Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss (Serie, Blu-ray)


40% der jungen Erwachsenen in Deutschland wissen nach eigenen Angaben wenig oder gar nichts über den Holocaust. Trotz des offensichtlich begründeten Verdachts eines ausgeprägten Nichtwissens erschrecken diese Zahlen einer CNN-Studie, auch weil sie zur Unzeit kommen. Begeben wir uns sehenden Auges und wider besseren Wissens in das Risiko einer weiteren Terrorzeit, das in autoritären Politikstilen immer mitschwingt, nur weil die Geschichte weiter als eine Lebensspanne zurückliegt? Die regionalen ARD-Sender wiederholten auch vor diesem Hintergrund und anlässlich des 40. Jahrestages der Erstausstrahlung „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ Anfang dieses Jahres. Nun erscheint die Miniserie erstmals in Deutschland auf Blu-ray und im 16:9-Format bei polyband und macht ein prämiertes Stück TV-Geschichte erhältlich, dessen Art der Aufarbeitung heute wieder kritisch diskutiert wird.

1978 sahen die AmerikanerInnen das fast siebenstündige TV-Drama „Holocaust…“ zum ersten Mal auf NBC, ein Jahr später übten sich erstmals auch die Deutschen in der massenwirksamen Aufarbeitung der dunkelsten Zeit ihrer Geschichte. Ein historischer Schritt fast 35 Jahre nach Kriegsende, der tatsächlich auch einige politische Türen öffnen sollte, um sich dem delikaten Thema zu nähern. Wenn man bedenkt, dass es auch damals noch zu zum Teil terroristischem Widerstand gegen die Ausstrahlung kam, weswegen schließlich die Dritten Programme der ARD für die Ausstrahlung bemüht werden mussten, war es hoffentlich die historische Leistung über das Medium Fernsehen hinuas, die bei den Emmy und Golden Globe Awards gewürdigt wurde, denn handwerklich ist „Holocaust…“ Fernsehen der eher grauseligen Sorte.

Wie im deutschen Titel bereits verraten, begleitet der TV-Vierteiler die fiktive jüdische Familie Weiss aus Berlin auf ihrer zehn Jahre andauernden Odyssee im Nazi-Deutschland. 1935 heiratet Sohn Karl (James Woods) die Christin Inga (Meryl Streep in einer ihrer ersten Rollen) zu einer Zeit, in der die politische Stimmung bereits aufgeheizt ist. Verwandte von Inga sind in die NSDAP eingetreten und beäugen die Mischehe mindestens misstrauisch. Warum sie sich von den Nazis haben verpflichten lassen, könnte besonders im Fall der parallel beleuchteten Familie Dorf deutlich werden: Erik Dorf (Michael Moriarty) ist in diesen Zeiten arbeitsloser Jurist, wird aber von seiner Frau Marta (Deborah Norton) dazu gedrängt, für die Partei zu arbeiten. Die Nazis bieten den schnellen Aufstieg für die Perspektivlosen, wenn man denn nur bereit ist, es mit den menschlichen Werten nicht allzu genau zu nehmen.

Die Geschichte nimmt ihren bekannten Lauf und das ist eines der Probleme von „Holocaust…“: Die Miniserie wirkt durch die funktionalisierten Dialoge und durch die stark konstruierte Handlung zumeist wie ein semidokumentarisches Werk, wie heute Formate à la „ZDF History“ sind… nur eben ohne Guido Knopp als Erzähler. Das war seinerzeit durchaus lehrreich gestaltet, es stellt sich nur die Frage, ob die Zuschauenden wirklich mit so viel Kitsch ins Boot geholt werden mussten. „Holocaust…“ nimmt zwischenzeitlich Töne einer Seifenoper an, die das Konzept der Liebe als allgemeingültiges Mittel der Rettung in den Mittelpunkt stellt. Andererseits will die Serie aber auch schonungslos sein und zeigt (leider in einer lachhaft schlechten Umsetzung) durchaus Brutales und Unerträgliches, sodass eine Freigabe ab 12 nur damit zu erklären ist, dass das Werk weiterhin als Element der Bildung genutzt werden soll.

Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer wehren sich bis heute gegen das Format, würde es doch die Wahrheit nicht treffen und das unvorstellbare Verbrechen des Holocausts zu einem unterhaltsamen TV-Ereignis verklären. So ist es auch, denn die Einzelschicksale wurden so sehr eingedampft, dass sie auf unrealistische Weise in hauptsächlich drei Familien kondensiert zu zahlreichen Zufällen führen muss, um einen spannenden Erzählfluss zu garantieren. Auch wenn die Macher einige mögliche Erzählstränge clevererweise unerfüllt und nicht im Guten enden lassen, treffen die Figuren doch immer wieder aufeinander, manchmal gar völlig funktionalisiert. Karls Bruder Rudi (Joseph Bottoms) verliebt sich nach seiner Flucht aus Deutschland so schnell in die Tschechin Helena (Tovah Feldshuh), dass nach ein paar Minuten inklusive der ersten Nacht die Geschichte im Hauptstrang vorankommt.

Die offensichtliche Konstruktion zieht die Wahrhaftigkeit aus den realen Begebenheiten und in das Artifizielle der Fernsehunterhaltung. Familie Weiss besteht ausschließlich aus guten Menschen, die Eltern üben philanthrope Jobs als Arzt und Lehrerin aus, während Karls Eltern den Sohn aufgrund seiner Heirat verstoßen. Einzig auf Seiten der Täter fließt Ambivalenz ein, wenn Dorf beispielsweise Zweifel an seinen Taten plagen und er sich zum Schluss in Parolen rettet wie „Jetzt können wir nicht mehr aufhören“. In der Darstellung als Opportunisten denn als fanatische Anhänger der faschistischen Idee werden die Mechanismen dieses besonderen Kriegsfalls deutlich, die „Holocaust…“ ebenso veranschaulicht wie den schrittweisen Umschwung und die sukzessive Verrohrung der Gesellschaft oder die zunehmende Isolierung der Juden vom Entzug von Rechten bis zur Endlösung in den Konzentrationslagern inklusive der Vertuschung dieser Taten. Doch dieser Einblick in den schrecklichen Alltag hätte in einer Dokumentation, wie „Shoah“ 1985 bewies, eindrücklicher und realisiert werden können.

Wichtige Fragen stellt „Holocaust…“ trotzdem, die nach der Wahlverwandtschaft durch Liebe zum Beispiel oder die nach der Heimat, die vor allem für Juden bis heute eine besondere darstellt. Die Sehnsucht nach einem eigenen Staat wird deutlich, wenn den immer als „die Fremden schlechthin“ konstruierten Juden trotz eines ausgeprägten Heimatgefühls die Zugehörigkeit über die Nationalität aufgrund ihres Glaubens abgesprochen wird. Und wenn gerade vom Opportunismus der Täter die Rede war, so ist es umso erstaunlicher, wozu ebendiese in der Lage sind, wenn denn nur die Rahmenbedingungen für ihre Ziele günstig und für die Menschlichkeit ungünstig genug sind. Die übelsten und bestialischsten Verbrechen wurden nur dadurch möglich, dass die Nazis eine kühle Organisation des Massenmords entwickelten, der im Idealfall nur noch bürokratisch abgearbeitet werden sollte.

Diese Entmenschlichung übertrug sich auf die Opfer, die zunächst scheinbar sehenden Auges in ihr Verderben fuhren, eben weil die Praktiken vor ihnen verheimlicht wurden. Als dann doch Gerüchte des Völkermords die Runde machten, wurden auch die Juden korrumpiert, weil sie nur überleben konnten, wenn sie selbst anfingen zu töten. Vielleicht ist es das wahre Verbrechen, dass Männer, Frauen und Kinder das Lügen, Schmuggeln und Morden lernen und zu Verbrechern werden mussten, als die sie zuvor ohne jede Grundlage stigmatisiert wurden. Andererseits sucht „Holocaust…“ vornehmlich die Schuld bei den „alten“ Frauen, egal ob sie ihre Männer in das Verbrechen zwingen oder sich der frühzeitigen Flucht verweigern. Erst die jüngeren Frauen wie Inga oder Helena leben für die Liebe und stehen stark für sie ein. Sicherlich eine gutgemeinte Wendung, die jedoch fragwürdige Konsequenzen nach sich zieht.

