einige Zeit in Tripolis festhalten und uns dann nach Hause schicken.“

Russis macht sich mit anderen Gutsherren auf den Weg, während Dorotheos mit einer kleineren Gruppe zunächst nach Kalavytra reist, um sich dort mit Pater Germanos, der Seele der Aufstandsbewegung, zu beraten. Zu spät erkennt Russis, dass man ihn geradewegs in eine Falle gelockt hat. Denn während er und seine Gefährten nun de facto in türkischer Gefangenschaft sitzen, denken Dorotheos und Co. gar nicht daran, sich zu ergeben. Sie wollen im Falle eines Sieges, den großen Kuchen unter sich aufteilen. Gemeinsam mit einigen tausend Freiheitskämpfern (Palikare), die sich um Theodorakis Kolokotronis versammelt haben, startet die Revolution. Doch welche Chancen haben einige tausend hellenische Palikare gegen die übermächtig erscheinende osmanische Streitkraft?

Jetzt aber verwirrten diese gewissenlosen Kalavrytaner die Köpfe der Griechen mit ihren hohlen Freiheitsphrasen und trieben sie in einen sinnlosen Kampf, zu einem nutzlosen, törichten Opfer, um dann das Volk ungestörter aussaugen zu können. Eine bittere Komödie wurde hier auf Kosten des kleinen Mannes gespielt.

In seiner Not entscheidet sich Russis zu einer Verzweiflungstat. Den Tod vor Augen beschließt er Türke zu werden und begeht damit einen tragischen Verrat. Da seine Beweggründe allzu offensichtlich sind, nimmt man ihm seinen Wandel nicht ab. Sollten aber andererseits wider Erwarten die aufständischen Griechen den Sieg davontragen, ist ihm, dem Verräter, der Tod sicher.

Ein Verräter zwischen allen Fronten

„Held von Kastropyrgos“ von M. Karagatsis (1908-1960), der in Deutschland durch seine Romane „Das gelbe Dossier“ und „Oberst Ljapkin“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte, erschien bereits 1944 und spielt zu Beginn der Griechischen Revolution (1821-1829). Genau zweihundert Jahre nach Beginn des Aufstandes veröffentlicht nun der Verlag der Griechenland Zeitung den Roman in deutscher Erstveröffentlichung.

Michalos verstand nicht mehr. Für ihn war es ein unerklärliches Rätsel, warum die selbstverständlichsten Dinge unterblieben. Wer konnte denn die Unzahl der türkischen Sturmbataillone aufhalten? Die Griechen Rumeliens? Unmöglich. Wer sollte den Geschwadern eines Paschas das Ägäische Meer verschließen? Die Hydrioten vielleicht mit ihren veralteten Segelschiffen? Undenkbar! Und doch – so musste es sein.

Der Fokus liegt überwiegend auf seinem ambivalenten Protagonisten, der als meisterhafter Wendehals versucht, sein Leben zu retten. Der Wechsel von Religion und Nationalität ist dabei der Höhepunkt eines Verrats, der ihn auf beiden Seiten sein Leben kosten kann. Nur mit Hilfe einer starken Frau gelingt dem in vielerlei Hinsicht „schwachen Helden“ die Flucht aus Tripolis, doch zuhause hat er fast noch mehr Feinde.

„Mit deinem Abfall vom Christentum hast du die Herzen der Griechen auf immer verloren – niemals aber, was du auch unternimmst, werden sich dir die Herzen der Türken öffnen oder wird sich die die Lehre Mohammeds erschließen.“

Die Griechen, so zeigt sich rasch, sind tief zerstritten. Hier die elitäre Gruppe der Kotzambassis, die es schon immer verstanden, zur Mehrung ihres Wohlstandes das eigene Volk auszupressen, dort die Freiheitskämpfer, die für ein freies, eigenständiges Land kämpfen wollen, womit sie letztlich den Wohlstand der Kotzambassis gefährden. Auf der anderen Seite fanatische Türken, die blauäugig in den vermeintlich sicheren Krieg ziehen. Als sich eine Wende abzeichnet und Kolokotronis die Stadt Tripolis belagert, Hunger und Typhus die Einwohner dahinraffen, vertrauen sie mit stoischem Fatalismus auf die Hilfe Allahs und die des Sultans.

Abgesehen vom Hintergrund der Griechischen Revolution und dem Schicksal von Michalos Russis, ist „Held von Kastropyrgos“ ein recht zeitloses Werk, welches großen Themen wie Liebe, Lüge und Verrat aufgreift und den Finger einmal mehr in die eiternde Wunde legt: Warum müssen immer die kleinen Leute den Preis für die Raffgier der Mächtigen zahlen?

  • Autor: M. Karagatsis
  • Titel: Held von Kastropyrgos
  • Originaltitel: Ο Κοτζάμπασης του Καστρόπυργου. Aus dem Griechischen von Nestor Xaidis
  • Verlag: Verlag der Griechenland Zeitung
  • Umfang: 264 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Februar 2021
  • ISBN: 978-3-99021-039-0
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 

Wertung:  12/15 dpt 


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