Noch ein geremasterter Fassbinder-Film aus dem Hause Arthaus – und zwar nicht irgendeiner! „In einem Jahr mit 13 Monden“ entstand in einer tiefen Krisenzeit des Ausnahmeregisseurs und half ihm aus ebendieser temporär wieder heraus. Fassbinder entblößte 1978 seine Seele und eckte selbst für seine Verhältnisse auf extreme Weise an. Die psychoanalytisch aufbereitete Geschichte der Elvira Weishaupt, die als Erwin geboren wurde, ist eine mutige Tragödie, in der Fassbinder das Melodram hassliebend zerpflückt und in eine Elegie der Außenseiter umdichtet.
Heute ist unbestritten, dass Rainer Werner Fassbinder seiner Zeit weit voraus war, doch dieses tröstende Prädikat konnte dem 1982 verstorbenen Genie zeitlebens nicht verliehen werden. Es hätte nicht viel gebraucht, dann wäre Fassbinder gar schon vier Jahre zuvor zerbrochen. 1978 trennte er sich von seinem damaligen Freund Armin Meier, der kurz darauf an einer Überdosis Schlaftabletten starb. Der höchstsensible Fassbinder verzweifelte über dieses Ereignis und vernachlässigte sich, hörte aber nicht auf, seinem wahnhaften Produktionsdrang nachzugehen.
In diesem Jahr sollte der Tausendsassa allein vier Spielfilme veröffentlichen, wobei sich der letzte als der persönlich wichtigste entpuppte, mit dem er sich vor sich selbst rettete. In „In einem Jahr mit 13 Monden“, wie es 1978 eines war, fand Fassbinder den Mut, seine inneren Konflikte und Gedanken nach außen zu tragen, die nicht anders denn als depressiv und suizidal zu bezeichnen sind. Mit Elvira Weishaupt (fantastisch gespielt von Volker Spengler) erschuf er eine Figur, in der er seinem Zynismus als einen herzzerbrechenden Umgang mit seinem unbändigen Drang nach Liebe auf den Grund ging.
Elvira ist transsexuell, wurde als Erwin geboren und entschied sich aus Liebe zu einem Mann sich „den Schwanz abzuschneiden“. Doch nach der Operation sollte Elvira noch weniger irgendwo reinpassen, als zuvor als unglücklicher Erwin, gerade im verklemmten Deutschland, an dem sich Fassbinder in seiner produktiven Verzweiflung abarbeitete. Auch er sollte bis zum Schluss nicht passen, wurde nicht verstanden und schuf sich selbst eine Umgebung, in der sich ausleben konnte, die aber nicht weniger von sozialen Problemen gekennzeichnet war. Volker Spengler, Ingrid Caven, Gottfried John, Günther Kaufman, sie alle setzte Fassbinder immer wieder in seinen Filmen ein und war teilweise auch über Liebesbeziehungen mit ihnen verbunden, doch die Enge des berühmt-berüchtigten „Clans“ würde er nicht noch einmal aufleben lassen.
Vielmehr beschäftigte sich Fassbinder mit sich selbst und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, an denen er nur allzu gerne gedreht hätte. Nach und nach begibt sich Elvira in diesem besonderen Jahr mit 13 Monden, das auch noch mit einer anderen Sternenkonstellation zusammenfiel, die ebenfalls die sensiblen Seelen betraf, auf eine unfreiwillige Spurensuche nach der Entwicklung ihrer Psyche. Nachdem sie sich auf dem Strich Liebe zu kaufen versucht und im Anschluss verprügelt wird, gerät sie zuhause in einen hässlichen Streit mit ihrem Mann Christoph (Karl Scheydt), der sie daraufhin verlässt.
Das Zuhause ist keines, denn Elvira ist gefangen in den Gängen und Räumen der Wohnung, die in klassischer Melodram-Manier und auch in typischen Fassbinder-Einstellungen eingefangen werden. Auch sonst spielt der Filmemacher, der dieses Werk fast gänzlich in Eigenregie produzierte, mit dem belächelten Genre, dieses Mal aber noch extremer als sonst. Allein die Ausgangsprämisse, die Geschichte einer Transsexuellen zu verfilmen, war zu diesem Zeitpunkt keine neue, aber noch immer eine mutige, weil selten gesehene. Das Schauspiel ist dramatisch und theatralisch auf die Spitze getrieben, doch für eine transsexuelle Rolle bedeutet dies gleichermaßen Emanzipation, Revolution und Einpferchung. Elvira wird genauso melodramatisch dargestellt wie ihre weiblichen Vorläuferinnen, doch wird dieses Melodram auf den Kopf gestellt.
Elvira, soviel wird nach der Anfangssequenz klar, ist kein Happy End vergönnt. Das Morgengrauen ist wunderschön gefilmt, doch gleichzeitig kreiert Fassbinder unentwegt eine mindestens melancholische, meist aber eine manisch-depressive Stimmung. Nicht nur wird Elvira von ihrem Mann verlassen, sie gibt auch noch ein Interview, in dem sie pikante Details zu ihrer Beziehung mit dem bekannten Geschäftsmann Anton Saitz (Gottfried John) preisgibt, wegen dem sie sich hat operieren lassen. Darauf wird Elvira von ihrer Ex-Frau Irene (Elisabeth Trissenaar) zur Rede gestellt, die sich Sorgen um das Wohl ihrer gemeinsamen Tochter Marie-Ann (Eva Mattes) macht.
Zusammen mit ihrer neu gewonnenen Freundin oder wenigstens – in einer gewissen Hinsicht – Leidensgenossin, der Prosituierten „Rote Zora“ (Ingrid Caven) muss sich Elvira auf dem Weg zu einer Entschuldigung bei Anton Saitz mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Aus der märchenhaft anmutenden Reise schöpft sie jedoch wenig Mut. Die berühmte Schlachthausszene ist kompromisslos gedreht und findet mittlerweile in Filmen wie „Körper und Seele“ sich verneigende Nachahmer. Nach einem Besuch im Kloster, in dem sie als Erwin aufwuchs, bricht Elvira nach der Wiedererlangung seiner verdrängten Kindheitserinnerungen zusammen.
Elvira war nie gewollt und ist es auch heute nicht. Unentwegt trifft sie auf Ablehnung, die sich gar lebensgefährlich ausgestalten kann, obwohl sie einfach nur als das akzeptiert und geliebt werden will, was sie ist. Ein Zustand, in dem sich der bisexuelle Fassbinder wiedererkannte. „In einem Jahr…“ bringt seine Einstellung auch deswegen so passend zum Ausdruck, da der Film die Verbindung zwischen Theatralik, Tragik, Zynismus auf der einen und emotionaler Sensibilität auf der anderen Seite anschaulich und roh aufarbeitet. Fassbinder wirkte seinerzeit extrem, provokant und schwierig, dabei zog sich der sensible junge Mann in diese Modi zurück, da ihm eine andere angemessene Ausdrucksform nicht vergönnt war. Als sich im von einem kühlen Wahnsinn ergriffenen Märchenschloss des Frankfurter Hochhauses des Anton Saitz ein Mann erhängen will, philosophiert Fassbinder durch ihn über die Beschaffenheit des Selbstmords: Wer ihn beginge, der tue dies, weil er mit den Bedingungen des Lebens nicht einverstanden sei.
Nicht umsonst spielt „In einem Jahr…“ in Frankfurt, das sich schon damals zur Geldmetropole aufschwang. Die Stadt ist längst von einer Kälte erfasst, die in Geldgier und der engen Verknüpfung mit männlicher Macht ihren Ursprung hat. Homosexualität hat hier keinen Platz, weswegen sich Erwin genötigt sah, aus Liebe zu einem Mann zu Elvira zu werden. Doch für dieses Opfer wird sie nicht gewürdigt und zumindest toleriert, sondern unentwegt geschlagen, verletzt, beschimpft, benutzt und ausgestoßen. Der Transsexuelle hat sich in mit seiner Umwandlung in eine Sackgasse begeben, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.
