Pawel Pawlikowski hat in der Rückkehr sein Glück gefunden. Mit „Ida“ entdeckte der Pole, der lange in London und Paris lebte, seine Heimat neu und legte ein bemerkenswertes Werk vor, das trotz des harten Sujets und des biederen Schwarz-weiß erstaunlich emotional vom Lebenshunger einer jungen Frau erzählt. Fünf Jahre hat sich der Regisseur Zeit genommen, um den Nachfolger „Cold War – Der Breitengrad der Liebe“ fertigzustellen, der von einem nicht minder unbändigen Liebesdrang geleitet ist. Während der Film aus (spiel-)technischer Sicht vollends überzeugt, erschweren die geplanten Lücken in der Erzählung ungewollt die Interpretation der Parabel von der Liebe als Kalter Krieg einzig aus dem Werk heraus.
Warum „Cold War“ so gut ankommt, dass er sogar für den Fremdsprachen-Oscar nominiert wurde, lässt sich an einer ganzen Reihe an Argumenten festmachen. Es handelt sich um einen Film über Liebe, der ganz ohne Kitsch auskommt, dafür aber eine ganze Palette an Emotionen bedient. „Cold War“ übt – ganz dem Titel nach – Systemkritik sowohl am Sozialismus als auch am Kapitalismus, was heutzutage als ein schon fast mutiges Vorhaben durchgehen kann und das Werk zu einem höchst demokratischen macht. Und es geht um die Rolle von Ruhm für die Mentalität von sozialistisch sozialisierten Menschen. Dann ist die Sowjet-Schwere auch noch fantastisch von Kameramann Lukasz Zal in 4:3-Schwarz-weiß und spannenden wie künstlerisch wertvollen Einstellungen eingefangen und die Musik als übergeordnetes Motiv des Films herausragend in die Geschichte eingewoben worden. Und toll gespielt ist er auch noch, allen voran von Joanna Kulig, die einen als temperamentvolle Zula unvermeidlich in ihren Bann zieht.
Anfang der 1950er-Jahre begeben sich Wiktor (Tomasz Kot) und Irena (Agata Kulesza) unter Anleitung ihres Vorgesetzten Kaczmarek (Borys Szyc) auf eine „Casting“-Reise durch das ländliche Polen. Die sozialistische Regierung hat sie mit der Zusammenstellung einer Musikgruppe beauftragt, die die „Volkskultur“ aus Musik und Tanz über Tourneen durch das Land verbreiten soll. Auch Zula bewirbt sich um einen Platz, trickst sich mit ihrem emotionalen Charakter irgendwie durch und fällt Wiktor sofort ins Auge. Schnell fangen die beiden eine Liebelei an, die von den gesellschaftlichen Verhältnissen im sozialistischen Polen der 1950er-Jahre zunehmend zu einer engen Beziehung zusammengeschweißt wird.
Vertrauen, Verrat, das sind auch Vokabeln der Liebe und so spielt die glühende Zula mit dem zurückhaltenden Wiktor. Ihre angebliche Gefängnisstrafe nimmt sie als Aufhänger, um Wiktor zu eröffnen, dass sie ihn bespitzelt. Einen Liebesbeweis sieht er daraufhin im Vorschlag, mit Zula zu fliehen, als die neu zusammengestellte und schon erfolgreiche Gruppe für einen Auftritt in Berlin weilt. Doch sie hegt Zweifel gegenüber des angepeilten Ziels, kommt nicht zum vereinbarten Treffpunkt und so flieht Wiktor alleine nach Westberlin und daraufhin nach Paris. Es folgt eine Beziehungsachterbahn zwischen den Systemen geprägt von Anziehung und Abstoßung über moralische und konstruierte Grenzen hinweg.
