„Der Zauberer von Oz“ gehört zu den meist adaptierten Stoffen überhaupt und nachdem aus ihm einer der bekanntesten Filme aller Zeiten gestrickt wurde, sahen sich Filmregisseure im Dutzend dazu aufgefordert, ihre Version des Märchen-Musicals zu inszenieren. Eine der bemerkenswertesten Versionen hat sicher Sidney Lumet auf die Beine gestellt, indem er die magisch-bunte Welt von Oz nach Harlem verlegte und mit ernsten und düsteren Tönen zu einer Reflektion über das Schwarzsein in den Staaten verband. Erstaunlich ist dabei, wie wenig bei diesem überambitionierten Motown-Projekt aus dem Jahr 1978 zusammenpassen will und wie dürftig die Broadway-Vorlage ins Filmische übertragen werden konnte. Doch trotzdem brachte es „The Wiz“ zu Kultstatus, nicht zuletzt, weil Michael Jackson den Umständen rund um den Film seine Emanzipation zu verdanken hat. Nun mag man einwerfen, dass justbridge gerade aufgrund der aktuell wieder aufflammenden Diskussionen um den „King Of Pop“ einen äußerst unglücklichen Veröffentlichungszeitpunkt erwischt hat. Vielleicht sollte man statt der blinden boykottwütig einfach dankbar sein, dass „The Wiz“ für die Einordnung in die Geschichtsbücher zum erstmaligen Blu-ray-Release ein liebevoll gestaltetes Mediabook inklusive Soundtrack spendiert bekommt.
Es dürfte seinerzeit nicht anders gelaufen sein, als heutzutage: Kaum erweist sich ein Kunstwerk als Hit, ist die angestrebte Kino-Version nicht weit. „The Wiz“ entwickelte sich als weitere Adaption des weltbekannten Kinderbuchs „Der Zauberer von Oz“ von Lyman Frank Baum nach Startschwierigkeiten Mitte der 1970er-Jahre zum Broadway-Evergreen, dessen Beliebtheit über das größere Publikumspotenzial des Kinos auf weltweite Maßstäbe übertragen werden sollte. Mit Universal Pictures und Motown Productions verbanden sich zwei Player mit Strahlkraft, die eine ganze Reihe an großen Namen für die ambitionierte Produktion verpflichteten. Nach anfänglichen Bedenken ließ sich Regie-Legende Sidney Lumet auf „The Wiz“ ein, der sich zum Ende des für ihn äußerst erfolgreichen Jahrzehnts („Serpico“, „Dog Day Afternoon“, „Network“) sicher kaum vor großen Angeboten retten konnte.
Dieser Auftrag war bei Weitem nicht ohne Risiko, ging es doch um die Übertragung von „Der Zauberer von Oz“, der bereits einen unverrückbaren Kinoklassiker nach sich zog, auf die Schwarzen in Amerika, was auch nach einem dementsprechenden Cast verlangte. Schlussendlich übernahm Diana Ross die Rolle der Dorothy und setzte sich per Initiativbewerbung gepaart mit Beharrlichkeit gegen die eigentlich schon ausgeguckte Stephanie Mills durch, die bereits die Broadway-Produktion anführte und dass obwohl Ross zur Drehbeginn bereits 33 Jahre alt war. Ein Coup gelang den Verantwortlichen mit der Verpflichtung von Michael Jackson als Vogelscheuche. Der damals erst 20-Jährige hatte zwar schon über ein Jahrzehnt auf der Bühne gestanden, doch trotz diverser Solo-Alben blieb Michael noch immer eng mit dem Jackson-Clan verbunden. Nun mag seine Performance manchmal etwas eindimensional sein, doch sie ist für einen Debütanten wirklich gut und vor allem spielt er frei auf.
