Eines muss man Disney lassen: In Sachen Animationsfilme ist seinen Studios nichts vorzumachen. Viele haben es versucht, doch bis auf ein paar Achtungserfolge konnte bisher niemand am von Disney besetzten Thron rütteln. Von einem bislang recht unbekannten Regisseur kommt in dieser Lage nun ein gänzlich neuer Ansatz: Warum nicht einfach klauen? Und zwar nicht einfach nur von einem, sondern gleich von mindestens zwei Disney-Klassikern? „Deep“ ist ein durchweg peinlicher Film, an dem klar wird, an welchen Stellen Pixar & co. die Nase weit vorne haben.
Filmemacher Julio Soto Gurpide war bis dato ausschließlich mit soliden Dokumentarfilmen in Erscheinung getreten, doch für seine Idee zu „Deep“ konnte er gleich ein sechs Millionen Euro-Budget an Land ziehen. Mit von der Partie: Ein ganzes Konglomerat an ProduzentInnen, AnimatorInnen und Schreibern aus der ganzen Welt, die das Projekt zum Erfolg durchboxen sollten. Aber wie war das noch mal mit den Köchen und dem Brei? „Deep“ ist Tiefseemorast der übelsten Sorte, weil hier so gut wie gar nichts zusammenläuft und überdies das Ganze auf Füßen steht, die einem äußerst bekannt vorkommen.
Deep (oder Thommi, wie er merkwürdigerweise in der deutschen Version heißt) ist ein Kraken im rebellischen Pubertätsalter, dem es deswegen so gar nicht passt, dass sein Großvater ihn und sein „Volk“ in einer Unterwasserhöhle zu schützen versucht, die auf keinen Fall verlassen werden darf (Häkchen an „Findet Nemo“). Draußen wimmelt es nämlich vor Gefahren, für die der Mensch verantwortlich ist, der im Jahr 2100 die Erde durch seine Umweltverschmutzungen ruiniert hat. Deep schleicht sich natürlich regelmäßig nach draußen, überredet zur neuesten Entdeckungstour auch den Anglerfisch Evo und den Shrimp Alice. Das Spiel mit dem aufregenden Menschenmüll geht natürlich schief und durch einen Torpedo bringt Deep die HöhlenbewohnerInnen in lebensbedrohliche Gefahr.
Daraufhin muss Deep die Sache wieder geradebiegen und geht auf eine mehrtägige (oder eher -wöchige?) Abenteuerreise, um den Wal Nathan zu finden, ein alter Freund des Großvaterkrakens. Deep führt die dreiköpfige Gruppe an und bringt auch diese immer wieder durch sein impulsives Verhalten in Gefahr. Sie schwimmen unbeschadet durch einen Tiefseegraben, finden die Titanic, das untergegangene New York und schließlich, ja wirklich, ein Raumschiff (leider kein Monty Python-Gag). Immer wieder geraten sie in die Fänge anderer übler Zeitgenossen, bis sie auf einen Pinguin, ein Walross und einen Delphin treffen, die aufgrund ihrer Intelligenz von der Menschheit beauftragt wurden, Meeresbewohner einzufrieren und mit dem „Arche-Raumschiff“ zum neuen Wahlplaneten der Menschen zu bringen (Häkchen an „Wall-E“).
Wüsste man vorher, wohin die Reise des Films geht, sie würde wohl von den wenigsten Zuschauenden bestritten werden. Aber bereits auf dem Weg will sich so ziemlich gar nichts fügen. „Deep“ ist völlig überladen und schlingert bedenklich vor sich hin. Der Film spielt in knapp 90 Minuten an unzähligen Orten und möchte zwischen Umweltkatastrophen, Freundschaft, Verrat und Teamwork möglichst viele Themen abarbeiten. Doch das kann schon gar nicht funktionieren, wenn sich daraus kein schlüssiges Gesamtbild ergeben will. Soto Gurpide geht davon aus, dass der Zuschauende schon weiß, was er meint und nimmt es deswegen nicht so genau mit einer moralisch einwandfreien Message. Der Mensch soll wohl irgendwie an allem schuld sein, doch dass Deep sich selbst und seine Freunde unentwegt in Gefahr bringt und sich eigentlich selbst sein Abenteuer schafft, mag der Film nicht thematisieren. Hier hat der Regisseur sein Vorbild „Findet Nemo“ jedenfalls nicht verstanden.
Deeps Rettungstrupp hat auf seiner Reise mehr Glück als dass er Verstand beweist, was die Message des Teamworks (das natürlich tausendfach ausgesprochen wird) untergräbt. Die Schuldfrage wird zwar gestellt, doch dass Deep Verantwortung trägt, wird nicht wirklich klar. Stattdessen ist der Mensch das Übel, doch auch das wird nicht richtig ausbuchstabiert, auch weil der Mensch im Film nur kurz und dann sehr abstrakt auftritt. Das ist deswegen problematisch, weil es sich um einen Kinderfilm handelt und dementsprechend den Jüngsten das Rüstzeug vermittelt werden soll, um eine bessere Welt zu schaffen.
