Dave Eggers – Die Parade (Buch)

Die Botschaft will wohl gehört werden

Ein namenloses Land, vom Bürgerkrieg gezeichnet. Hier der arme Süden, wo einst die Rebellen die Macht besaßen, dort die Hauptstadt im reichen Norden. Verbunden bislang mit einer Buckelpiste als Straße; vier Tage benötigte man, um vom Süden in den Norden zu kommen. Nun sind die Rebellen entwaffnet, Hoffnung keimt im armen Teil des Landes auf und der Präsident bereitet die große Parade vor. Dafür soll die inzwischen planierte Straße zu einem asphaltierten Highway ausgebaut werden. Künftig kann man sie mit 120 Stundenkilometern befahren, ein gigantischer Sprung in der Entwicklung des Landes.

Eine Baufirma schickt ihre Super-Asphaltiermaschine namens RS-80 und zwei Mitarbeiter, welche die Arbeiten binnen zwölf Tagen erledigen sollen. Der Zeitplan ist unbedingt einzuhalten, das Image des Konzerns könnte Schaden nehmen. Damit im Falle einer letztlich nicht auszuschließenden Entführung die Mitarbeiter den jeweils anderen nicht hineinziehen, kennen sie nicht ihre wahren Namen. Vier und Neun, so werden sie sich während ihres Auftrages nennen, könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Schnell wird klar, dass Auseinandersetzungen vorprogrammiert sind.

Schwache Charaktere drücken die Geschichte in den Hintergrund

Vier ist der akkurate, stets formal korrekte Beamtentyp preußischer Art. Disziplin und Arbeit nach der Stechuhr. Die Firma und der Auftrag stehen über allem. Deren Vorgaben, beispielsweise keinerlei Kontakt zu Einheimischen aufzunehmen oder deren Speisen zu essen, werden befolgt, nicht hinterfragt. Probleme werden nicht diskutiert, sie werden gelöst.

Die Firma würde von Vier allerdings auch wissen wollen, wie es dazu kommen konnte, dass Neun vom Protokoll abgewichen war. Wo war Vier die ganze Zeit gewesen?, würden sie fragen. Und wieso hatte Vier, als Neuns Vorgesetzter, diese ganze Disziplinlosigkeit erlaubt? Vier würde protestieren, würde erklären, dass Neun trotz seiner Ermahnungen weggefahren war, dass er den Mann nicht kontrollieren konnte. Aber das würde nicht genügen. Viers guter Ruf würde leiden. Vier war für Arbeit ohne Komplikationen bekannt. Ein guter Mitarbeiter meldet keine Probleme; er löst Probleme.

Neun will bei seinem ersten Auftrag hingegen gleich die Gelegenheit nutzen, Land und Leute kennenzulernen. Nicht nur, aber eben auch die Frauen und gegen ein leckeres Essen spricht ja ebenfalls nichts. Dass er immer wieder verschwindet und Vier damit zur Weißglut treibt, versteht sich von selbst. Eine gewalttätige Konfrontation scheint nicht ausgeschlossen.

Vier dachte an Typhus. Die Typhusgefahr in diesem Gebiet war hoch, und er wollte gar nicht daran denken, dass eines der Kinder womöglich erkranken würde, weil ihm beim sorglosen Herumtollen verseuchtes Wasser in den Mund spritzte. Falls das passierte, welche Hilfe stand ihnen dann zur Verfügung? Von hier bis zur Hauptstadt gab es keine Ärzte.
Einer der Jungen, größer als die anderen, fing an, in Richtung Brücke zu winken. Vier schaute genauer hin und sah, dass es kein Junge war, der da winkte, sondern ein Mann. Ein schlanker Mann mit langen Haaren. Es war Neun.

Dass der in der Literaturszene hoch angesehene Dave Eggers, der zuletzt mit “The Circle” einen internationalen Bestseller landete, derart hölzerne und eindimensional wirkende Figuren kreiert hat, kann nur einen Grund haben: Die Botschaft der Geschichte ist wichtiger als die Geschichte selbst. Tatsächlich greift Eggers in dieser als Roman titulierten Parabel das Thema Entwicklungshilfe auf und kommt zu dem Fazit, dass diese stets auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden muss. Das Richtige wollen heißt eben nicht zwangsläufig, das Richtige zu machen. Wer verdient am Straßenbau? Kann man Einheimischen trauen, die einst als Rebellen in den bewaffneten Kampf zogen? Dient die neue Straße wirklich nur der Verbesserung der Mobilität für die arme Bevölkerung? Was hat es mit der großen Parade auf sich? Und letztlich: Wollen sich nicht doch immer nur alle irgendwie bereichern?

Nach der Lektüre bleiben Fragen offen und regen zum Nachdenken an. Manche sagen, dies sei – neben der reinen Unterhaltung – Aufgabe der Literatur.

Cover © Kiepenheuer & Witsch

Wertung: 11/15 dpt

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