Outback – (Buch)

Mitreißender Pageturner

Rivers End, ein Kaff irgendwo im Outback. Schon am Morgen hat es dreißig Grad, nachmittags über vierzig. Laut Ortsschild leben hier achthundert Menschen, doch viele Häuser und Geschäfte stehen leer. Wer nicht vor der Einsamkeit und Hitze geflohen ist, der hat womöglich den Ort verlassen, nachdem vor einem Jahr ausgerechnet der Pfarrer, Byron Swift, kurz vor Beginn des Gottesdienstes zum Gewehr griff und fünf Menschen kaltblütig erschoss. Der junge Constable Robbie Haus-Jones erschoss daraufhin den Pfarrer, nachdem dieser auch auf ihn gezielt hatte.

Zwölf Monate später besucht der Journalist Martin Scarsden den Ort, um wieder Tritt zu fassen. Als damals das Massaker stattfand, lag er drei Tage und Nächte eingesperrt in einem Kofferraum. Er arbeitete im Mittleren Osten; der Vorfall ereignete sich, als er mit seinem Fahrer fluchtartig den Gaza-Streifen in Richtung Israel verlassen wollte. Scarsden litt Todesangst und soll nun wieder zurück ins Leben finden. Sein Auftrag klingt einfach: Nochmals aufschreiben was damals passierte und wie sich der Ort seitdem verändert hat. Was hat das Massaker mit den Menschen, die in Rivers End geblieben sind, gemacht?

Gier und Hass, Schuld und Hoffnung

Die Ausgangslage ist denkbar einfach. Der Pfarrer lief Amok, Täter und Opfer sind bekannt, der Fall ist weitgehend zu den Akten gelegt. Allein die Antwort auf die Fragen, warum dies alles passierte und ob die Opfer zufällig oder absichtlich ausgewählt wurden, stehen noch ungeklärt im Raum. Scarsden lernt in einer unwirtlichen Gegend, die von Staub und unerträglicher Hitze geprägt ist, mehrere Einwohner kennen und erkennt bald, dass diese mehr oder weniger große Geheimnisse mit sich herumtragen. Da ist die attraktive Mandalay die behauptet, der alte Harley Snouch habe ihre Mutter vergewaltigt und sei ihr Vater. Laut Snouch war er mit Mandalays Mutter damals verlobt, doch zum Zeitpunkt der Zeugung nicht mit ihr zusammen. Nur eine der beiden Aussagen kann stimmen. Eine Verwirrung, die Scarsden noch häufiger begegnen wird.
Teils arg konstruiert wirkender Plot inklusive Medienschelte

Nach und nach kommt er vermeintlich den Ereignissen auf die Spur. Der amoklaufende Pfarrer, dem auch Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde, und der vergewaltigende Snouch werden zu den Protagonisten seiner Berichterstattung, doch stellt sich bald heraus, dass er hier ein wenig zu voreilig war. Sicher, der Pfarrer hat die fünf Morde verübt, aber ob er deswegen der Mörder der beiden deutschen Backpackerinnen war, die kurz vor seinem Amoklauf getötet wurden und deren Leichen erst jetzt entdeckt werden, ist zumindest fraglich.

Ein junger Mann also, dessen Leben eine Lüge ist. Aber weder Mandy noch Codger schenken diesem Vorwurf Glauben. Und jetzt? Warum hat Byron Swift gesagt: “Harley Snouch weiß alles”, bevor Robbie Haus-Jones ihn erschoss? Was wusste Harley Snouch? Wenn Snouch von dem Kindesmissbrauch wusste, warum hat Swift fünf Menschen erschossen und Robbie Haus-Jones mit seinen letzten Worten auf den Alten zugesteuert? Nichts ergibt irgendeinen Sinn.

Neben einem packenden Kriminalfall, in dessen weiteren Verlauf noch weitere Morde aufzudecken sind, erzählt der hauptberuflich als Journalist tätige Chris Hammer, zudem ausführlich über die Schattenseiten der sensationsgierigen Presse. Man geht über (andere) Leichen, Hauptsache man hat die Titelseite sicher – und dies vor der Konkurrenz. “Outback” lebt von kauzigen Figuren, die teils aufgrund der Hitze nackt in ihrem Haus sitzen und sich … – genau dort – ungeniert kratzen. Mit zunehmender Seitenzahl wird die Handlung verwirrender, kommen neue Details und Verbrechen hinzu. Der Plot nimmt immer mehr Fahrt auf und wie am Ende die teils arg konstruiert wirkende Handlung aufgelöst wird, ist beeindruckend. Ein, zwei Wendungen weniger hätten der Handlung allerdings nicht geschadet; sei es drum. Es sollte aber noch erwähnt werden, dass teils “höhere Mächte” am Werk sind und daher selbst die Australian Security Intelligence Organisation, kurz der Geheimdienst ASIO, mitwirkt. Wer kauzige Figuren, eine außergewöhnliche Ausgangslage und eine ebensolche Kulisse mag, der entdeckt hier einen aus der Masse herausragenden Pageturner, in dem nahezu alle menschlichen Stärken und Schwächen zu finden sind.

“Ich war ein zuverlässiger Zeuge, als Sie das letzte Mal hier waren. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nichts Unrechtes getan habe. Und auf Springfields habe ich Ihnen gesagt, dass ich nie jemanden vergewaltigt habe. Und Sie haben es trotzdem geschrieben. Haben es groß rausgebracht, mit dicken Schlagzeilen. Sie hätten zuhören sollen, aber das haben Sie nicht getan. Vielleicht tun Sie es ja jetzt.”

Star der Handlung ist übrigens keineswegs der Protagonist Martin Scarsden, der mit seinen voreiligen Texten teils ordentlich Schaden anrichtet, sondern die karge Landschaft. Extreme Temperaturen und plötzlich aufkommende, nahezu alles vernichtende Buschfeuer sind nicht unüblich. Was bleibt, ist die Tristesse am Ende der Welt beziehungsweise in (dem fiktiven) Rivers End.

Cover © S. Fischer/Scherz

Wertung: 12/15 dpt

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