All das kann (vielleicht auch erst mit dem Wissen anno 2019) aus „Holocaust…“ gezogen werden, formal ist jedoch eher weniger aus dem Vierteiler zu holen. Das Schauspiel ist von überschaubarer Qualität, eben weil sich Regisseur Marvin J. Chomsky und Drehbuchautor Gerald Green zu sehr auf die gefühlsmäßigen Aspekte des Stoffs konzentrierten. Michael Moriarty als Erik Dorf hat sicher die Anweisung bekommen, möglichst unterkühlt zu spielen, doch so emotionslos und starr, wie die Performance dann schließlich ausfällt, deckt sich das kaum mit der Figur, die sich selbst als schüchtern beschreibt und sensibel auftritt. Die Produktion ist auch visuell von TV-Qualität und bietet kaum anregende Schauwerte. Hinzu kommt eine kitschige Poetik Marke Küchenphilosophie, die sich überhaupt nicht festbeißen kann.

Als US-Produktion stellte sich zudem die Frage, wie mit der Sprache umzugehen sei. Die Verantwortlichen entschieden sich für einen Kompromiss, in dem die SchauspielerInnen durchweg englisch sprechen, jedoch auf deutsche Vokabeln und Anreden wie „Herr“ und „Frau“ zurückgreifen. So entsteht ein akzentreicher Mischmasch, der vor Zugeständnissen nur so wimmelt. Was den Schluss angeht, zeigten sich die Deutschen jedoch wenig kompromissbereit. In der vorliegenden Version ist erstmals das originale, etwa zehnminütige Ende enthalten, das einen typisch amerikanisch-optimistischen Schlusston setzt. Inga und Rudi treffen sich zufällig im befreiten Theresienstadt wieder, lassen alles noch einmal Revue passieren und wirken dabei sehr gefasst. Ein Ende, das damals in Deutschland also niemand verpasst hat und auf das heute verzichtet werden kann. Generell gilt sowieso: Lieber „Shoah“ gucken und vor allem im Klassenraum zeigen. Aber es stellt sich immerhin die Frage, ob dieser Meilenstein ohne „Holocaust…“ wirklich möglich geworden wäre – und nicht nur das.

Fazit: „Holocaust…“ hat TV- und gesellschaftspolitische Geschichte geschrieben, weil die Miniserie gerade in Deutschland die Aufarbeitung der Nazi-Zeit entscheidend vorangebracht hat. Das ändert aber nichts daran, dass „Holocaust…“ typische Fernsehkost mit allen Unzulänglichkeiten im visuellen und erzählerischen Bereich war und bleibt. Der Bildungsfaktor ist zwar gegeben, doch die Geschichte um eine fiktive jüdische Familie wirkt zu konstruiert und kitschig, um sich den realen Gräueltaten und dem Terror des Holocausts angemessen zu nähern. Aber das ändert nichts daran, dass die Film- und die reale Welt ohne „Holocaust…“ wohl anders aussehen würde.

Cover und Szenebilder © Polyband

  • Titel: Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss
  • Originaltitel: Holocaust
  • Produktionsland und -jahr: USA, 1978
  • Genre:
    Drama
  • Erschienen: 22.02.2019
  • Label: Polyband
  • Spielzeit:
    ca. 425 Minuten auf 2 Blu-Rays
  • Darsteller:
    Meryl Streep
    James Woods
    Michael Moriarty
  • Regie: Marvin J. Chomsky
  • Drehbuch: Gerald Green
  • Kamera: Brian West
  • Schnitt:
    Craig McKay
    Stephen A. Rotter
  • Extras:
    Epilog (ca. 10 Minuten)
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

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