Der Kalte Krieg dient dabei als Parabel für die Liebe zwischen den beiden unterschiedlichen Charakteren. Pawel Pawlikowski beschreibt das Paar als eines, das über genug Anknüpfungspunkte verfügt, um sich zu lieben, aber auch genug Unterschiede aufweist, die die Partner voneinander abstoßen. Diese Spielart der Hassliebe hält auch deswegen, weil die beiden merken, dass die Alternativen auf dem Partnerschaftsmarkt trotz der Probleme und Unzulänglichkeiten des eigenen Beziehungsgeflechts nicht das ersetzen können, was sie zusammen bilden und das auf (gemeinsamen) Erfahrungen fußt. Egal, wie viel sie sich (passiv-)aggressiv vorwerfen, welche neuen Geschütze sie auffahren, um den anderen zu verhöhnen, die Anziehungskraft bleibt doch so hoch, dass sie nicht mehr ohne einander auskommen.
Der gesetzte Rahmen zwischen den Systemen ist für dieses Schauspiel ein passender. Die Mentalitäten sind so stark von der Sozialisation geprägt, dass sie sich auch auf alle Fragen des Alltags, also auch auf das Lieben auswirken. Während Zula sich durch die Einschränkungen des Sozialismus wurschtelt und den Überwachungsstaat verinnerlicht hat, nickt Wiktor eingeschüchtert alles ab, was die Regierung an Änderungswünschen an das Ensemble heranträgt. Im kapitalistisch organisierten Westen weiß sich Wiktor besser zu behaupten, weil er sich dort ebenso anpassen kann, Zula fühlt sich in der fremden Kultur und Sprache unwohl und von der Anbiederung an die Statushöheren angewidert.
Die Entwicklung der Beziehung wird mit einer über zehn Jahre andauernden Reise zwischen Westen und Osten verbunden und die äußeren Einflüsse in der Veränderung der Musik veranschaulicht. Je mehr sich das Ensemble dem Willen der Regierung nach mehr Propaganda-Liedern und Volksliedern aus anderen „Bruderstaaten“ beugt, umso hohler werden die Texte und seichter die Darbietungen. Ebenso funktioniert die Logik aber auch auf der anderen Seite der Grenze: Ohne Anbiederungen und Übersetzungen der Texte in französische Jazz-Chansons wird das Paar auch in Paris keine Chance haben. Es sind die Erwartungen von außerhalb, die dem Paar zusetzen, so wie sie mit jedem Paar tun. Kompromisse sind notwendig, jedoch können Zula und Wiktor kaum zueinanderfinden, weil sie in keinem der Systeme sie selbst sein dürfen und ihre jeweilige Fassade vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kompromissen aufgebaut haben.
Beim Kampf der Systeme ist es aber wichtig, dass Pawlikowski keinen Gewinner benennt, wie es auch im Zuge des Kalten Kriegs keinen zu benennen gab. Die pure Umsetzung der eigenen Ideale ist keinem der Systeme vergönnt, der Sozialismus nimmt hier sogar Elemente des Kapitalismus und des Nationalismus auf, worin sich bereits die ideologischen und die Korruptions- und Machtprobleme zeigen, die im Kollaps enden sollten. Doch was „Cold War“ auf seinen schlanken 88 Minuten dann doch fehlt, ist die schlüssige Argumentationslinie zu ebendieser Parabel über Liebe. Pawel Pawlikowski schätzt die Zuschauenden in ihrer Intelligenz und lässt Vieles ungesagt, anderes gewollt lückenhaft. Wer genau aufpasse und zuhöre, der würde es schon verstehen, lässt der Regisseur in einem Interview im Bonus Material verlauten, doch als er vor der Kamera seine Figuren erklärt, beschleicht einen das Gefühl, dass diese Background-Informationen für das Verständnis des Films durchaus wichtig gewesen wären.
Pawlikowski erzählt davon, welche Hintergrundgeschichte er sich beispielsweise für die Figurenentwicklung von Wiktor erdachte, doch der Film kann das über die gewählte Bildsprache und Dialoge nicht aus sich heraus andeuten. Dabei wäre es durchaus wichtig gewesen zu erfahren, dass der Musiker mit französischer Kultur aufgewachsen ist und deswegen in Paris leichter Anschluss findet. An anderen Stellen wiederum erklärt das Drehbuch wiederum Sachverhalte, die die aufmerksam Zuschauenden ohne Weiteres entschlüsselt haben. Außerdem bleibt außen vor, dass „Cold War“ für Pawlikowski ein zutiefst persönliches Werk geworden ist, in dem er sowohl seine eigene Liebe zur Musik, als auch die schwierige Beziehung seiner Eltern zumindest als Inspiration verarbeitet. Daraus abzuleiten, dass die Beziehung zwischen Zula und Wiktor allgemein nachzuvollziehen sei, ist jedoch ein verkürzter Schluss, auch wenn Joanna Kulig und Tomasz Kot alles tun, um den Wert der Liebe als die einzige Wahrheit schauspielerisch zu definieren und die dazugehörige Komplexität zu erforschen.
