Sousa Mendes, ein tragischer Held
Salazar will jedoch keine unkontrollierte Einreise, fürchtet die Massenimmigration. So erlässt er im November 1939 sein Rundschreiben Nummer 14, wonach nur noch Transitvisa ausgestellt werden dürfen, wenn die Flüchtlinge eine Schiffspassage nach Übersee vorlegen können. Was nicht nur Juden, sondern auch anderen Verfolgten in Deutschland droht, hat sich längst herum gesprochen und so beschließt Mendes, die Schicksale tausender Menschen täglich vor seiner Haustür vor Augen, entgegen den Vorschriften Visa auszustellen und damit Leben zu retten. Tag und Nacht arbeiten er und seine Helfer durch, denn die Nazis rücken immer weiter vor und auf der anderen Seite will Salazar den Umtrieben des widerspenstigen Konsuls ein Ende bereiten. Als die Deutschen auf Bordeaux vorrücken, zieht sich Mendes in seine Heimat zurück. Ein verhängnisvoller Irrtum nimmt seinen Lauf …
Der “portugiesische Oskar Schindler” rettete rund 30.000 Menschen
Im ersten Abschnitt beschreibt Dagmar Fohl aus der Sicht von Ich-Erzähler Mendes die Geschehnisse in Europa, vor allem die zunehmende Bedrohung der Juden in Deutschland. Mendes erlebt die Nöte der Menschen hautnah, hilft völlig selbstlos, wo er helfen kann. Auch seine Frau Angelina steht ihm unerbittlich zur Seite, wohl wissend, dass seine Arbeit für die Familie nicht folgenlos bleiben wird. Was seine Frau, mit der Mendes vierzehn Kinder zeugte, jedoch nicht weiß, ist, dass sich kurz nach der Ankunft in Bordeaux eine weitere Frau in das Leben von Mendes eingeschlichen hat. Die rund zwanzig Jahre jüngere Französin Andrée wird zur ebenso großen wie heimlichen Liebe.
Geht es im ersten Teil um die zunehmend ausweglose Situation der Flüchtlinge und Mendes uneigennütziger Hilfe, so geht es im zweiten Teil um die persönlichen Konsequenzen für Mendes. Portugal verändert sich unter Salazar immer mehr in eine Diktatur. Folglich duldet dieser auch keine Kritik an seiner Arbeit und schon gar nicht, dass sich Beamte wie der Konsul seinen Anweisungen widersetzen. Es kommt zu einer Klage gegen Mendes, in Folge dessen er seines Amtes und damit seines Einkommens enthoben wird. Mendes versteht die Welt nicht mehr und wird gegen dieses Urteil Zeit seines Lebens (erfolglos) ankämpfen und währenddessen verarmen. Neben dem Abstieg von Mendes in sozialer, vor allem aber finanzieller Hinsicht, erhält man intime Einblicke in das Urlaubsparadies Portugal, welches in den 1940er-Jahren nicht nur eine Diktatur war, sondern ein armes Land mit vielen Analphabeten und großem sozialen Notstand.
Gegen Ende des Romans kommt was kommen muss. Als Hitler Selbstmord begeht, wehen in Portugal die Flaggen auf Halbmast. Nach der Kapitulation Deutschlands gratuliert Portugal zum Sieg. Salazar mimt den Ahnungslosen und bedauert offiziell, nicht noch mehr Juden gerettet zu haben. Für Mendes der blanke Hohn und eine schallende Ohrfeige zugleich. 1954 stirbt Mendes in bitterer Armut, erst Jahrzehnte später wird sein Ruf rehabilitiert. 30.000 Menschen, darunter 10.000 Juden, soll er mit seinen unerlaubten Visa gerettet haben. Wohltuend, dass diesem Helden ein literarisches Denkmal gesetzt wird. Erschreckend, wie aktuell die Themen Migration, Flüchtlingsströme und internationales Wegsehen noch immer sind.
“Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt” ist ein vielschichtiger Roman mit (wenngleich nur rund 200 Seiten lang) reichlich geschichtlichem und politischem Hintergrund, hoher Aktualität und großer Empathie. Lesenswert!
Cover © Gmeiner
- Autor: Dagmar Fohl
- Titel: Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt
- Verlag: Gmeiner
- Erschienen: 09/2020
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 220 Seiten
- ISBN: 92078-3-8392-2771-8
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 13/15 dpt