Jock Serong – Fischzug (Buch)


Millionen für Abalonen

Melbourne. Nachdem der Rechtsanwalt Charlie Jardim vor Gericht seine Nerven einmal mehr nicht unter Kontrolle hatte und einen Richter beleidigte, ist er seine Zulassung vor Gericht vorerst los. Nicht nur seine Karriere könnte dahin sein, in seinem Privatleben sieht es kaum besser aus, denn seine Freundin Anna will auch nicht mehr. Jardim muss die Kurve kriegen und dabei seine Wut- und Angstattacken in den Griff bekommen. Eine womöglich letzte Chance bietet ihm sein alter Mentor, Staatsanwalt Harlan Weir, der im Namen der Krone in einem Mordfall ermittelt.

Dieser ereignete sich in der Kleinstadt Dauphin im Staat Victoria und scheint recht klar zu sein: Matthew Lanegan stand nach einem zwielichtigen Auftrag für Toby Murchison und Mick McVean sein vereinbarter Lohn aus. Man traf sich auf dem Boot der Murchisons, wenig später ging Matthews eigenes Boot in Flammen auf. Zurück blieb dessen verkohlte Leiche, versehen mit einem Einschussloch im Kopf. Sein Bruder Patrick gab den vorgenannten Sachverhalt bei der Polizei zu Protokoll, seitdem sitzen die Tatverdächtigen, Murchison und McVean, in Untersuchungshaft. Allein, für Jardim und Weir wird schnell klar, dass die Aussage von Patrick so nicht stimmen kann. Wenig begeistert fährt Jardim in das verschlafene Dauphin und versucht, die Wahrheit herauszufinden. Schnell muss er feststellen, dass diese nicht alle Menschen interessiert …

Eine Kleinstadt und ihre Geheimnisse

Jock Serong erzählt mit „Fischzug“ eine ruhig angelegte Geschichte, die von ihren teils verschrobenen Charakteren lebt. In der Kleinstadt Dauphin, wenige Autostunden von Melbourne entfernt, gelten eigene Gesetze. Streitigkeiten werden nicht „bei einem Glas Prosecco beim Italiener an der Ecke“ ausgetragen, es gilt oft noch das alte Faustrecht, selbst unter Brüdern. Matthew und Patrick sind in Dauphin verschrien, zu oft sorgten sie für Ärger, wenngleich sie einen traurigen Hintergrund haben. Die Eltern verstorben, müssen sie sich um die drei jüngeren Geschwister kümmern, wobei das Geld meist knapp ist. So arbeiten sie für die Murchisons, von denen die meisten Einwohner der Stadt in irgendeiner Form abhängig sind.

Sie hob den Kopf von der Brust ihres Mannes, schaute auf und über die Kreuzung hinweg direkt zu ihm. Sie suchte seinen Blick und enthüllte ihm für den Bruchteil einer Sekunde etwas, nur ganz kurz und verstohlen. Der Ansatz eines Lächelns. Dieser Blick würde ihm auf dem ganzen Weg zurück nach Melbourne begleiten. Ein umfassendes Eingeständnis, und gleichzeitig die Garantie, niemals etwas zuzugeben.

Toby Murchison hat eine millionenschwere Fangerlaubnis für Abalone, die reichlich Gewinn abwerfen; im Gegensatz zum Haifischfang, mit dem die Lanegans ihr Glück versuchen. Doch Murchison hält sich nicht an die festgelegten Fangquoten und da er seine teure Lizenz nicht verlieren will, müssen Matthew und Patrick schon mal überzähligen Fisch in Melbourne verkaufen. Nicht selten kommt es vor, dass auch Cannabis aus einer Hydrokultur dabei ist, der natürlich ebenfalls reichlich Gewinn verspricht. Bei so viel Geld können die Nerven schon einmal blank liegen oder sich versehentlich ein Schuss lösen. Oder war es Absicht? Und wo war Patrick als der Mord geschah? Zuhause vor dem Fernseher saß er gewiss nicht, seine erste Aussage bei der Polizei erweist sich schnell als weitgehend gelogen. Sollte er etwa seinen Bruder erschossen haben?

Bis Jardim mühsam mit den maulfaulen und Fremden gegenüber äußerst abweisenden Einwohnern in Kontakt kommt, muss er zunächst Prügel einstecken und manch derben Kommentar ertragen. Die Leser erhalten dabei Einblicke in eine verschworene Gemeinschaft, die unter sich bleibt und ihre Probleme selber löst. Jegliche Einmischung von außen wird empört abgelehnt. Der Roman besteht aus drei Teilen: Der „Einleitung“, Jardims Ermittlung in Dauphin und dem abschließenden Prozess. Am Ende wird nicht nur der Leser eine Überraschung erleben, denn hier hat sich Jock Serong etwas Besonderes einfallen lassen. Lediglich zwei kleine Patzer trüben, wenngleich äußerst geringfügig, den Lesespaß. So unterschreibt Patrick Hughes Lanegan seine erste Zeugenaussage nur wenige Seiten später mit „Patrick James Lanegan“ und Michael John McVean wird einmal Michael Jordan genannt.

Wer sich auf beschaulich erzählte Plots einlassen möchte, in denen eine verschlossene Dorfgemeinschaft (hier Kleinstadt) und deren Umgang mit einem Verbrechen beleuchtet wird – der herausgebende Polar Verlag verweist zum Vergleich auf die britische Serie „Broadchurch“ -, findet mit „Fischzug“ einen interessanten und kurzweiligen Mix aus Krimi und Justizthriller. Ausgezeichnet 2015 mit dem Ned Kelly Award für das beste Debüt.

Cover © polar Verlag

Wertung: 11/15 dpt


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