Die „111 Gründe“-Reihe ist ein paradoxes Phänomen. Das Format wurde ja nicht aus Liebe zu den Themen erschaffen, sondern als Marke für berechenbaren Absatz. Wäre es in Deutschland populär und erlaubt, privat Waffen zu besitzen, gäbe es auch „111 Gründe, das eigene Scheißeisen zu lieben“. Womöglich würden sich sogar Autoren für speziellere Versionen finden, so etwa „111 Gründe, seine Pumpgun zu lieben“ oder „111 Gründe, wieso der Revolver das einzig Wahre ist“. In der noch recht schmalen Musiksparte der Reihe nun also: der Jazz. Geschrieben von einem echten Kenner und Liebhaber, sein gesamtes Berufsleben lang Vermittler dieser wohl vitalsten aller Musiken, Vermittler in Wort und Bild. Man merkt, dass viel Hirn und Herz in diese 111 Kapitel geflossen ist, die genauso gut als Einzelwerk hätten entstehen können, die aber nur entstanden sind, weil ein ökonomisch kalkulierender Verlag das Format vorgegeben hat und Honorar für die Mühe zahlt. Das ist das Paradoxe an dem Geschäft. Es ermöglicht den Passionierten, ihre Passion zu vermitteln, da auch sie nicht nur vom Blutspenden leben können, selbst wenn es Herzblutspenden ist.
Wer diesen dicken Band nun durchschmökert, wird unweigerlich Geld ausgeben. Zu anregend ist es schlichtweg, noch mal von Bekanntem wie der Entstehung von „A Love Supreme“ zu lesen, als John Coltrane sich mit drei weiteren Männern traf, um „eine Lobpreisung Gottes via improvisierter Musik zu formulieren“. Auf Basis von „ein paar Skizzen und einem Gedicht“. Oder wenig Bekanntes zu lesen wie die Geschichte von Chano Pozo, dem Heißsporn, der zusammen mit dem weitaus berühmteren Dizzy Gillespie dem US-Jazz die rhythmischen Mauern einriss. Ganz Unbekanntes zu vernehmen wie Cab Calloway als Ahnherrn des Rap, gleich auf mehreren Ebenen. Oder sich einfach nur nochmal in aufgeräumter, klarer Sprache zu vergegenwärtigen, wieso Frank Sinatra dermaßen großartig war. Sich außerdem zu freuen, dass es noch Bücher gibt, die auf Hochglanzpapier Fotostrecken einbauen, stilvoll in Schwarzweiß und im Querschnitt direkt zu erkennen. Weil dann doch Liebe drinsteckt, auch seitens des Verlags. Oder wenigstens das Gewissen, die Reihe gut zu machen. Unterm Strich zieht man dann los und kauft Platten. Oder CDs. Tapes. Tonbänder. Was auch immer. Weil man es alles noch mal hören und besitzen möchte. Das macht ein Buch wie dieses auch, und das ganz ohne Berechnung.
- Autor: Ralf Dombrowski
- Titel: 111 Gründe, Jazz zu lieben
- Verlag: Schwarzkopf & Schwarkopf
- Erschienen: 11/2019
- Einband: Premium-Paperback
- Seiten: 264
- ISBN: 978-3-86265-804-6
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