Ein Opportunist wird zum Kriegsheld
Michalos Russis ist das weltliche Oberhaupt, ein sogenannter Kotzambassis, der christlichen Gemeinde von Kastropygros, der wichtigsten Stadtgemeinde der Peloponnes. Als schwerreicher Gutsherr dem die halbe Stadt gehört hat er sich mit den türkischen Besatzern schon lange arrangiert. Er genießt sein Leben, geht Streit aus dem Weg und vermehrt sein Vermögen, so wie es alle Kotzambassis machen. Eines nachts wird er zu Bischof Dorotheos gerufen, wo die anderen Stadtoberhäupter bereits versammelt sind. Es gibt Gerüchte über eine Revolution, die von einem Überläufer an die Türken verraten wurden. Um diesen Verdacht zu zerstreuen, werden alle führenden Bischöfe und Stadtoberhäupter nach Tripolis zitiert, um ihre Zuneigung zum Sultan zu beweisen.
Russis macht sich mit anderen Gutsherren auf den Weg, während Dorotheos mit einer kleineren Gruppe zunächst nach Kalavytra reist, um sich dort mit Pater Germanos, der Seele der Aufstandsbewegung, zu beraten. Zu spät erkennt Russis, dass man ihn geradewegs in eine Falle gelockt hat. Denn während er und seine Gefährten nun de facto in türkischer Gefangenschaft sitzen, denken Dorotheos und Co. gar nicht daran, sich zu ergeben. Sie wollen im Falle eines Sieges, den großen Kuchen unter sich aufteilen. Gemeinsam mit einigen tausend Freiheitskämpfern (Palikare), die sich um Theodorakis Kolokotronis versammelt haben, startet die Revolution. Doch welche Chancen haben einige tausend hellenische Palikare gegen die übermächtig erscheinende osmanische Streitkraft?
In seiner Not entscheidet sich Russis zu einer Verzweiflungstat. Den Tod vor Augen beschließt er Türke zu werden und begeht damit einen tragischen Verrat. Da seine Beweggründe allzu offensichtlich sind, nimmt man ihm seinen Wandel nicht ab. Sollten aber andererseits wider Erwarten die aufständischen Griechen den Sieg davontragen, ist ihm, dem Verräter, der Tod sicher.
Ein Verräter zwischen allen Fronten
„Held von Kastropyrgos“ von M. Karagatsis (1908-1960), der in Deutschland durch seine Romane „Das gelbe Dossier“ und „Oberst Ljapkin“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte, erschien bereits 1944 und spielt zu Beginn der Griechischen Revolution (1821-1829). Genau zweihundert Jahre nach Beginn des Aufstandes veröffentlicht nun der Verlag der Griechenland Zeitung den Roman in deutscher Erstveröffentlichung.
Der Fokus liegt überwiegend auf seinem ambivalenten Protagonisten, der als meisterhafter Wendehals versucht, sein Leben zu retten. Der Wechsel von Religion und Nationalität ist dabei der Höhepunkt eines Verrats, der ihn auf beiden Seiten sein Leben kosten kann. Nur mit Hilfe einer starken Frau gelingt dem in vielerlei Hinsicht „schwachen Helden“ die Flucht aus Tripolis, doch zuhause hat er fast noch mehr Feinde.
Die Griechen, so zeigt sich rasch, sind tief zerstritten. Hier die elitäre Gruppe der Kotzambassis, die es schon immer verstanden, zur Mehrung ihres Wohlstandes das eigene Volk auszupressen, dort die Freiheitskämpfer, die für ein freies, eigenständiges Land kämpfen wollen, womit sie letztlich den Wohlstand der Kotzambassis gefährden. Auf der anderen Seite fanatische Türken, die blauäugig in den vermeintlich sicheren Krieg ziehen. Als sich eine Wende abzeichnet und Kolokotronis die Stadt Tripolis belagert, Hunger und Typhus die Einwohner dahinraffen, vertrauen sie mit stoischem Fatalismus auf die Hilfe Allahs und die des Sultans.
Abgesehen vom Hintergrund der Griechischen Revolution und dem Schicksal von Michalos Russis, ist „Held von Kastropyrgos“ ein recht zeitloses Werk, welches großen Themen wie Liebe, Lüge und Verrat aufgreift und den Finger einmal mehr in die eiternde Wunde legt: Warum müssen immer die kleinen Leute den Preis für die Raffgier der Mächtigen zahlen?
- Autor: M. Karagatsis
- Titel: Held von Kastropyrgos
- Originaltitel: Ο Κοτζάμπασης του Καστρόπυργου. Aus dem Griechischen von Nestor Xaidis
- Verlag: Verlag der Griechenland Zeitung
- Umfang: 264 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Februar 2021
- ISBN: 978-3-99021-039-0
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt