Brillanter Roman im Stil einer Reportage
Bereits 2012 erschien “Öl auf Wasser” im Verlag Das Wunderhorn und erhielt 2013 den Deutschen Krimipreis (International). 2019 erschien der preisgekrönte Roman in der in Krimi-Fachkreisen hochgelobten und von Thomas Wörtche begründeten metro-Reihe im Unionsverlag. Dabei sind die weltweit spielenden Romane der metro-Reihe auch als Reiseliteratur geeignet, denn sie verraten viel über die Zustände des jeweiligen Landes, in dem sie spielen, wenngleich man im vorliegenden Roman wohl von einer Reise abraten sollte. Vom Bürgerkrieg gezeichnet und die Kolonialzeit scheinbar überwunden ist Nigeria noch immer ein brandgefährliches Land, vor allem für Ausländer, die selber oder deren Angehörige für die Ölindustrie arbeiten.
“Ölplattformen.”
“Und warum haben die Rebellen die Pipelines hier nicht in die Luft gejagt?”
“Weil die Ölgesellschaften sie dafür bezahlen, dass sie das nicht tun.”
“Oder die Ölgesellschaften haben die Soldaten bezahlt, die Rebellen fernzuhalten.”
“Oder das. Ja.”
James Floode ist so ein reicher Ausländer mit hoher Stellung in einem Ölkonzern, der in einem von Villen geprägten und streng bewachtem Nobelviertel von Port Harcourt lebt. Unter seinem beruflichen Erfolg leidet sein Privatleben und so reist seine Frau Isabel aus London an, um einen letzten Versuch zu unternehmen, die Ehe noch irgendwie zu retten. Stattdessen wird sie entführt, ihr Fahrer Salomon als Täter verdächtigt. Rebellen, die der Ölindustrie den Kampf angesagt haben, melden sich mit einer Lösegeldforderung und verlangen, dass zunächst fünf Journalisten sich vor Ort überzeugen, dass Isabel noch lebt. Es geht auf Agbuki Island; unter den Journalisten befindet sich der junge Rufus, der die große Story wittert. Er ist aber vor allem dabei, da sich in der kleinen Gruppe ein Mann namens Zaq befindet, einst der Superstar unter den Reportern aus Lagos.
“Was genau sollen wir denn schreiben?”
“Das spielt keine Rolle, nur denkt immer daran: Kommt auf den Punkt, bleibt nah dran an der Sache. Je weiter ihr von Zuhause weggeht, desto näher kommt ihr Sibirien. Prägt euch das ein.”
Auf Agbuki Island finden die Journalisten nur noch die Überreste eines offenbar kurzen Kampfes vor, den das Militär für sich entschieden konnte. Der Anblick der Leichen treibt die Journalisten zum Rückzug, nur Rufus und Zaq sind entschlossen, den Auftrag zu erfüllen. Schon bald gerät ihr Leben in Gefahr, denn wie schon die einheimischen Dorfgemeinschaften geraten auch sie in das brutale Kräftemessen von Militär und Rebellen. Zaq, inzwischen ein Schatten seiner selbst, vom Alkohol und einer lebensbedrohlichen Krankheit gezeichnet, ist für Rufus kaum noch eine Hilfe, der sich wiederum seiner eigenen Vergangenheit stellen muss…
In Port Harcourt, aber vor allem in der Fluss- und Insellandschaft des Nigerdelta, spielt “Öl auf Wasser”, der zwar als Kriminalfall deklariert ist, die klassischen Konventionen des Genres jedoch kaum bedient. Eine Frau wurde entführt, wer die Entführer sind ist weitgehend klar, allein die Frage, ob sie noch lebt beziehungsweise überlebt steht noch ungeklärt im Raum. Das Krimigenre hat sich Helon Habila zu eigen gemacht, um ein breiteres Publikum zu erreichen, denn primär geht es ihm um die Darstellung eines Umweltskandals von unfassbarem Ausmaß.
“Diese Menschen ertragen die schlimmsten Bedingungen aller Ölförderländer dieser Welt, die Regierung weiß das, hat aber nicht den Willen, dem Einhalt zu gebieten, die Ölgesellschaften wissen es ebenfalls, aber weil es der Regierung nichts ausmacht, macht es ihnen auch nichts aus.”
Multinationale Konzerne, deren Eigentümer und Hauptaktionäre in den alten Kolonialstaaten sitzen, rauben die Ölreserven des Landes mit größtmöglicher Brutalität und Gewinnmaximierung aus. Möglich wird dies durch ein hohes Maß an Korruption zwischen Konzernen, Staat und Militär. Auf der Strecke bleiben, wie so oft, die Einheimischen; uralte Dorfgemeinschaften, die zunächst davon träumen, endlich ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Der versprochene Wohlstand täuscht, denn die allgegenwärtigen Abgasfackeln sprühen ungezählte tausende Liter Öl direkt auf das Wasser. Die Folgen sind eine verseuchte Umwelt und damit einhergehend ein großes Fischsterben, was bislang die Lebensgrundlage der Dörfer im Nigerdelta war. Alte Dorfgemeinschaften, zudem zwischen der Gewalt von Militär und Rebellen aufgerieben, brechen auseinander, junge Leute fliehen entweder in die Stadt und hoffen auf einen Job oder schließen sich den Rebellen an. Kulturen zerfallen, Flüchtlingsströme entstehen.
“Einmal entdeckten wir einen am Ellbogen abgetrennten menschlichen Arm, der an uns vorbei tanzte; die Finger öffneten und schlossen sich zur Faust, als lockten sie. Noch immer sehe ich diesen abgetrennten Arm in meinen Träumen, wie er davon treibt und manchmal verächtlich den Mittelfinger reckt, bevor er im dunklen Dunst verschwindet.”
“Öl auf Wasser” hat von seiner Aktualität nichts verloren und bietet durch die gewählte Erzählperspektive, der Protagonist Rufus fungiert als Ich-Erzähler, einen intensiven Einblick in eine düster-schaurige Apokalypse der besonderen Art. Die Szenarien springen zeitversetzt hin und her, ein wenig Aufmerksamkeit ist gefragt, lohnt sich jedoch auch dank der Sprachgewalt des Autors.
Cover © Unionsverlag
- Autor: Helon Habila
- Titel: Öl auf Wasser
- Originaltitel: Oil On Water
- Übersetzer: Thomas Brückner
- Verlag: Unionsverlag
- Erschienen: 01/2019
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 253
- ISBN:978-3-293-20829-2
- Sprache: Englisch
- Sonstige Informationen:
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