Ulrich Ladurner: Der Fall Italien. (Buch)


Der Fall Italien

Warum bringt die Politik Italiens so spezielle Persönlichkeiten hervor und warum passieren dort scheinbar unverständliche Dinge?

Verschiedene Klischees prägen das Italienbild in Deutschland – von Mafia bis hin zu Dolce Vita, von alltäglichem Chaos bis hin zu Schlendrian. Diese Stereotypen sind zwar nicht ganz aus der Luft gegriffen und enthalten ein Körnchen Wahrheit. Jedoch erfassen sie die italienische Gesellschaft und Politik nicht ausreichend und verstellen manchmal sogar den Blick auf sehr spezielle Entwicklungen.

Ein Land, das viele Deutsche von Restaurantbesuchen hier und Urlaubsreisen dort kennen, dessen Entwicklungen der letzten 30 Jahre aber nicht wirklich präsent sind. Ausgehend vom Einsturz der Morandi-Brücke in Genua erklärt Ladurner anhand von 3 Personen, die auf ihre Weise die Politik des Landes prägten und zum Teil noch prägen, was dort seit Anfang der 1990er Jahre passierte. Dabei handelt es sich um Silvio Berlusconi, Matteo Salvini und Luigi Di Maio.

Der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges waren wichtige Meilensteine in ganz Europa, veränderte sich Westeuropa nicht so tiefgreifend wie die ehemals auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs liegenden Länder. So blieb beispielsweise in der Bundesrepublik, in Frankreich, Spanien oder anderen Ländern Parteiensystem weitgehend – außer in Italien.

Dort regierten nach dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen in verschiedenen Koalitionen die Christdemokraten (DC), während die Kommunisten (PCI) als zweitstärkste Partei nie offiziell Regierungsverantwortung erlangten. Das Aufdecken der jahrzehntelang praktizierten Korruption (Tangentopoli) führte im Zuge der Ermittlungen des Mailänder Staatsanwältepools „Saubere Hände“ (Mani Pulite) zum Zusammenbruch der bisher prägenden politischen Kräfte: Die DC löste sich auf, während sich die PCI zu einer sozialdemokratischen Partei wandelte.

In das Vakuum, das die DC ließ, stieß ein bis dahin zumindest außerhalb Italiens nicht sehr bekannter Mailänder Unternehmer namens Silvio Berlusconi mit seiner Parteigründung Forza Italia (= „Vorwärts Italien“ – ein Schlachtruf aus dem Fußball diente als Name), deren Funktionsweise eher einem Unternehmen oder einer Werbeagentur ähnelt als einer demokratischen Partei. Er schaffte es, sich im Gegensatz zur bisher gewohnten politischen Klasse als Unternehmer und als Mann aus dem Volk – das von ihm grundsätzlich positiv und als Kontrast zur politischen Klasse dargestellt wurde – zu präsentieren.

Ähnlich stellen sich auch Salvini von der Lega – anfangs noch Lega Nord mit ihren separatistischen Bestrebungen – und Di Maio von der 5-Sterne-Bewegung als Vertreter des Volkes dar. Typisch für Populisten ist es, das Volk als scheinbar homogene Masse und im Gegensatz zu einer angeblich abgeschlossenen politischen Klasse zu sehen. Auch wenn sich ihre Inhalte zum Teil unterscheiden, ähneln sich Lega und 5 Sterne in diesem Punkt.

Für deutsche Leserinnen und Leser von Interesse ist neben der Beschreibung der Entwicklung von Forza Italia und Lega auch jene der 5-Sterne-Bewegung, die ähnlich wie Forza Italia nach deutscher Rechtslage keine Partei wäre und folglich an keiner Bundestagswahl teilnehmen könnte.

Gerade die 5 Sterne sind weniger eine Graswurzelbewegung oder eine Art italienische Piratenpartei, als die sie mitunter hierzulande gesehen werden, sondern eine Gruppierung, deren Herzstück ein privates Unternehmen des inzwischen verstorbenen Gründers Gianroberto Casaleggio ist. Dazu gehört beispielsweise die Internetplattform Rousseau. Über diese Plattform werden parteiinterne Abstimmungen (z.B. über Regierungsbeteiligungen oder Ausschlüsse nicht mehr linientreuer Abgeordneter) durchgeführt. Von Transparenz oder einem freien Mandat der Abgeordneten kann hier keine Rede sein. Der Autor bringt es mit einem treffenden Vergleich auf den Punkt: Wie seltsam käme es uns vor, wenn Facebook als privates Unternehmen plötzlich eine eigene Partei gründete?

Als Gallionsfigur der Partei dient der Komiker Beppe Grillo, der bei seinen Veranstaltungen den Eindruck erweckt, in Italien herrsche eine Diktatur, die sich nur demokratisch gebe. Heute üben er und Casaleggios Sohn Davide die Kontrolle darüber aus, wer für die Partei in Parlamenten sitzen und wer mit ihrem Logo und in ihrem Namen Wahlkämpfe führen darf.

Auch wenn es der Untertitel des Buches vermuten lässt, geht es nicht nur um die Rolle von Gefühlen in der italienischen Politik und ihrer Dominanz gegenüber nachprüfbaren Fakten. Stattdessen erklärt der Autor, warum sich ein uns auf den ersten Blick so wohlbekanntes Land in eine so spezielle Richtung entwickelt und scheinbar befremdliche Figuren wie Berlusconi und andere hervorgebracht hat. Für all jene, die mehr über dieses uns nahe und in manchen Aspekten gleichzeitig ferne Land erfahren möchte, sei dieses Buch empfohlen, in dem man viel erfährt und zumindest verstehen kann, warum dort für uns auf den ersten Blick unverständliche Dinge passieren konnten.

  • Autor: Ulrich Ladurner
  • Titel: Der Fall Italien. Wenn Gefühle die Politik beherrschen
  • Verlag: Edition Körber
  • Erschienen:  2019
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 232
  • ISBN: 978-3-89684-273-2
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag

Wertung:  14/15 dpt

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