Dass Glenn Close bei der diesjährigen Oscar-Verleihung leer ausgehen würde, kam genauso überraschend wie ihre Nominierung. Es sollte jedoch die richtige Entscheidung sein, allein weil die Wahl Olivia Colmans für ihre Performance in Yorgos Lanthimos‘ „The Favourite“ zu den schönsten und unwahrscheinlichsten Momenten der letzten Jahre zählt. Wer aber im Kino oder jetzt im Heimkino „Die Frau des Nobelpreisträgers“ gesehen hat, wird froh sein, dass der zur Nominierung von Glenn Close gehörende Film damit vollkommen außen vor geblieben ist. Die Schauspiellegende mag noch das Maximum aus ihrer Rolle herausgeholt haben, doch zur besten Schauspielleistung gehört auch der passende Rahmen, den Regisseur Björn Runge und sein Team handwerklich fragwürdig und thematisch reißerisch setzen. Heraus kommt ein kitschig-überdramatisiertes Werk, das durch die Zuspitzung der Romanvorlage den Blick auf das Profunde verstellt.
#metoo und Rassendiskriminierung waren die bestimmenden Themen der diesjährigen Academy Awards, was unglücklicherweise in einer heuchlerischen und inkonsistenten Verleihungszeremonie mündete. „Die Frau des Nobelpreisträgers“ fügte sich symptomatisch in den Abend ein, hatte den Film doch zuvor niemand auf dem Schirm. In qualitativer Hinsicht schien die Academy von dem Werk auch nicht überzeugt zu sein, aber zumindest sollte die Geschichte einer unterdrückten, aber starken Frau irgendwie Eingang in die Liste finden und da traf es sich gut, dass Glenn Close zum Cast gehörte, durch die sich eine Nominierung in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ anbot. Nach bis dato insgesamt sechs Oscar-Nominierungen ohne Gewinn standen alle Zeichen auf Versöhnung und es war alles bereitet für eine magische Gesichte, als dessen Autor sich der bekannteste Filmpreis der Welt nun mal allzu gerne ausgibt.
Doch wieder ging Close leer aus und zwar leider zurecht. Das liegt nicht an ihr, sie spielt Joan Castleman, die Frau des Nobelpreisträgers, mit gewohnter Qualität, doch was bringt das, wenn die Regieleistung selbst eine Weltschauspielerin daran hindert, ihr ganzes Können auszuspielen? Regisseur Björn Runge, der sich selbst irgendwo zwischen Filme- und Theatermacher verortet, hat zumindest im Filmfach bislang kaum Bemerkenswertes zustande gebracht. Warum das große Projekt, an dem zudem Schauspielgrößen wie Jonathan Pryce als fiktiver Literaturpreisträger John Castleman und Christian Slater als neugieriger Journalist oder auch Drehbuchautorin Jane Anderson (unter anderem „Olive Kitteridge“ und „Mad Men“) beteiligt sind, an den Schweden ging, ist bis auf dem Bezug zu Stockholm über den Nobelpreis einigermaßen nebulös. Die unwahrscheinliche Chance auf einen Hit lässt Runge dann auch gleich liegen.
Der dazugehörige Plot ist eigentlich simpel: John Castleman bekommt in den 1990ern den großen Anruf des Nobelpreiskomitees, er wäre in der Kategorie Literatur für den diesjährigen Preis ausgewählt worden, woraufhin die Castlemans mit Sohn David (Max Irons) nach Stockholm reisen. Dort brechen nach und nach die Probleme aus den Figuren heraus: David ist eifersüchtig auf seinen Vater, der den jungen Autoren klein halten will, John ist kurz vor der nächsten Affäre und der Journalist Nathaniel, der scharf darauf ist, John Castlemans Biographie zu schreiben, bohrt intrigierend in den Wunden. Irgendwann gerät auch Joan im Fadenkreuz des Interesses, hält sie sich doch immer vornehm zurück und lässt ihrem Mann den Vortritt. Der Verdacht ist nicht unberechtigt, ein dunkles Geheimnis will hinter der Fassade der dienenden Frau entdeckt werden.
