Leonard Pitts – Grant Park (Buch)


Malcolm Toussaint ist sechzig Jahre alt und unter den Journalisten Amerikas eine Legende. Zahleiche Preise hat der schwarze Kolumnist der Chicago Post gewonnen, doch nun kann und will er nicht mehr. “Ich habe die Nase voll vom Bullshit der Weißen”, schreibt er in einer zornigen Kolumne, die ausgerechnet am Tag der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten auf der Titelseite der Post erscheint. Er selbst hat in der Nacht das Kennwort seines Redakteurs Bob Carson missbraucht, um den bereits abgelehnten Artikel dort zu platzieren. Nachdem er am Morgen, seine sichere Entlassung vor Augen, noch schnell ein paar persönliche Sachen eingepackt hat, wird er auf dem Rückweg entführt. Die White Resistance Army, bestehend aus Captain Dwayne McLarry und Sergeant Clarence Pym, plant einen Bombenanschlag auf Obama bei dessen Rede im Grant Park. Ein Zeichen, dass sich die Weißen ihr Land zurückholen.

Derweil wird Carson ebenfalls von der Post entlassen und will Toussaint zur Rede stellen, droht gar an, diesen umbringen zu wollen. Von alldem ahnt Janeka Lattimore zunächst nichts, als sie ihren ehemaligen Liebhaber aus Studentenzeiten (Carson) zu einem Mittagessen treffen möchte. Inzwischen arbeitet die schwarze Aktivistin für Senator Obama, doch dann gerät sie – ebenso wie Carson und weitere Personen – in einen großen Albtraum und in die Hände von McLarry und Pym…

1968 wird Dr. Martin Luther King ermordet, 2008 ein Attentat auf Präsident Obama geplant

Der packende Roman “Grant Park” von Leonard Pitts Jr., Kolumnist des Miami Herald und seit 2004 Pulitzer-Preisträger, spielt auf zwei Zeitachsen. Er umfasst den Zeitraum der Jahre 1967/68 und 2008, in denen zwei große schwarze Amerikaner im politischen Mittelpunkt stehen. Der Hinweis “schwarze” ist hier unausweichlich, denn in diesem Noir aus dem noch jungen Polar-Verlag, ist es in jeder Hinsicht mit der vielbemühten political correctness nicht weit her. Das gefühlt am häufigsten verwendete Wort ist “Nigger”, was dem grundlegenden Thema des Romans geschuldet ist: Rassismus.

“Ich bin sicher, dass Sie jedes weiße Mädchen haben könnten, das Sie wollen. Warum verbringen Sie Ihre Zeit mit jemandem, der nicht Ihrer Rasse angehört?”
“Ma’am, ich gehöre der menschlichen Rasse an. Und Sie?”

1968 ist Mozell Uriah Wilson jr. ein junger Student, der von der Situation der Schwarzen in Amerika frustriert ist. So sympathisiert er mit der Black-Power-Bewegung, die ihre Ziele notfalls mit Gewalt durchsetzen will. Es kommt zum Streit mit seinem Vater, der als Müllmann in Memphis für einen Hungerlohn arbeitet. Dieser sympathisiert mit der religiös-geprägten Lehre des Martin Luther King, der vor allem auf gewaltfreien Widerstand setzt. Mozell jr. ändert seinen Namen in Malcolm Garvey Toussaint, basierend auf den drei Revolutionären Malcolm X, Marcus Garvey und Toussaint L’Ouverture. Erste eine spätere Begegnung mit “De Lawd”, wie Martin Luther King teils abfällig benannt wird, ändert seine Einstellung. Er studiert, schwört der Gewalt ab und schreibt Kolumnen, um den Weißen den Spiegel vorzuhalten. Es ändert sich jahrzehntelang nichts, doch dann entsteht Hoffnung durch den ersten schwarzen Präsidenten Amerikas.

Amerikanische Geschichtsstunde mit hochaktuellem Thema

1967/68 lernen sich Carson und Lattimore kennen und lieben und geraten als Sympathisanten ebenfalls in den Streik der Müllmänner. Dieser eskaliert am 28. März 1968 in einer großen Demonstration, angeführt von Martin Luther King, die schwarze Jugendliche jedoch überrennen und für Gewalttaten nutzen. Letztlich eskaliert die Situation in Memphis und führt zur Ermordung Kings. Darüber kommt es zur Trennung zwischen der (schwarzen) Lattimore und dem (weißen) Carson, da Lattimore fortan bei “ihren Leuten” sein möchte. Vier Jahrzehnte später muss sie erkennen, dass politisch richtiges Verhalten nicht immer auch im privaten Bereich richtig ist.

“Wollt ihr durch die Stadt fahren, Verbrecher rausklingeln und Informanten so lange nerven, bis ihr diese Typen aufgespürt habt? Für wen haltet ihr beiden euch? Starsky und Hutch? Batman und Robin?”
“Nein, Woodward und Bernstein. Wir sind Reporter, falls du das vergesse haben solltest. Wir versuchen einfach, etwas herauszufinden.”

Neben Toussaint, Carson und Lattimore sind die beiden Entführer zwei weitere wichtige Figuren. McLarry ist das Sinnbild der white trash people, dem Bodensatz der weißen Gesellschaft und voller Hass auf alles, was nicht weiß ist. Sein an einer ausgefallenen Krankheit leidender Partner überrascht hingegen, ist er doch ausgerechnet ein großer Fan von Basketball-Legende Michael Jordan.

“Grant Park” ist ein Buch mit Langzeitwirkung, denn es lässt den Leser sehr nachdenklich zurück. Rassismus, vor allem der oftmals unscheinbare Alltagsrassismus (ausgerechnet Carson bezeichnet sich mittlerweile selber kritisch als Rassisten, dem die Empathie abhandengekommen ist), ist das zentrale Thema, ebenso wie Frage, wie denn gesellschaftlicher Widerstand zu leisten ist? Mit Gewalt (aber was kommt danach) oder gewaltfrei wie von Martin Luther King gepredigt? Was hat sich seit dem Mord an King in vierzig Jahren groß verändert? Wenig bis nichts möchte man rufen, doch dann kommt plötzlich Hoffnung mit Obama auf. So könnte dieser Noir ein positiv gestimmtes Werk mit halbwegs versöhnlichem Ende sein, zumal es in Amerika bereits 2016 erschien. Allerdings wird es von der Realität in Person des neuen US-Präsidenten Trump brutal eingeholt. Rolle rückwärts infernale, der nie ganz verschwundene Rassismus blüht und gedeiht aufs Neue und lässt den Leser mit der Frage allein: Wie soll und kann es jetzt weitergehen; welcher Weg ist der Richtige?

Cover © polar Verlag

  • Autor: Leonard Pitts
  • Titel: Grant Park
  • Originaltitel: Grant Park
  • Übersetzer: Andrea Stumpf, Gabriele Werbeckck
  • Verlag: polar Verlag
  • Erschienen: 08/2018
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 550
  • ISBN: 978-3945133651
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
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Wertung: 13/15 dpt


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