Warum ist der Mensch damals von den Bäumen gekommen und hat sich die Erde einverleibt? War es Übermut? Ein Evolutionsprogramm? Oder doch Trunkenheit?
Der Linguist und Literaturwissenschaftler Mark Forsyth findet in seiner „Kurzen Geschichte über die Trunkenheit“ den Grund in Form überreifer Früchte, die, ungeerntet, auf dem Boden lagen, in ihrer Überreife nichts anderes als ein höchst geschmackvolles, süßes Bouquet verströmten, das so unwiderstehlich auf die ersten Menschen gewirkt haben muss, dass sie die Angst vor dem Säbelzahntiger für kurze Zeit vergaßen, nur um diese so wundervoll riechende Früchte aufzulesen.
Doch dann geschah noch etwas anderes: Es war nicht nur der Zucker, sondern die beginnende, bei manchen Früchten sicherlich auch schon weiter fortgeschrittene Gärung, die den Fruchtzucker in berauschenden Alkohol umwandelte. Und damit nahm das Elend in Form der Trunkenheit seinen torkeligen Lauf. Schnapsideen wurden geboren, zahllose zahnlose, weil imaginierte Tiger wurden bezwungen, bei anderen traf man mal final daneben. Doch mit dem Alkohol kam auch der Mut, der Übermut und so manche Idee, auf die sich der Baumsitzer gar niemals nicht eingelassen hätte.
Mark Forsyth chronologisiert sich durch die Menschheitsgeschichte, identifiziert punktgenau die Punkte, an denen Herstellung, Lagerung und Konsum von Alkohol einschneidend für die Entwicklung des Menschengeschlechts waren, beschreibt wann wo und wie Alkohol entweder als sine qua non oder absolutes Tabu für die gesellschaftliche, politische und philosophische Teilhabe war und ist.
Für die Perser eine Voraussetzung zur politischen Debatte, war der Alkohol für die alten Griechen ein Mittel zur Selbstdisziplinierung und im antiken Ägypten Bedingung für spirituelle Ekstase und Erleuchtung. Sich einen zu genehmigen kann religiöse oder sexuelle Gründe haben, es kann Könige stürzen und Bauern erheben.
Mark Forsyth gelingt eine höchst spritzige und amüsante Kulturgeschichte. Wer der germanischen Populärwissenschaftsprosa gegenüber kritisch eingestellt ist, findet hier ein exzellentes Beispiel aus dem angelsächsischen Raum vor. So kann man ein Thema substantiell seriös behandelt und zugleich recht hohe Ansprüche an Entertainment und Page-Turner-Qualitäten ausspielen.
Bleibt am Ende eines jeden Sachbuchs nur noch die Frage nach dem cui bono. Tagespolitisch dürfte es eher irrelevant sein, wahnsinnig neue Erkenntnisse liefert es auch nicht. Aber eine wichtige Erkenntnis liefert Forsyth über den Sachgegenstand hinaus: Es erzählt vom Menschen, wie er mit all seiner inneren Widersprüchlichkeit und Ambiguität sich selbst immer wieder neu verhandelt, sich neu definiert, gruppiert und ausschließt. Für all das erfindet nicht nur der homo alcoholicus metaphysische Gründe, denn einfach nur so, Lust am Genuss, an dem zweck- und scheinbar sinnlosen Laben, das geht natürlich nicht. Das Labern geht dann über das Laben. Und genau das macht diese Spezies so amüsant und lehrreich – genau wie dieses Buch!
Cover © Klett-Cotta
- Autor: Mark Forsyth
- Titel: Eine kurze Geschichte der Trunkenheit. Der homo alcoholicus von der Steinzeit bis heute.
- Originaltitel: A Short History of Drunkenness. How, why, where and when mankind has got merry from the Stone Age to the present
- Übersetzer: Dieter Fuchs
- Verlag: Klett Cotta
- Erschienen: 2019
- Einband: gebunden
- Seiten: 371
- ISBN: 978-3-608-96407-3
- Sonstige Informationen: „Eine kurze Geschichte der Trunkenheit” bei Klett Cotta
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Wertung: 13/15 Dioptrien