In Kombination mit dem Filmplakat lässt sich das so Rosamunde Pilcher-kitschig interpretieren, wie der Film schlussendlich auch geworden ist. Oder schlimmer noch: Selbst wenn es sich um eine TV-Produktion handelte, würden die Zuschauenden die Illusion des Mediums Film vermissen. Das beginnt mit der Bildsprache, die nicht nur blass, sondern regelrecht statisch bleibt. Kaum eine Szene fließt oder hält einen von dem Gedanken ab, es gerade mit SchauspielerInnen in einem Film zu tun zu haben. Das liegt auch daran, dass Björn Runge seinen Stars wohl zu sehr wie am Theater begegnet und ein überdramatisches Spiel von ihnen abverlangt. Zwar wird der Filmemacher für seine lockere Art am Set geschätzt, aber so fehlt es ihm wahrscheinlich auch an der Handhabe, seinen Cast konsequent und bestimmt zu führen und aus ihnen das Besondere zu locken.
Max Irons‘ Figur des Sohns beispielsweise wirkt allzu sehr wie ein bockiges Kind, das dieser Gefühlsregung einzig durch verschränkte Arme und einen störrisch-sauren Blick ausdruckt zu verleihen vermag. Christian Slater ist wiederum derart viel Freiraum gelassen worden sein, dass ihm manchmal – komödiantisch gemeint, aber völlig überzogen – die Gesichtszüge entgleiten. Und Jonathan Pryce muss den derben Literaten geben, dessen oberflächliche Zeichnung überhaupt nicht zu dem mysteriösen Plottwist passen will. Unter der Maske der Satire könnte man dem Ganzen deutlich mehr abgewinnen, aber auch diesen Ton trifft der Film nicht.
An sich ist die Idee hinter dem Film eine redliche: All den Frauen hinter starken Männern soll nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Geschichte gegeben werden, um Vorurteile gegenüber ihrem zurückhaltenden Schattendasein abzubauen. Das Geheimnis kann demzufolge als Symbol dafür verstanden werden, dass in Frauen mehr steckt, als wir ihnen auf den ersten, ignoranten Blick zutrauen. Bloß ist dieses Enigma dermaßen groß, dass es andere, viel bodenständigere Entlastungsleistungen im Hintergrund überstrahlt, die nach den Umständen fragen, unter denen Menschen erst zu besonderen werden können.
Das Set-Design sollte wohl in Richtung „Olive Kitteridge“-Heimeligkeit gehen, in seinem Kitsch weiß aber keinerlei Wiedererkennungswert zu generieren. Die HBO-Miniserie „Olive Kitteridge“ dient aber auch andererseits als ein guter Anhaltspunkt: Drehbuchautorin Jane Anderson adaptierte 2014 den gleichnamigen Roman von Elizabeth Strout auf kluge Weise, was ihr dieser Tage überhaupt nicht gelingen mag. „The Wife“ heißt die Vorlage von Meg Wolitzer aus dem Jahr 2003, die Anderson wohl in der Stimmung der #metoo-Debatte entdeckte, doch sie hatte das Gefühl, den Stoff an das Medium Film anpassen zu müssen. Unter anderem bekommt John Castleman statt eines kleinen Preises in Finnland den größten Literaturpreis der Welt verliehen und der Sohn bekommt deutlich mehr Platz eingeräumt als im Roman.