Fassbinder erklärte sich nicht umsonst selbst zum Humanisten und zeigt, dass Elvira zwar nicht ganz unschuldig an ihrer Situation war, aber dennoch wenig für ihren Werdegang konnte. Aus heutiger Sicht kann fundiert kritisiert werden, dass die pathologisierte Darstellung von Transsexualität der Materie nicht gerecht wird und der psychoanalytischen Methode ihre Grenzen aufzeigt, doch Elvira wäre auch als „gesunde“ Transsexuelle auf schier unüberwindliche Widerstände gestoßen, da sie noch immer sexualisiert, kriminalisiert, verdinglicht und so um angemessene Ausdrucksformen gebracht werden. Eine Lehre, die uns angesichts der aktuellen politischen Lage davon überzeugen sollte, uns verstärkt für die Normalisierung verschiedenster Ausprägungen von sexueller Orientierung als Teil von „Minderheiten“ einzusetzen, solange bis dies im Idealfall überhaupt nicht mehr thematisiert werden muss. Aber das ist eine Utopie, der wir seit Fassbinder nur zentimeterweise nähergekommen sind.
All das erzählt „In einem Jahr…“ in etwas über zwei Stunden in einer erstaunlichen Dichte, die einen auch aufgrund der Lautstärke, der psychedelischen Anspannung und der generierten Enge erschlägt. Immer wieder wird Elvira in das kindlich Unterwürfige zurückgeworfen, doch fühlt sich niemand in der Lage, auf diesen Hilferuf zu reagieren, sie zu trösten, aufzubauen und als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. Eigentlich sind wir alle noch Kinder, denen es mal besser und mal schlechter gelingt, die Fassade des Erwachsenseins aufrecht zu erhalten und vielleicht war es das, worin Fassbinder noch etwas Halt fand: Wir müssen nur etwas erwachsen werden, dann wird das schon mit der Menschheit.
Doch auch Fassbinder selbst agierte nicht immer erwachsen. Sein unbändiger Wille nach Produktion lag sicherlich im (durchaus berechtigten) Gefühl begründet, dass er etwas von Wert gefunden hat, das zur Veränderung der Welt betragen könnte. Leider aber bleibt bei ihm dann auch etwas auf der Strecke, in diesem Fall der Ton. In dem sonst äußerst sehenswerten Film, der auf Blu-ray seine volle Wirkung entfalten kann, ist es aufgrund der wohl suboptimal positionierten Mikrofone mitunter schwer, den so schönen und wichtigen Mono- und Dialogen zu folgen. Aber das ändert nichts an der Wucht des Films, die sich aus einer weiteren Weisheit entwickelt, die Fassbinder als Dilemma erkannt haben muss: Aus großem Schmerz entsteht große Kunst.
Fazit: Einen besonderen Film erschuf Fassbinder in seiner bis dahin größten Lebenskrise. In „In einem Jahr mit 13 Monden“ verarbeitet der Filmemacher auf eindrucksvolle Weise die Folgen des Todes seines Ex-Freundes Armin Meier in einer Geschichte über einen Transsexuellen. Hierin überspitzt Fassbinder sein eigenes Gefühl, ausgestoßen zu sein und missverstanden zu werden auf rohe wie kluge Weise. Der Film hält einige der schonungslosesten Momente im Schaffen des Allrounders und eine Message bereit, die heute leider wieder aktueller geworden ist, als dass es Fassbinder gefallen hätte. Das brutale Melodram ist ein Schlag in die Magengrube, in dem Elvira Vergebung, ja selbst einfache Partizipation versagt bleibt, aber genau deswegen ist „In einem Jahr…“ ein humanistisches Werk, dessen Wiederveröffentlichung zur rechten Zeit kommt.
Szenebilder und Cover © Arthaus
- Titel: In einem Jahr mit 13 Monden
- Produktionsland und -jahr: D, 1978
- Genre:
Melodram
Drama
- Erschienen: 24.01.2019
- Label: Arthaus
- Spielzeit:
ca. 124 Minuten auf 1 DVD
ca. 124 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
u.a.
Volker Spengler
Ingrid Caven
Gottfried John
Eva Mattes
- Regie: Rainer Werner Fassbinder
- Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder
- Kamera: Rainer Werner Fassbinder
- Schnitt: Rainer Werner Fassbinder
- Extras:
Interviews, Podiumsdiskussion 1992
- Technische Details (DVD)
Video: 1,37:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,37:1 (1080/24p Full HD)
Sprachen/Ton: D (Mono DTS-HD MA)
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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