Alles in allem ist „Cold War“ nicht so effizient, wie es die Spielzeit vermuten ließe. Hier und da haben sich Aufnahmen eingeschlichen, die die Story nicht voranbringen und nicht immer werden die Pausen an den richtigen Stellen gesetzt. Vielleicht fehlt es auch an Kenntnissen über die polnische Seele, die sich aufgerieben zwischen den verschiedenen Besetzern nie zu einer nationalen, sondern höchstens zu einer religiösen Identität auswachsen konnte (und sich deswegen anfällig für autoritäre Politikstile zeigt). Umso erstaunlicher ist, dass es Pawlikowski gerade in den unruhigen politischen Zeiten dieser Tage nach Polen zieht, doch wie „Cold War“ ist das ein liberales Plädoyer im Umgang mit dem Heimatbegriff. Die Volkslieder wirkten lange provinziell und konservativ, was in den urbanen Jugendtagen des Regisseurs konsequent abzulehnen war. Doch heute kann ein Kosmopolit wie Pawlikowski ihnen Schönheit abgewinnen und das ist doch eine wichtige Message des Films auch in Anbetracht der momentanen politischen Lage in Polen: Heimat ist dort, wo man sich heimisch fühlt und nicht dort, wo ideologische Grenzen eine Identität konstruieren wollen. Das Konservieren ist nicht den Konservativen vorbehalten, die nicht in der Lage dazu sind, vom Kitsch freizulegen und den wahrhaftigen Kern freizulegen.
FAZIT: „Cold War“ ist aus technischer und schauspielerischer Sicht ein höchst gelungener Film, der jedoch an seinem eigenen Effizienzdenken kränkelt. Regisseur Pawel Pawlikowski glaubt an die Intelligenz des Kinopublikums, doch weder kann er davon überzeugen, dass die gewählten Lücken in der bleischweren Erzählung an den richtigen Stellen gesetzt sind, noch sind alle Szenen essenziell für den Fortgang des Plots. In diesem höchst persönlichen Werk geht der Filmemacher davon aus, dass andere seine Erfahrungen teilen oder zumindest verstehen, doch der Film hält nicht dem Qualitätsanspruch stand, dass er nicht alles aus sich heraus erklären kann. Trotzdem weiß „Cold War“ in seiner Parabelhaftigkeit einiges Kluges über Liebe und ihrer Abhängigkeit von äußeren Umständen wie über den Kampf der Systeme zu sagen und zu zeigen, was gerade in Zeiten der politischen und ideologischen Polarisierung als kosmopolitische Message angebracht ist: Ein positiver Heimatbegriff als Ort, an dem man sich und anderen ohne Furcht nahekommen darf.
Szenebilder und Cover @ Euro Video
- Titel: Cold War – Der Breitengrad der Liebe
- Originaltitel: Zimna wojna
- Produktionsland und -jahr: FRA/GB/POL, 2018
- Genre:
Drama - Erschienen: 11.04.2019 (Blu-ray)/17.04.2019 (DVD)
- Label: Euro Video
- Spielzeit:
ca. 89 Minuten auf 1 DVD
ca. 89 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
u.a.
Joanna Kulig
Tomasz Kot - Regie: Pawel Pawlikowski
- Drehbuch:
Pawel Pawlikowski
Janusz Glowacki
Piotr Borkowski - Kamera: Lukasz Zal
- Schnitt: Jaroslaw Kaminski
- Extras:
Making-Of, Interviews - Technische Details (DVD)
Video: 1,33:1 (4:3)
Sprachen/Ton: D, POL
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,33:1 (HD 1080p/24)
Sprachen/Ton: D, POL
Untertitel: D
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 10/15 dpt