Vielschichtiger Krimi aus Portugal
Bairro da Sé ist das älteste Viertel von Porto. Die Gassen sind eng, viele Häuser verlassen, man lebt vor sich hin. Als in der Rua da Bainharia ein Haus abbrennt verwundert dies zunächst niemand, doch dies ändert sich schlagartig als am nächsten Tag im ebenfalls in Mitleidenschaft gezogenen, unbewohnten Nachbarhaus eine Wand entdeckt wird, die einen Zwischenraum verdeckt, in dem zwei völlig skelettierte Leichen liegen. Es handelt sich um eine Frau und ein junges Mädchen, die ermordet wurden. Das Ergebnis der Obduktion ist eindeutig, allerdings auch die Tatsache, dass das Verbrechen vor zweiundzwanzig Jahren stattfand. In Portugal verjähren Morde nach fünfzehn Jahren und so stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen kurzerhand ein.
Dabei hatten Chefinspektor José Manuel Fonseca und sein Team gerade erst mit ihren Recherchen begonnen. Besonders die neue Kollegin Teresa „Tété“ Marinho ist angefressen. Ihren alten Job in der Abteilung für Korruptionsbekämpfung in Lissabon hatte sie gegen den Job bei der Mordkommission in Porto getauscht, um hier endlich für das Gute zu kämpfen. In Lissabon hatte sie es dagegen mit Korruption in den eigenen Reihen zu tun und stand kurz vor dem Rauswurf.
Für die labile Sozialarbeiterin Marcia scheint dagegen eine Welt zusammenzubrechen. Kann es wirklich sein, dass sie die beiden Frauen kannte? Die Adresse ist ja eindeutig, aber dann hätte sie ihr halbes Leben mit einer Lüge verbracht. Derweil freut sich der stadtweit hoch angesehene und einflussreiche Claudio umso mehr, dass das Verbrechen verjährt ist. Als jedoch ein weiter Mord geschieht, wird es für alle Beteiligten hochbrisant.
Der Bürgerkrieg in Angola und ein befremdliches Rechtssystem
Nach „Barco Negro“ und „Tod in Porto“ ist der vorliegende Fall bereits der dritte für Chefinspektor Fonseca, der sich über eine neue Mitarbeiterin an seiner Seite freuen darf. Zunächst sind die Kollegen allerdings zurückhaltend, fürchten, die Zentrale aus Lissabon hätte Tété womöglich zum Ausspionieren eingeschleust. Doch Tété hat eine wichtige Funktion, denn über ihre Figur kann der Autor das hochaktuelle Flüchtlingsthema einbringen; Tété floh als neunjähriges Kind auf den letzten Drücker vor dem Bürgerkrieg in Angola. Leichen hat sie dort mehr als genug gesehen, jetzt will sie für Gerechtigkeit kämpfen und dies im „Mutterland“ Portugal.
Dazu passt scheinbar sogar nicht der zweite Themenblock, nämlich das dort geltende Rechtssystem. Eine Justiz für Reiche, eine für Arme, so was soll vorkommen. Nicht jeder kann sich die besten und teuersten Anwälte leisten. Dass aber in einer Zeit, in der weltweit dank modernster Technik zahlreiche Cold Cases, also ungelöste Fälle, wieder aufgegriffen und oft erfolgreich abgeschlossen werden, in Portugal Mord nach fünfzehn Jahren verjährt – angefangen vom vermeintlichen Todestag, nicht ab dem Auffinden der Leiche – stimmt bedenklich.
„Die Mauern von Porto“ sind ein flott zu lesender Krimi, der viel südländisches Flair vermittelt, kein Wunder, denn der unter Pseudonym schreibende „Mario Lima“ lebt seit Jahren in Portugal. Sein Plot ist fein gesponnen, nicht nur, weil die eingemauerten Leichen erst nach über zwanzig Jahren entdeckt werden. Die im Grundbuch eingetragenen Eigentümer des Hauses leben ausschließlich im fernen Australien und die Nachbarn sprechen nicht mit der Polizei, seit die Drogenszene das Viertel „übernommen“ hat. Der Leser scheint den Ermittlern immer einen Schritt voraus, denn das Claudio nicht zu den Guten gehört, erfährt man gleich am Anfang. Was es aber mit den Leichen sowie der Verbindung zwischen Marcia und Claudio auf sich hat ist großes Kino. Im ersten Drittel muss man schon ein wenig aufpassen. Danach wird es dramatisch, denn für alle wird die Luft zunehmend eng. Für Marcia, die sich in großer Gefahr befindet und der selbst ihre Schmerztabletten nicht helfen, zumal sie sich nicht an die Polizei wenden kann; für Claudio, da durch den aktuellen Mord, jetzt doch wieder ermittelt wird und seine Existenz auf dem Spiel steht; für Fonsecas Team, das unter hohen Zeitdruck gerät und es dabei mit einem aalglatten Gegenspieler zu tun hat – und dem portugiesischen Rechtssystem.
- Autor: Mario Lima
- Titel: Die Mauern von Porto
- Verlag: Heyne
- Umfang: 364 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Februar 2021
- ISBN: 978-3-453-44113-2
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
Wertung: 12/15 dpt