Die Umweltkatastrophen verkommen in „Deep“ aber größtenteils zur Kulisse, die überdies noch nicht mal überzeugend mit Leben gefüllt wird. Es ist eine Reise durch einen Themenpark, der aber kaum zeigt, dass die Fauna der Weltmeere fundamental gefährdet ist. Dass kaum etwas über die beteiligten Tiere vermittelt wird (Anglerfische außerhalb der Tiefsee?), dürfte da leider kaum überraschen. Stattdessen ist der Film für eine Altersfreigabe von 0 Jahren unverhältnismäßig düster, eklig und gruselig. Deformiertes und bösartiges Meeresgetier säumt den Weg, es wird gerülpst, gepinkelt und „geboren“. Das ist meist lustig gemeint, doch weder können junge Menschen dies verstehen, noch sind die Gags mit Pointen hinterlegt worden. Das macht „Deep“ zu einer peinlichen Angelegenheit, weil kaum ein Witz sitzt, geschweige denn funktioniert. Häufig ist er völlig fehl am Platz und zudem auch noch unlogisch, wenn es beispielsweise um die Lava geht, die eigentlich tödlich ist, aber als Gag über die Babyfische geschüttet wird, die danach verkohlt und bedröppelt in die Kamera schauen. Oder wenn Deep die Aquarien in New York „cool“ findet.
Soto Gurpide und sein Team sind sich ihrer Zielgruppe zu keiner Zeit gewahr und schmeißen mit Referenzen um sich, die Kinder schlicht nicht verstehen können. Auch Disney bindet solche Elemente ein, doch sie sind so ausgestaltet, dass sie den Gesamtkontext unterstützen. In „Deep“ werden stattdessen Bibel-, Literatur- und Kulturzitate eingewoben, denen ein Witz innewohnen soll, der aber nicht zu vermitteln ist. Auch andere Plottwists laufen völlig aus dem Ruder. Das untergegangene New York wird von hispanischen (!) Krabben bevölkert, die als Gangster modelliert sind. Gemeinte Message: Harte Schale, weicher Kern. Mögliche Interpretation: New York wird von Hispanics überrannt, die stereotyp nur kriminell sein können. Donald Trump wird dieser Teil besonders gut gefallen haben, schließlich zeichnet sich ein spanischer Regisseur dafür verantwortlich, der zwischen seiner Heimat und den USA pendelt. Dabei spricht sich der Filmemacher explizit gegen Protektionismus und für Demokratie aus, doch es bleibt auch ein Glaube an die Kraft der Religion an Bord, der in einen sehr merkwürdigen Schlussakkord mündet: Lasst uns die Welt bevölkern, auch du, Deep und deine kleine Krakenfreundin.
Auch handwerklich ist „Deep“ ganz fürchterlich. Gerade zu Beginn des Films wirkt die Animation behäbig und hölzern, woran der Unterschied zum im Detail ausgearbeiteten Rhythmus eines Pixar-Films deutlich wird. Um das selbst auferlegte Pensum zu schaffen, hechelt der Film durch seine Dialoge, wodurch zwischen Wichtigkeit und Emotionen kaum erkennbar werden. „Deep“ ist unstetig, was seine Kameraarbeit angeht: Mal wird mit dem Publikum gesprochen, mal nicht, mal geht es unnötig langsam, dann wieder schnell. Die Musiknummern sind allesamt unausgegoren und im Fall des Krabben-Raps unerträglich peinlich. Vieles mag durch die Adaption aus dem Spanischen ins Amerikanische oder auch Chinesische liegen bleiben, aber hier liegt der Fehler sehr viel tiefer.
Fazit: „Deep“ ist ein furchtbarer, wilder und überfrachteter Animationsfilm, der in sich keine Konsistenz findet. Messages gehen durcheinander, Witze bleiben als Gags hohl und die Charaktere unsympathisch. Zudem ist der Film zum Teil grauselig animiert und mit peinlichen Musiknummern gespickt. Und wäre das noch nicht schlimm genug, lässt sich Regisseur Soto Gurpide von Pixar-Klassikern wie „Findet Nemo“ und „Wall-E“ – gelinde gesagt – inspirieren, was die Frage aufwirft, inwieweit hier überhaupt wer eine originelle Idee entwickelt. Zu viele Beteiligte haben das Projekt „Deep“ zu einem größenwahnsinnigen Film aufgebläht, der selbst den Titel „Disney für Arme“ kaum verdient.
P.S.: 2D- und 3D-Version kommen auf einer Disc und können jeweils im Menü angewählt werden.
Cover und Szenebilder © Ascot Elite
- Titel: Deeo – Kleine Helden der Tiefsee
- Originaltitel: Deep
- Produktionsland und -jahr: 2018
- Genre:
Animation - Erschienen: 26.10.2018
- Label: Ascot Elite
- Spielzeit:
92 Minuten auf 1 DVD
92 Minuten auf 1 Blu-Ray
- Regie: Julio Soto Gurpide
- Schnitt: Julio Soto Gurpide
- Musik: Fernando Velázquez
- Extras:
Coole Bonusclips; Originaltrailer; Trailershow - Technische Details (DVD)
Video: 16:9
Sprachen/Ton: z.B. D, GB, IT, S
Untertitel: z.B. D, F, E, RU
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 16:9
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 0
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 2/15 dpt