Modeslektor – Who Else (Digital, Vinyl)

Wo ist der Flow hin?

Das ist der erste Gedanke, wenn die Platte ihre ersten Rotationen macht. Wie kommt dieser zustande? Modeselektor haben ihr letztes Album „Monkeytown“ im Jahr 2011 veröffentlicht. Dieses Album spielte alle Facetten der elektronischen Musik durch, war sehr breit gefächert in der Ausübung der Basslastigkeit. Es gab Songs mit diversen Gastsängern (vor allem Thom Yorke von Radiohead lieh einigen Tracks seine markante Stimme), es wurde auf die zwölf gehauen und es wurde durch anderen Sphären geschwebt, dass einem warm ums Herz wurde. Das war alles so gut, dass Modeselektor die elektronische Musik ins Feuilleton hievten und sogar mit dem Kritikerpreis beim Echo ausgezeichnet wurden.

Danach wurde es etwas stiller um Modeselektor, da Moderat, ein Projekt, welches zusammen mit Apparat vorangebracht wurde, fest in den Fokus rückte. Innerhalb von diesem Projekt haben Sebastian Szary und Gernot Bronsert ihre Liebe für den Bass und den Techno hinten angestellt und zeitlose Klassiker geschaffen und sind immer mehr in den Bereich gerutscht, in dem man Songs statt Tracks produziert. Unter diesem gesamten Kontext muss das neue Album ebenso betrachtet werden, wie die Ausübung der Hauptsportart: die Produktion der Musik an sich. Diese Ausführungen müssen sein, um das aktuelle Album zumindest im Ansatz verstehen zu können. Entgegen dem Vorgängeralbum geht es nun um einiges härter zu. Da sind Nummern drauf, die einen Kellerclub zum Explodieren bringen würden, die aber auch im großen Rahmen (zum Beispiel Stadion) für Ekstase sorgen. Doch ist es in der Summe gut, was da geliefert wurde? Dem soll mit dieser kleinen Besprechung auf den Grund gegangen werden.

Knapp 35 Minuten volle Pulle

„Who Else“ ist ein relativ geradliniges Album geworden. Gerade einmal 8 Tracks sind darauf enthalten, die sich in Summe auf nur 35 Minuten verteilen. Warum muss das extra erwähnt werden? Weil 35 Minuten im elektronischen Bereich wenig ist und diese Summe an Zeit bei manchen Produzenten gerade einmal zur Bezeichnung EP reicht, sozusagen ein kleines Destillat an aktuellen Produktionen, die sich angesammelt haben, für ein Album jedoch nicht ausreichend genug sind oder nur ein Thema bedienen. Doch für das Prädikat Album ist diese Zeitangabe bei vielen Produzenten im elektronischen Bereich als mager einzustufen. Doch wie sagten Modeselektor in einem Interview beim Deutschlandfunk (Link: klick)? „35 Minuten und dann reicht es auch“.

Und doch zeigen die Zwei einen aktuellen Querschnitt ihres Schaffens und beweisen wieder einmal, dass sie einen Blick in die elektronische Musikszene Berlins und darüber hinaus haben und die dort vorherrschenden Strömungen in ihrer Musik destillieren. Sie wollten sich nach den eher dezenteren Moderatplatten nun wieder dem Bassgewitter widmen, was „Who Else“ auch anzumerken ist. Da brach sich etwas Bahn, was in der Zeit, als Moderat im Vordergrund stand, unter Verschluss gehalten werden musste. Das Ergebnis ist Techno, wie man ihn von Modeselektor ab und zu mal hört, aber nicht in dieser Ausprägung und Fülle. Und noch etwas ist anders im Vergleich zu „Monkeytown“. Das Album wirkt beim ersten Hören irgendwie nicht ausgereift, unrund, ganz so, als ob Szary und Bronsert alles so schnell wie möglich loswerden wollten, um wieder mehr kreative Freiräume in ihrem Arbeitsprozess zu haben, wofür auch die reine Produktionszeit des Albums von einem Monat spricht. Doch tritt man einen Schritt zurück und legt die Scheibe ein zweites, drittes oder gar viertes Mal in den Player, merkt man, dass dieses Werk Zeit benötigt, um sich entfalten zu können, was sich bei der Kürze zwar komisch anhören mag, aber doch richtig anfühlt. Um es kurz zu sagen: Ihre volle Bandbreite entfalten die Tracks erst bei mehrmaligem Hören.