Eine Emanzipation vom übermächtigen Vater durch das Mitwirken an einem Kinderfilm: Vermutlich durfte Michael bis dahin trotz seines professionellen Auftretens und seinen unvergleichlichen Tanz-Moves niemals so sehr Kind wie in „The Wiz“. Nun ist es gerade jetzt, kurze Zeit nach den intensivierten Anschuldigungen des Kindesmissbrauchs gegen Jackson eine delikate Angelegenheit, einen Kinderfilm mit eben ihm zu veröffentlichen, doch mit Boykott-Aufrufen sollte sich auch im Falle dieses Werks zurückgehalten werden. Ob zwischen dem entflammten Wunsch nach mehr Kindheit und der Produktion von „The Wiz“ ein Kausalzusammenhang hergestellt hat, der überdies noch mit der Schuldfrage verbunden wird, das ist pure Spekulation. Viel mehr beschäftigt einen die Frage, wie sehr Michael unter den fehlenden Kindheitserlebnissen litt. Bewiesen ist hingegen, dass rund um „The Wiz“ die Initialzündung zu Jacksons Durchbruch als Solo-Künstler und Megastar gelegt wurde. Über Motown war Quincy Jones am Filmsoundtrack beteiligt und erarbeitete mit Jackson einige Songs. Ein Jahr später sollte die vertiefte Zusammenarbeit in „Off The Wall“ münden, Michael Jacksons Durchbruchalbum und erstes Meisterwerk.
Wichtiger ist die Einordnung von „The Wiz“ in die Filmgeschichte, die durch die vorliegende Mediabook-Version über einen Blu-ray-Veröffentlichung angestellt werden kann. Eigentlich sollte nicht nur hinter den Kulissen Geschichte geschrieben werden, anders lässt sich zumindest nicht deuten, dass die Produktion neue Maßstäbe setzte. Ein üppiges Budget für die bis dato größten Sets, meisten Tänzer*innen und namhafte Stars an allen Fronten des Produktionsprozesses sollten keine Zweifel bei den Zuschauenden aufkommen lassen, dass sie es, wie bei der Broadway-Version, mit einem kommenden Hit zu tun haben. „The Wiz“ sitzt jedoch einem Grundirrtum auf: Der Charme dieser Musical-Produktion hat sich nicht eins zu eins in einen Film übersetzen lassen.
Dass Dorothy in „The Wiz“ im Unterschied zum Original eine schüchterne Jungerwachsene ist, von der erwartet wird, dass sie möglichst schnell einen Partner findet und ihr eigenes Leben beginnt, müssen die Zuschauenden angesichts der folgenden Geschehnisse in der bunten Welt von Oz erst mal schlucken. Immerhin gelingt es Lumet die aufgedrehten, fast schon drogeninduziert-psychedelischen Bilder mit dunklen und ernsten Tönen zu kontrastieren. Oz in Harlem zu finden, wirkt manchmal befremdlich und in der Vermischung von harscher Realität und blumiger Fiktion äußert bemüht, doch die Bewahrung der Fantasie in der harten Welt New Yorks ist eben auch umso schwieriger. Darin begibt sich Dorothy auf die bekannte Reise zu sich selbst, versetzt mit Aspekten des Schwarzseins in den USA.
Erwachsenwerden durch das Finden von Hirn, Herz, Mut, Freunde und Zuhause und das Fällen von Entscheidungen, oder kurz: Selbstbewusstsein, bedeutet durch diese Brille nun mal etwas anderes und so geht es in „The Wiz“ vor allem um Außenseitertum, Entwurzelung von allem Heimeligen, bis hin zur Sklaverei. Als Schwarzer solle man nicht glauben, was von einem gedacht und erwartet wird, nur so könnten sie sich der negativen Denkweise entziehen, die ihnen von außen aufgezwungen wird und sich durch ihr Leben koordinieren: Wir brauchen keine Taxis, die vor uns wegfahren, wir erfahren die Stadt, indem wir sie erlaufen, mit all den zufälligen Begegnungen entgegen der Einkapselung der Community in der eigenen Hood.
