Erinnerung an einen alten Meister
Die Dynastie der Wellanos war in Bayern berüchtigt. Viehhändler, Schauspieler und Hasardeure allesamt; Korbinian Wellano war der schlimmste von ihnen und richtete den Vater von Karl Valentin finanziell zugrunde, da er eine Rechnung von tausend Goldmark nicht beglich. Bevor man ihm seiner habhaft werden konnte floh er 1900 nach Amerika, wo er mit Stahl zum Millionär wurde. Nun, im Herbst 1926, reist sein Sohn Leopold nach München, wo er als Plagiator dem berühmten Komiker Karl Valentin den Ruhm streitig machen will.
Karl Valentin ist derweil der Star der Münchener Unterhaltungsszene. Nicht zuletzt dank seiner kongenialen Partnerin Liesl Karlstadt. Und so ist schon der Name Wellano eine Provokation, denn so lautet auch Liesls bürgerlicher Name. Valentin und Karlstadt haben große Erfolge, aber auch ihre Geheimnisse voreinander. Valentin hat eine Einladung nach Amerika bekommen, die ihn zum Millionär machen würde. Zwei Jahre Auftritte, pro Woche fünftausend Dollar. Allein, die modernen Fortbewegungsmittel liegen Valentin gar nicht. Derweil träumt Karlstadt von einem eigenen Programm im Schauspielhaus, damit sie endlich als Solistin ihr Können zeigen kann. Doch zunächst gilt es, sich den dreisten Angriffen des Doppelgängers zu erwehren.
Lesenswert, wenngleich die Grundidee simpel erscheint
Der Plot von Martin Meyers “Der falsche Karl Valentin” erscheint leidlich spannend. Ein vermeintliches Double will dem großen Meister die Schau stehlen, am Ende geht es, wenig überraschend, um die ganz große Show in Amerika. Gleichwohl der Roman kein Krimi ist, kommt beim ständigen belauern und ausspionieren des jeweils anderen Lagers eine gewisse Neugier auf. Was das Buch aber vor allem zu einer kurzweiligen und durchaus lesenswerten Lektüre macht, ist, dass dem großen deutschen Sprachakrobaten und seiner ebenso großartigen Partnerin ein literarisches Denkmal gesetzt wird. Dabei zeigt sich ein für viele Leser vermutlich unbekanntes Bild.
Valentin ist unausgeglichen, ein Grantler, ständig hadernd mit “seiner Liesl”, ohne die er bestenfalls die Hälfte wert wäre. Ein Misanthrop, ein Hypochonder und Asthmatiker, der erst spät einsieht, dass er professionelle Hilfe benötigt. Dann entdeckt er das autogene Training und schon verschwindet nach und nach seine Angst vor Zügen und – am Schluss sogar – dem Schiff.
Karlstadt ist die gute Seele des Duos, wenngleich sie mit ihrem Schicksal hadert. Valentin sieht sie nicht als Frau oder besser gesagt, lässt sie nicht als solche gewähren. Nicht nur für ihre gelegentlichen Männerbekanntschaften eine undankbare Ausgangslage.
“Hand aufs Herz – haben Sie sich nicht betrogen gefühlt?”
“Nein, warum?”
“Weil’s nicht der echte Valentin war, der bei Ihnen gespielt hat, sondern ein falscher. Ein Betrüger.”
“Nein, weshalb? Warum soll, warum darf es nicht zwei davon geben?”
Leopold Wellano wird als hinterlistiger, aber auch ausgekochter Betrüger dargestellt, der es versteht, dem großen Valentin immer wieder gehörig in die Parade zu fahren. Doch ein entscheidendes Problem kann er nicht lösen: Ohne eine Liesl Karlstadt an seiner Seite, wird er nie die Nummer eins werden.”Soso”, konnotierte er, eine unvalentinesk dünne Replik.
Neben den interessanten Charakteren, die abwechselnd im Mittelpunkt der Handlung stehen, ist zudem der Schreibstil des Autors höchst amüsant. Sperrig und verquer, passt dieser wunderbar in die damalige Zeit und vor allem zu den Protagonisten.
Anspruchsvolle Unterhaltung und eine schöne Erinnerung an den ein wenig in Vergessenheit geratenen, großartigen Sprachartisten.
Cover © Gmeiner
- Autor: Martin Meyer
- Titel: Der falsche Karl Valentin
- Verlag: Gmeiner
- Erschienen: 07/2020
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 310 Seiten
- ISBN: 978-3-8392-2696-4
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 11/15 hochverbeugungsvolle Punkte
Autor: Martin Meyer
Titel:
Verlag: Gmeiner
Umfang: 310 Seiten
Einband: Taschenbuch
Erschienen: Juli 2020
ISBN: 978-3-8392-2696-4