Würde man einen Preis ausloben, mit dem die unsympathischste Protagonistin eines Kriminalromans gekürt würde, so hätte Ursula Lopez, die Hauptfigur des aktuellen Romans von Mercedes Rosende, beste Chancen für eine Nominierung. Übergewichtig, um nicht zu sagen fett, zynisch und unberechenbar boshaft sind nur drei Attribute, die ihren Charakter ansatzweise beschreiben. In die meisten Klamotten passt sie nicht rein, hat Probleme beim Treppensteigen wenn sie ihre Wohnung im fünften Stock erreichen will und auch ihre Termine bei Weight-Watchers und eine daraus resultierende Suppendiät sind von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Sie kämpft mit den Geistern ihrer Vergangenheit, führt Zwiegespräche mit dem längst unter denkwürdigen Umständen verstorbenen Vater und beneidet ihre gutaussehende, verheiratete Schwester. Derweil bietet Ursulas eigenes Leben wenig Abwechslung und so gilt es schon als Highlight, dass sie ab und an in einer Fernsehsendung als Statistin aus dem Publikum ihrem Unmut freien Lauf lassen darf. Ein jämmerliches Leben, welches sich auf den ersten knapp neunzig – von insgesamt rund zweihundert – Buchseiten ausbreitet. Es spricht für den Schreibstil der Autorin, dass man an dieser Stelle das Buch noch immer in der Hand hält und sich trotzdem gut unterhalten fühlt, denn nur kurzzeitig wurde eine Entführung angedeutet. Also scheint es ja doch noch ein Kriminalroman werden zu können und so folgt auf den Seiten 89 und 90 ein Anruf der Entführer.
Man habe ihren Ehemann entführt und fordere eine Millionen Lösegeld. Ein Irrtum, denn selbstredend hat Ursula keinen Ehemann. Stattdessen versucht sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit in das Leben fremder Menschen einzumischen; ein böser Voyeurismus inklusive. Nun wäre der Krimi zu Ende bevor er angefangen hätte, wenn sich auf den verbleibenden hundert Seiten nicht noch eine wahnwitzige Story entwickeln würde, die für die überlange Startphase mehr als entschädigt. Ursula wittert ein Abenteuer, eine Abwechslung zum täglichen Einerlei und lässt sich auf das angebotene Spiel ein. Zunächst stellt sie fest, dass es sich bei dem Entführten offenbar um den Geschäftsmann Santiago Losada handelt, der auf dem Weg zum Flughafen war. Dessen Frau heißt ebenfalls Ursula Lopez, womit die Verwechslung geklärt wäre. Die falsche Ursula ruft die “echte” Ursula an und erfährt zu ihrer Überraschung, dass diese zwar gerne das Lösegeld zahlen will, an einer Rückkehr ihres Mannes aber keinerlei Interesse hat; ganz im Gegenteil.
Mercedes Rosende legt mit “Falsche Ursula” einen kurzen wie kurzweiligen Plot vor, der von einem dunklen Humor geprägt ist und die Grenzen des Krimigenres gekonnt ignoriert. So wird sich zeigen, dass sich fast alle Personen nahe am Abgrund bewegen und es nicht für alle ein Happyend geben wird. Über die Geschichte darf nicht mehr verraten werden, außer dass die zahlreichen Pirouetten ebenso plötzlich wie inhaltlich überraschend daherkommen. Großes, sprachgewaltiges und humorvolles Kopfkino von der aus Uruguay stammenden, preisgekrönten Autorin.
Cover © Unionsverlag
- Autor: Mercedes Rosende
- Titel: Falsche Ursula
- Originaltitel: Mujer equivocada
- Übersetzer: Peter Kultzen
- Verlag: Unionsverlag
- Erschienen: 02/2020
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 204
- ISBN: 978-3-293-00559-4
- Sprache: Spanisch
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