Jan-Christoph Nüse – Vier Tage im Juni (Buch)


Attentat auf John F. Kennedy – in Deutschland

Juni 1963. Die Kubakrise im Oktober 1962 ist noch allgegenwärtig, der Kalte Krieg und mit ihm die atomare Bedrohungslage elektrisiert die Welt. So ist es nicht verwunderlich, dass hochrangige Kräfte in Amerika ihren jungen Präsidenten John F. Kennedy für zu nachgiebig gegenüber den Russen halten. Sie fordern eine harte Linie, doch Kennedy setzt auf Gespräche und den beiderseitigen Verzicht auf Atomraketenversuche. Um seine Wiederwahl in einem Jahr zu sichern, entscheidet sich der Präsident zu einer Reise nach Europa. In Irland will er das Land seiner Vorfahren besuchen sowie dem Papst einen Besuch abstatten. Dabei denkt er natürlich an die irisch stämmigen und katholischen Wähler, die für ihn besonders wichtig sind. Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer erfährt von den Plänen des Präsidenten und drängt auf einen Besuch Kennedys in Deutschland. Dieser soll der krönende Staatsbesuch für den 87-jährigen Kanzler werden, der im Herbst seinen unfreiwilligen Rücktritt einreichen will.

“Als Erstes musst du in Bonn Adenauer bearbeiten. Der alte Kerl muss endlich begreifen, dass wir seine Freunde bleiben. Auch wenn wir auf die bösen Russen zugehen. Adenauer und sein Verteidigungsminister müssen ihre verfluchten Pläne für die deutsche Atomwaffe fallen lassen. Endgültig.”

Die Sicherungsgruppe Bonn, bestehend aus Kriminalisten und Personenschützern, ist eine Abteilung des Bundesskriminalamtes, welches dem Bundesinnenministerium unterstellt ist. Sie sollen – neben dem amerikanischen Secret Service – für die Sicherheit des Führers der freien Welt sorgen. Kein leichtes Unterfangen, zumal der Präsident dafür bekannt ist, auch schon mal spontan seinen offenen Wagen für ein Bad in der Menge zu verlassen. Der Kriminalist Thomas Malgo und der Personenschützer Alfons Deckert leiten die Vorbereitungen, zumal der Chef der Sicherungsgruppe Paul Dickopf plötzlich abgetaucht ist; angeblich aus familiären Gründen.

Der erste Tag des Besuchs scheint ohne Zwischenfälle zu verlaufen, doch just auf der Einfahrt zu der Übernachtungsunterkunft des Präsidenten, hält dessen Wagen an. Kennedy kann nicht widerstehen, will der Menge zujubeln, als plötzlich ein vermeintlicher Priester eine Waffe zu ziehen scheint. Es fällt ein Schuss, der Attentäter bricht zusammen und verschwindet kurzerhand von der Bildfläche. Dass offenbar der Secret Service den Mann in die amerikanische Botschaft “entführt” hat, ist für Maljo und Deckert ein Unding. Immerhin kann Maljo einen Blick auf die Aufnahmen eines Fernsehsenders werfen, was er vielleicht besser nicht getan hätte. Denn auf den Bildern ist sein alter Jugendfreund Augustyn zu erkennen. Kurz darauf wird Maljo unter Hausarrest gestellt, während die Drahtzieher bereits einen neuen Attentatsversuch starten.

Ich bin ein Berliner

Wer kennt es nicht, dass weltberühmte Zitat “Ich bin ein Berliner” aus der Rede John F. Kennedys am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in West-Berlin. Wie schon in “Operation Bird Dog” vermischt Jan-Christoph Nüse gekonnt historisch sauber recherchierte Fakten mit reichlich fein gesponnenem Garn. So kommt es vor, dass sowohl auf amerikanischer wie auf deutscher Seite hochrangige Köpfe ein Attentat auf Kennedy schmieden. Beide eint der Verdacht, dass der Präsident zu schwach gegenüber den Russen sei. Dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 sah er bereits “tatenlos” zu. Zudem forderte Adenauer mit seinem einstigen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß eigene Atomwaffen, um Deutschland verteidigen zu können.

“Hat es sich auch bis zu Ihnen herumgesprochen, dass Franz Josef Strauß nicht mehr Verteidigungsminister ist?”
“Er hat seine atomaren Pläne nicht aufgegeben.”
“Adenauer stützt ihn nicht mehr.”
“Wir trauen Strauß nicht. Auch nicht nach seinem Rücktritt.”
“Seit wann habt ihr Amerikaner Angst vor Frührentnern?”

Ein neidvoller Blick auf Frankreich unter Charles de Gaulle mag diese Gedanken beflügelt haben, vor allem ein noch betrüblicherer Blick in Richtung ehemaliger ostdeutscher Gebiete. Deutsche, die beispielsweise in Polen leben und keine Verwandten in der Bundesrepublik haben, dürfen nicht ausreisen. So spielen auch Flüchtlinge und Vertriebene eine wichtige Rolle, denn Maljo und Augustyn stammen ursprünglich aus einem Ort in der Nähe von Danzig.

Der Spannungsbogen bleibt überschaubar, denn wer die Drahtzieher der großen Verschwörung sind ist frühzeitig klar. Allein die Frage, wer denn womöglich noch alles dazu gehört und wie ein Anschlag auf Kennedy letztlich gelingen soll, sorgen für leidlich Spannung. Was real passierte und was fiktiv hinzugesponnen wurde, wird in dem lesenswerten Nachwort des Autors aufgeklärt. Dieses gilt für politische Hintergründe wie für Personen.

“Einige von denen glauben wahrscheinlich, ich sei wie ein Kind, oder? Mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und von seinem schwerreichen Vater durch jüdisches Geld und Mafiabeziehungen ins Präsidentenamt gehoben. Dazu mangels Lebenserfahrung unfähig, mich wirklich durchzusetzen gegen die Russen.”

Wer sich für Kombinationen aus Krimi und Zeitgeschichte interessiert, darf zugreifen, denn die eingangs beschriebene politische Lage und deren daraus resultierende noch bedrohlicheren Gedankengänge führender Verantwortlicher in Politik und Generalität sind durchaus fesselnd beschrieben.

Cover © Gmeiner

Wertung: 11/15 dpt


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