Modeselektor - Who Else 1Was ist nun vertreten auf diesem relativ kurzen Album? Insgesamt acht Tracks versammeln sich, die alle eines gemeinsam haben – sie sind fett geworden, fett im Bass und fett in der Geschwindigkeit (bei manchen Titeln jedenfalls). Vor allem der Bass haut rein, wie man es von Modeselektor gewohnt ist. Da brummen die Boxen und wer es mit der Lautstärke übertreibt, der verliert diese gleich. Das erste Stück „One United Power“ kann man noch als Versatzstück aus Moderatzeiten interpretieren und die zweite Nummer „Wealth“ atmet den Geist vom Vorgängeralbum. Doch ab dann geht es rund. Der „Prügelknabe“ gibt dabei die Marschrichtung mit richtig dickem Geklöppel vor. Was nach langweiligem monotonem Gestampfe klingt, der hat Modeselektor noch nie richtig wahrgenommen und verstanden. Da klingen noch andere Dinge durch das Gewobbel durch und neben dem sich automatischen einstellenden Ausrasten kommt da trotzdem noch eine Wärme ins Spiel, die nicht erklärbar ist. Das vierte Stück ist das eigentliche Zentrum des Albums und heißt „Who“. Eine Gänsehautnummer auf vier Minuten, bei der der Gastsänger Tommy Cash anklagt und gleichzeitig freispricht. Da wird gefragt, ob Geld Glück bring, Liebe Kinder glücklich macht oder Bildung zum Erfolgt führt. Dazu noch eine markante Melodie, einen fetten Bass darüber gelegt und fertig ist eines der besten Stücke des Duos überhaupt – schon jetzt ein Klassiker, den man getrost auch in 10 Jahren noch spielen kann. Doch auch die restlichen Stücke wissen zu überzeugen. Der WMF Love Song ist eine Reminiszenz an einen gleichnamigen Club, den es in Berlin in den Neunzigern gegeben hat. Bei „I am your God“ darf Otto von Schirach mit schnarrender, verfremdeter Stimme eine fette Technonummer anleiten. Ebenfalls wie der Prügelknabe ein Track für den versifften Kellerclub. Die letzten zwei Tracks fallen gegenüber dem Rest mit der Geschwindigkeit etwas ab, bringen dafür einen ganz anderen Charme mit. „Fentanyl“ ist gebrochenen Beats ausgestattet und einem düsterem Klang im Hintergrund, der auch locker in einem Horrorfilm spielen könnte. Vom Stil her etwas gänzlich anderes als die Tanznummern davor, aber trotzdem ebenfalls typisch Modeselektor. Mit „Wake me up when it’s over“ können vielfältige Interpretationen angestellt werden. Die gängigste könnte lauten, dass nach dieser Abfahrt eine Art Kater einsetzt und etwas ruhiges benötigt wird. Dazu eine Tasse Tee oder ein Glas Wasser, sich die aufgehende Sonne nach einer durchzechten Nacht auf das Gesicht scheinen lassen und dabei wabert das Gehörte noch einmal durch die Gehörgänge.

Nach eigenem Bekunden haben Modeselektor auf diesem Album keine Snare, Kick Drum oder Hi-Hat zweimal eingesetzt, sozusagen kein Recycling betrieben. Damit soll jeder Track einzigartig klingen. Dazu darf man aber nicht oberflächlich reinskippen oder ganz Spotify-like die ersten dreißig Sekunden anteasern. Dazu braucht es die komplette Laufzeit der Tracks und mehrere Höranläufe, damit es wie bei einem Schalter der von „Was ist das?“ auf „Wie geil ist das denn!“ umschaltet. Es ist kein Konzeptalbum geworden, wie „Monkeytown“ eines war. Dafür haben Modeselektor sich hier wieder richtig in acht unterschiedlichen Stücken ausgetobt und die Sau rausgelassen. Es ist auch nicht unbedingt ein Album für die Ewigkeit, vielmehr eine Momentaufnahme mit ein bis zwei Stücken, die länger überdauern werden. Man darf aber gespannt sein, was von diesen zwei umtriebigen Musikern in Zukunft noch alles kommen wird, denn da Schlummern ganz sicher noch viele wilde Ideen in deren Köpfen herum.

  • Tracklist:
    • One United Power
    • Wealth feat. Flohio
    • Prügelknabe
    • Who feat. Thommy Cash
    • WMF Love Song
    • I am your God (Album Version) feat. Otto von Schirach
    • Fentanyl
    • Wake me up when its over
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