Der Anspruch von „mehr“ und „größer“ zieht sich auf problematische Weise durch den gesamten Film. Durch die Zuspitzung werden automatisch die zwischenmenschlichen Probleme und die Schuld um das Geheimnis in ihrer jeweiligen Bedeutung vergrößert, was den Druck auf die Figuren dramatisch erhöht, bis er antike Formen annimmt. Leider wird das der eigentlich an der richtigen Stelle ansetzenden Kritik am Geschlechterverhältnis gerade auch im Kunstbetrieb nicht gerecht. Die Figuren sind oberflächlich und psychologisch unlogisch gestaltet, wirken kindisch und naiv, typisch männlich impulsiv und bestätigungssuchend wie typisch weiblich schüchtern und zurückhaltend. Daran ändert auch der Plottwist nichts, auch wenn er das so verstanden wissen will. Die verschiedenen Konflikte bleiben recht unverbunden nebeneinanderstehen und werden nach und nach bearbeitet. Zudem wird über emotional aufgebauschte Rückblenden insgesamt an zwei Orten auf drei verschiedenen Zeitebenen zwischen den 1950ern und den 1990ern erzählt und von Logiklöchern sollte erst gar nicht angefangen werden. Einzig die Kritik an Preisen wie dem Nobelpreis sitzt, werden sie doch als Veranstaltung zur Pflege des eigenen Egos und des Schwanzvergleichs auf Kosten der Familie dargestellt, die zur Erweiterung der Blasen führt, in den berühmte Persönlichkeiten ohnehin leben (müssen). Aber auch diese Kritik vereinnahmt Hollywood über die Oscars für sich, ohne sie wirklich verstanden zu haben.
An „Die Frau des Nobelpreisträgers“ ist Vieles zu viel und an den falschen Stellen zu wenig. Es wird beispielsweise nicht ersichtlich, warum Joan die Rolle einnimmt, die seit Jahrzehnten spielt, zumindest sofern das alles als Liebesbeweis gelesen wird. John ist ein zwar charismatischer, aber auch unerträglicher Mann, ein Ekel, das von Joan nicht aus Liebe, sondern aus höchst egoistischen Beweggründen geschützt wird. Sie steckt dafür eine Menge ein, aber nur weil sie weiß, dass sich die Wahrheit auch auf sie äußerst negativ auswirken wird. Hinter der Fassade, die sich das Paar in anderen Zeiten aufgebaut hat, bleibt am Ende des Films nichts anderes übrig als der Stolz einer von der Gesellschaft unterdrückten Frau. Und das ist eine möglichst unglückliche Message für die Oscarausgabe 2019.
Fazit: Für „Die Frau des Nobelpreisträgers“ war selbst die Oscar-Nominierung für die „Beste Hauptdarstellerin“ zu viel Aufmerksamkeit. Björn Runge inszeniert einen Film, dem es an Spannung, Style, Ton, Message, kurz einer guten Regieleistung mangelt. Der Film entgleitet auch aufgrund des Drehbuchs von Jane Anderson, das sich nicht mit der Buchvorlage zufriedengab, sondern meinte, eine höhere Flughöhe ansetzen zu müssen. Das alles macht „Die Frau des Nobelpreisträgers“ zu einem enervierenden, belang- und emotionslosen, spröden, kitschig und kindischen Streifen, der angesichts der reißerischen Bearbeitung den Blick auf die unterschätzte Rolle von Frauen hinter starken Männern verstellt und deswegen lieber gänzlich untergegangen wäre. Aber das passt ja in gewisser Weise auch zu den Ausläufern der #metoo-Debatte, die bei den Oscars zu fragwürdigen Entscheidungen führte und als Beweisstück angeführt werden kann, dass Filme selbst in den wenigen hellen Momenten instrumentalisiert und verzehrt und demnach im Kern nicht verstanden werden.
Szenebilder und Cover © Capelight Pictures
- Titel: Die Frau des Nobelpreisträgers
- Originaltitel: The Wife
- Produktionsland und -jahr: SWE/SCO/USA, 2017
- Genre:
Drama - Erschienen: 10.05.2019
- Label: Capelight Pictures
- Spielzeit:
ca. 97 Minuten auf 1 DVD
ca. 101 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
u.a.
Glenn Close
Jonathan Pryce
Christian Slater
Max Irons - Regie: Björn Runge
- Drehbuch:
Jane Anderson
Meg Wolitzer (Roman) - Kamera: Ulf Brantås
- Schnitt: Lena Runge
- Musik: Jocelyn Pook
- Extras:
Interviews, Hinter den Kulissen, Trailer - Technische Details (DVD)
Video: 2,35:1
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.35:1 (1080p)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 3/15 dpt