Kristina Aamand – Wenn Worte meine Waffe wären (Buch)


Kristina Aamand - Wenn Worte meine Waffe wären - Cover © DresslerStory:
Seit 10 Jahren lebt die siebzehnjährige Sheherazade mit ihren Eltern in Dänemark, ist die einzige Muslima in ihrer Klasse und hat es schwer den Vorstellungen ihrer streng religiösen Mutter gerecht zu werden. Sie soll Ärztin werden, einen guten Mann heiraten und viele Kinder in die Welt setzen. Lauter Dinge, die Sheherazade nicht erfüllen kann, wie sie sich eingestehen muss, als sie im Krankenhaus der jungen Thea begegnet und sich in diese verliebt. Hin und her gerissen zwischen ihrer Kultur, den strengen Sitten und Regeln ihrer Familie und der Tatsache, dass ihr Vater aufgrund seiner schrecklichen Erinnerung an den Krieg und die Flucht im Krankenhaus liegt, muss Sheherazade bald ihre eigene Stärke und Worte finden, um für sich selbst einzutreten und ihr eigenes Leben zu leben …

Eigene Meinung:
Mit dem brisanten, thematisch aktuellen Jugendbuch „Wenn Worte meine Waffe wären“ erschien das erste Buch der dänischen Autorin Kristina Aamand auf dem deutschen Markt. Das Buch erschien im Dressler Verlag und ist eines der wenigen Jugendbücher, das nicht nur eine junge Muslima und deren Sorgen und Probleme in den Mittelpunkt der Geschichte stellt, sondern auch das Thema Homosexualität in Verbindung mit dem Islam aufgreift.

Als Leser begleitet man die Muslimin Sheherazade, die in zwei verschiedenen Welten zu leben scheint – in der streng islamischen Welt des Stadtteils, in dem sie mit ihren Eltern in einer kleinen Wohnung lebt und in der alle Nachbarn ebenfalls Familien muslimischen Glaubens sind; und in der westlichen Welt, in der sie versucht Fuß zu fassen und nicht als Außenseiterin zu gelten, weil sie ein Kopftuch trägt. Für sie ein beständiger Spagat, denn es fällt ihr schwer, zwischen den Kulturen zu stehen ohne sich selbst zu verlieren. Als ihr Vater ins Krankenhaus eingeliefert wird, beginnt erstmals die heile Welt um sie herum zu bröckeln, denn ihre Mutter ist beständig darauf bedacht, nicht in den Fokus der Nachbarn zu geraten und für weiteren Gesprächsstoff zu sorgen. Das Sheherazade sich ausgerechnet in Thea verliebt, bringt die gesamte Welt der jungen Muslima ins Wanken, denn sie muss sich eingestehen, dass sie all die Forderungen ihrer Mutter nicht erfüllen kann.
Die Autorin beschreibt Sheherazades Leben sehr bildlich und gut nachvollziehbar. Man kann sich gut mit ihr und ihren Sorgen und Problemen identifizieren und erhält einen ersten Einblick in die muslimische Kultur, mit all den Sitten und Gebräuchen, aber auch Problemen. Natürlich reicht ein Jugendbuch nicht aus, um den Islam wirklich kennen und verstehen zu lernen – dafür braucht es mehr als knapp 300 Seiten, doch der Roman bietet eine gute Gelegenheit, einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Sehr schön ist, dass Kristina Aamand verschiedene Probleme aufgreift – das muslimische Frauenbild, sowohl vor der Ehe, als auch währenddessen; die Traditionen, das Ehrgefühl und der Ruf der Familie, der/die zumeist wichtiger sind, als der Mensch an sich und natürlich die Homosexualität, die für Sheherazade zu einem Bruch mit ihrer Mutter führt, da sie eine lesbische Tochter nicht in ihrer Familie akzeptieren kann. Untermalt wird die eindringliche, berührende Geschichte mit kurzen Einblicken in Sheherazades Zines – Bild-Text-Collagen, in denen das junge Mädchen das verarbeitet, was sie bewegt. Die schwarz/weiß Collagen unterbrechen die Handlung in regelmäßigen Abständen und geben dem Leser einen tiefen Einblick in Sheherazades Gedanken und Gefühle – und darin, wie die Familie auch Jahre nach der Flucht von den Schrecken des Krieges gebeutelt wird.

Die Figuren sind sehr lebendig und authentisch. Man lernt Sheherazade gut kennen und versteht, warum sie das Bedürfnis hat aus dem zunehmend strengen, religiösen Wahn ihrer Mutter auszubrechen, jedoch ihre Bindung zum Glauben und zu ihrer Familie nicht aufgeben will. Dank der Collagen erhält man einen tiefen Einblick in ihre Gedankenwelt und erlebt hautnah mit, wie sie beginnt, sich gegen die gängigen Konventionen aufzulehnen – ganz besonders als sie Gefühle für Thea entwickelt und sich dafür entscheidet, die Geschichte des jungen Mädchens Sohane zu erzählen, die sich nach einer gescheiterten Ehe selbst das Leben nimmt. Gut beschrieben ist auch Sheherazades Mutter, die sich aufgrund des Beton-Ghettos und der muslimischen Nachbarschaft mehr und mehr in ihren Glauben hineinflüchtet. Auch ihr Vater ist toll beschrieben – gerade am Ende entwickelt er eine ungeahnte Stärke, die man nicht erwartet hat.

Die übrigen Figuren, auch Thea, bleiben ein wenig blass – was aber nicht schlimm ist, da in der Geschichte nun einmal eine muslimische Heldin im Zentrum steht und die Geschichte sich auf ihre Gedanken, Sorgen und Probleme konzentriert.

Stilistisch gibt es nichts zu bemängeln – Kristina Aamand hat einen sehr intensiven, eingehenden Schreibstil, der Sheherazades Geschichte in der Ich-Perspektive sehr gut transportiert und dem Leser näherbringt. Sie verzichtet auf übermäßige Beschreibungen und allzu viel Schnörkel, beschreibt die Ereignisse vollkommen neutral, ohne mit Worten über die Dinge, die angesprochen werden, zu richten. Sie überlässt es den Lesern sich selbst eine Meinung zu bilden und über die Geschichte nachzudenken. In Kombination mit den Zines gelingt es der Autorin den Leser zu berühren – was auch der Übersetzerin Ulrike Brauns zu verdanken ist, die eben jene Collagen mit passenden deutschen Schlagzeilen und Worten füllen musste, ohne die Originalgrafiken zu verfremden.

Fazit:
„Wenn Worte meine Waffe wären“ ist ein gelungenes, authentisches Jugendbuch, das brandaktuelle Themen aufgreift und dem Leser Einblick in das Leben einer jungen Muslima gewährt, die in allen Punkten zwischen den Stühlen steht. Sheherazades Geschichte ist emotional und berührend, regt zum Nachdenken an und bricht mit den altbekannten Klischees. Kristina Aamand ist ein außergewöhnliches, sehr intensives Jugendbuch gelungen, das jedem zu empfehlen ist, der einen Blick über den Tellerrand werfen will. Reinlesen!

Cover © Dressler Verlag

  • Autor: Kristina Aamand
  • Titel: Wenn Worte meine Waffe wären
  • Originaltitel: For enden af din pegefinger
  • Übersetzer: Ulrike Brauns
  • Verlag: Dressler Verlag
  • Erschienen: 08/2018
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 288
  • ISBN: 978-3-86272-081-1
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 14/15 dpt


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