Colin Dexter – Gott sei ihrer Seele gnädig (Buch)


Allen Fans von Colin Dexter (1930-2017) sei vorweggesagt, dass dieser soeben im Unionsverlag erschienene Roman kein neuer Krimi des vielfach preisgekrönten Autors ist. “Gott sei ihrer Seele gnädig” erschien bereits 1990 im Rowohlt Taschenbuch Verlag unter dem Titel “Mord am Oxford-Kanal”. Womit wir beim einzigen Makel dieses vorzüglichen Buches wären, denn womöglich greift jemand aufgrund des neuen Titels zu, obwohl er das Buch unter dem alten Titel bereits kennt. Unschön!

Vom Buchtitel abgesehen bietet “Gott sei ihrer Seele gnädig” nicht nur äußerst kurzweilige Unterhaltung, sondern auch einen denkbar ungewöhnlichen Krimiplot. Inspector Morse mag gern ein paar Bierchen, unabhängig von der Tageszeit, mehr als gelegentlich einen Whisky und zudem Zigaretten. Da seine Hobbies ansonsten aus Musik und Lesen bestehen und er jegliche körperliche Ertüchtigung ablehnt, erhält er eines Tages die Quittung. Zum Glück an einem Samstag, denn so findet ihn seine Putzfrau Mrs Green gerade rechtzeitig, um ihn in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Magenblutungen und ein ordentliches Magengeschwür lautet die Diagnose. Noch einmal Glück gehabt, zumindest mehr als sein Bettnachbar Wilfrid Deniston, der in der folgenden Nacht verstirbt.

“Und wer war das?”
“Sie durften eben einen Auftritt unserer verehrten Oberschwester beiwohnen, gleichermaßen humorlos wie effizient. Eine Art calvinistische Mrs Thatcher.”

Deniston schrieb einst eine kleine Abhandlung über ein Verbrechen unter dem Titel “Mord am Oxford-Kanal”, welches er dem Kriminalisten hinterlässt. Morse, zwangsweise ans Bett gefesselt, beginnt eher widerwillig mit der Lektüre, die ihn jedoch zunehmend packt. Am 22. Juni 1859, also vor 130 Jahren, wird die Leiche der 38-jährigen Joanna Franks im Oxford-Kanal gefunden. Sie befand sich auf einer Fahrt von Liverpool nach London, wo sie ihren zweiten Ehemann treffen wollte, der dort seit einiger Zeit arbeitet. Doch während der mehrtägigen Fahrt auf einem Kahn namens “Barbara Bray” kommt es zu Verwerfungen mit den vier Besatzungsmitgliedern. Vermehrter Alkoholkonsum und sexuelle Nachstellungen soll es gegeben haben und so wird später wegen Mordes ermittelt. Zwei der Schifffahrer werden letztlich zum Tod durch den Strang verurteilt.
Inspector Morse löst über 100 Jahre alten Fall vom Krankenbett

Während der Lektüre des Berichts fallen Morse einige Ungereimtheiten auf, so ist beispielsweise kein Motiv erkennbar. Auch scheint es, dass damals nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Justiz ihr Urteil bereits vor dem Prozessbeginn gefasst hatte. Ein Unding für Morse, der aus Langeweile versucht, den Fall gewissermaßen neu aufzurollen. Die Tochter eines Bettnachbarn, die als Bibliothekarin arbeitet, und Detective Sergeant Lewis übernehmen die Laufarbeit und versorgen Morse mit weiterem Lesematerial. Nach und nach kommt Morse der Lösung des Falles näher und bietet letztlich eine überraschende Lösung.

Wer ungewöhnliche Plots mag liegt hier genau richtig. Ansonsten bekommt man das, was man aus der Morse-Reihe kennt. Der hier vorliegende achte Fall (von insgesamt 13) bietet besten britischen Humor und einen kauzigen, übergewichtigen Ermittler in den 50er Lebensjahren, der seit Lesergedenken Junggeselle ist. Obwohl sich im vorliegenden Fall gleich drei Frauen für ihn “interessieren”, bleibt letztlich doch alles beim Alten. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, wann der erste Whisky wieder im Glas ist.

“Sehen Sie, Lewis, dies ist eines der geschicktesten und elegantesten Täuschungsmanöver, die mir je untergekommen sind. Die Widersprüchlichkeiten dieses Falls, oder jedenfalls die meisten, lösen sich sofort auf, wenn wir uns trauen, in den Bereich der spekulativen Unwahrscheinlichkeit vorzustoßen.”

Für Freunde britischer Krimikunst und witziger Dialoge bietet die Neuveröffentlichung eine gute Gelegenheit, den bekannten Inspector – sofern nicht längst geschehen – für sich zu entdecken. Mehrere Auszeichnungen mit dem CWA Silver, Gold und dem Diamond Dagger (letzteren gab es für sein Lebenswerk) sprechen für sich.

Cover © Unionsverlag

  • Autor: Colin Dexter
  • Titel: Gott sei ihrer Seele gnädig
  • Originaltitel: The Wench is Dead
  • Übersetzer: Christiane Friederike Bamberg
  • Verlag: Unionsverlag
  • Erschienen: 02/2020
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 202
  • ISBN: 978-3-293-20839-1
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 13/15 dpt

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share