Die Emanzipation soll demnach auch mit dem Umstand aufräumen, dass sich Schwarze als Mängelwesen per Rassendefinition begreifen. Sie würden nicht ordnungsgemäß funktionieren, nicht erwartungsgemäß der Norm entsprechend, doch an genau diese scheinbare „Normalität“ ist nicht starr. Als flexibles Konstrukt muss stetig an Kultur als Erwartungserwartung gearbeitet, mit Konventionen gespielt werden, um Menschlichkeit zu bewahren und zu gewinnen. Der Oz-Stoff war schon immer durchsetzt von einer ähnlichen Balance zwischen Progressivität und Konservatismus, bloß setzte er dabei auf die problematische Bewahrung der Identität: Ein Löwe ist nur dann ein Löwe, wenn er mutig ist. Selbstbewusstsein, so die modernere These, sollte jedoch eher mit Blick auf die Veränderung der sozialen Verhältnisse erworben werden, statt den qua Rasse und Blutlinie zugeteilten Platz zu finden. Hier argumentiert der Film widersprüchlich zwischen Abkapselung der Rassen und Vermischung der Kulturen, vielleicht dem Umstand geschuldet, dass trotz guter Intentionen und zahlreicher schwarzer Beteiligten mit Sidney Lumet als Regisseur, Joel Schumacher als Drehbuchautor und Rob Cohen als Produzent hauptsächlich weiße Männer entschieden.
Es ist ein (grauselig animierter) Schneesturm, der Dorothy jenseits der berühmtberüchtigten 125. Straße bringt, wo die schwarze Kultur deutlich offensiver ausgelebt wird. Street Art und Hip Hop bieten den ersten von zahlreichen Anlässen zur Feier ebenjener Kultur, die sich krampfhaft an der Vermischung von klassischem Musical und neuen Elementen wie Breakdance, Brass, Funk und Skateboard versucht. Musikalisch zieht sich das durch den gesamten Film, was mal mehr, mal weniger gelingt, jedoch sind die Musiksequenzen außerhalb des Musical-Bühnen-Kontextes schlicht viel zu lang. Teilweise um die sieben Minuten geht manch eine Performance, die zweifellos großartig choreographiert und mit detaillierten Sets in Szene gesetzt wurde, die aber aufgrund ihrer Länge und der Gesamtspielzeit von über zwei Stunden leider auch ermüdend wirken, obwohl sie das genaue Gegenteil im Sinn hatten. Vor allem die Balladen gerade in der ersten Hälfte sind ziemlich öde geschrieben und von einem „Somewhere Over The Rainbow“ meilenweit entfernt.
Die fehlenden One-Liner und ikonischen Szenen, die aus dem Original nicht übernommen wurden, gedenkt man mit Bombast aufzuwiegen, doch trotz der ansehnlichen Performances der Schauspieler*innen changiert der Eindruck zwischen kindlich-naiv und peinlich. Sicherlich meinte Lumet Vieles auch mit einem Augenzwinkern, indem er beispielsweise trashige Effekte und satirische Zitate einwebte, aber bei all der überambitionierten Mühe fehlt das Feingefühl für die wirklich wichtigen Momente. Warum die Schwarzen nur unter sich bleiben und das Angebot der Vermischung mit anderen Kulturen daher einseitig bleiben muss, bleibt genauso ungeklärt wie die Frage, warum die Befreiung durch die gute Hexe des Südens durch die einzig weiße Figur geschieht.
„The Wiz“ ist Zirkus, Jahrmarkt, Varieté und genauso chaotisch ist es dann auch um die Wahl der Zielgruppe bestellt. Geht es generell darum, dass schwarze Kinder nicht mehr nur Geschichten mit weißen Heldinnen und Helden erleben sollten, stellt sich die Frage, ob es sich bei „The Wiz“ überhaupt durchgängig um einen Kinderfilm handelt. Zumindest werden die recht offensichtlichen Anspielungen auf Sexarbeit, Selbstmord und Sklaverei von vielen jungen Menschen gar nicht verstanden, doch andernfalls richtet sich der kindische Film auch nicht wirklich an eine erwachsene Zuschauerschaft.
Doch obwohl „The Wiz“ sein Inhalt ein überaus wichtiges Anliegen ist und er Kluges über die nach innen verlegte Ausbeutung durch Korrumpierung, das Streben in die Politik und dem Konsumwahn zu sagen hat, kommt es einem so vor, als wäre in die Form weitaus mehr Energie geflossen. Aufwändige Kostüme und Setdesigns verkommen zu einer riesigen Materialschlacht, die den Blick auf das Wichtige oftmals versperrt. Wahrscheinlich liegt das auch an der eklektischen Auswahl an Einflüssen, die einen möglichst großen Teil der schwarzen Kulturgeschichte abdecken sollte. Von Sklaverei über Jazz bis Hip Hop ist das manchmal schon bemüht genug, wenn dann aber noch trashige Science Fiction-Elemente mit Fantasy verwechselt werden, ist nicht ganz klar, ob die Macher noch die Kontrolle über ihr Werk behalten haben. Und auch hier findet der Film keinen konsistenten Ton, weil die Intention nicht immer klar vermittelt wird. So wird aus gewollt bunt schnell ungewollt schrill und ob wirklich alles so klischeefrei bleibt?
Dass „The Wiz“ wichtig für das schwarze Selbstbewusstsein gewesen ist, ist auch dem Bonus Material zu entnehmen. Das Booklet liefert wichtige Hintergrundinformationen zu den Rahmenbedingungen der Produktion, die zum Verständnis des Films nicht unerheblich sind und hier in Teilen schon angesprochen wurden. Das Mediabook zum Blu-ray-Debüt ist liebevoll aufgemacht und bietet auch dem Soundtrack Platz, ein Paket, das gerne häufiger geschnürt werden dürfte. Das gilt normalerweise auch für den Audiokommentar von Filmkritiker*innen, hier allerdings steigen Florian Wurfbaum und Christoph N. Kellerbach vom Podcast „Cine Entertainment Talk“ gleich unbeholfen mit dem Thema eigene Erfahrungen mit Rassismus als Weiße ein, stellen sich als gut erzogen und aufgeklärt dar und werden den gesetzten Ton der steifen Kumpelhaftigkeit nicht mehr los. Aber irgendwie passt das zum Film, der so viel (Gutes) will, aber so wenig umgesetzt bekommt.
Fazit: „The Wiz“ ist ein bemerkenswerter Film, weil er sich große Ziele setzt und grandios an ihnen scheitert. Weder weiß er den „Zauberer von Oz“-Stoff durchgängig in die Welt der Schwarzen in Amerika zu übersetzen, noch gelingt die Adaption des Musicals, dessen Erfolg Sidney Lumet & co. potenzierten wollten. Riesige Bauten, viele und namhafte Beteiligte, das allein macht noch keinen guten Film aus, wie uns „The Wiz“ lehrt. Dennoch gibt es Einiges zu entdecken, um zu verstehen, warum das Werk Filmgeschichte geschrieben hat und zum (Trash-)Kult avancierte. Zum Nachvollziehen gibt es „The Wiz“ nun auch in Deutschland in einer Blu-ray-Version, die liebevoll aufgemacht ist und den Soundtrack beinhaltet, der ebenso bemüht bleibt wie der Film, was aber nichts an der Wertigkeit des Komplettpakets ändert, das formell – bis auf einen ordentlichen Audiokommentar – keine Wünsche offenlässt.
Szenebilder und Cover © justbridge
- Titel: The Wiz
- Produktionsland und -jahr: USA, 1978
- Genre:
Musical
Märchen
Comedy - Erschienen: 21.06.2019
- Label: justbridge
- Spielzeit:
ca. 127 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
u.a.
Diana Ross
Michael Jackson
Richard Pryor - Regie: Sidney Lumet
- Drehbuch: Joel Schumacher
- Kamera: Oswald Morris
- Schnitt: Dede Allen
- Musik: Charlie Smalls
- Extras:
Exklusives 20-Seitiges Booklet von Christoph N. Kellerbach
(Mediabook), Original-Soundtrack (2 CDs), Songs zum Mitsingen,
Audiokommentar von Florian Wurfbaum und Christoph N. Kellerbach vom
Cine Entertainment Talk Podcast
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 16:9 (Full HD 1080p)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D, GB
- FSK: 6
- Sonstige Informationen:
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