Mandy (Spielfilm, DVD/Blu-Ray)


“Mandy” ist nach “Beyond The Black Rainbow” (den es hierzulande bedauerlicherweise nur als Importversion gibt) der zweite Spielfilm von Panos Cosmatos. Einen frühen Credit als Video Assist Operator erhielt er bereits als Neunzehnjähriger. An der Seite seines Vaters George Pan Cosmatos (“Cassandra Crossing”, “Rambo II”, “Die City Cobra”, “Leviathan” u.a.) war er an dessen unterschätztem Western “Tombstone” beteiligt.

Wer die psychotronische Elegie “Beyond The Black Rainbow” gesehen hat, wird sich denken können, dass “Mandy” keine Rachegeschichte nach üblichem Muster ist, kein Action-Horror-Flic der Gütekasse B – Z, obwohl es sich auf dem Papier danach anhört. Die Titelfigur wird von den Mitgliedern der obskuren Sekte “Children Of The New Dawn” lebendig verbrannt, während ihr Gatte Red, mit Stacheldraht gefesselt, dabei zuschauen muss. Schwerverletzt kann er sich befreien und beginnt einen bluttriefenden Rachefeldzug.

Cosmatos hält sich zwar an den Verlaufsplan, doch untergräbt er die, von ihrer Grundlage her schlicht funktionale Dramaturgie auf vielfältige Weise. Er lässt sich Zeit, in der ersten Stunde ist “Mandy” ein irisierender Liebesfilm, der die fabelhafte Andrea Riseborough in der Titelrolle in den Focus stellt, während Nicolas Cage als Red Miller den verliebten tapsigen Bären gibt, der sich bewusst ist, in Mandy eine Frau gefunden zu haben, die ihm in fast allen Belangen überlegen ist. Riseborough als ungeschminkte Ikone der Weiblichkeit ist der fahle Fixpunkt in einem farbberauschten Film, in dem Rot dominiert. Nicolas Cage ist beseelt von ruppiger Zärtlichkeit, für die nicht viele Worte vonnöten sind. Geschwätzig ist “Mandy” in weiten Teilen per se nicht, es sei denn der selbst ernannte Guru Jeremiah Sand ergreift das Wort (wobei es nie bei einem bleibt). Cage bleibt den gesamten Film hindurch maulfaul, warum auch reden, wenn man seinen Körper, seine Gesichtszüge für sich selbst sprechen lassen kann? Was Nicolas Cage fabelhaft beherrscht. Bis zur völligen Entgleisung, die in “Mandy” passt wie selten (trotzdem hat Cages Red Miller ein paar der wunderbarsten Dialogpointen für sich. Mein Liebling: “Bist du Lebensmüde?” “Ich möchte nicht darüber reden.”).

Eine zufällige Begegnung mit Mandy weckt das Begehren von Jeremiah Sand. Der Anführer der “Children Of The New Dawn” möchte die elfenhafte Frau zu seiner Muse und Jüngerin machen. Dabei scheitert er kläglich. In einem aufgezwungenen Drogenexzess wird er von Mandy ausgelacht und entlarvt als jämmerliches Abziehbild eines religiös eingefärbten Männlichkeitswahns. Vom Sockel geholt, bleibt ihm nur das althergebrachte Mittel aller kümmerlichen Despoten: Liquidation der Erkennenden.

Ab Mandys Verbrennung wird der Film zu einer oszillierenden, brutalen Reise in männliche konnotierte Machtfantasien, die konsequenterweise im Schoß einer Kirche endet. Red muss sich rückwärtig durch eine Art Geburtskanal zwängen, bevor es zum finalen Duell kommt. Zuvor darf der geschundene Mann sich noch jesusgleich einen Nagel aus der Handfläche ziehen und später in einer Schwanzvergleich brillieren. Genregerecht mit Kettensägen ausgetragen. Red hat zwar nicht die größere Säge, geht aber gewiefter damit um.

Kleiner Exkurs, dezent gespoilert: Verletzungen machen dem Protagonisten Red augenscheinlich nicht viel aus. Ein tiefer Messerstich in die Seite – erneut eine religiöse Anspielung – muss nicht einmal versorgt werden, und auch die durchlöcherte Hand stellt kein großes Handicap dar. Was die Lesart erlaubt, dass alles nach Mandys Tod ein Fiebertraum des immer noch mit NATO-Draht gefesselten, sterbenden Red Miller sein könnte. Wäre Cosmatos‘ Bildsprache nicht von Beginn an höchst expressiv und exzessiv, würde das halluzinogene Farbfeuerwerk des Rachefeldzugs geradezu für ein letztes delirierendes Aufbäumen sprechen. Doch wer will bei “Mandy” die schnöde Realität schon als Maßstab nehmen? Nicolas Cage ist eines vergessenen Gottes axtschmiedender Sohn, ein wahrer Leidensmann, dem Schmerzen Kraft geben, um seine Rache zur psychedelischen Apokalypse werden zu lassen. Kleiner Exkurs Ende.

“Mandy” spielt, darin “Beyond The Black Rainbow” gleich, im Jahr 1983, das jedoch nicht historisch exakt nachgebaut wird, sondern eher ein fiktiver Ort der Erinnerung des Regisseurs und Co-Drehbuchautors Panos Cosmatos ist, wie auch Audiokommentator Patrick Lohmeier (Bahnhofskino) korrekt feststellt. Cosmatos‘ Lieblingsfilm seines Vaters “Unheimliche Begegnung” (“Of Unknown Origin”) entstand genau in diesem Jahr. Dürfte kein Zufall sein. Das zeitliche Setting ist eine Hommage an das Kino jener Zeit, an dreckige, kleine und größere Genrewerke, die in diesem Jahrzehnt zuhauf entstanden. Wie Panos Cosmatos überhaupt mit einem großen Verweiskanon arbeitet. Es finden sich Spuren von Andrej Tarkowiski (explizit “Stalker”), Alejandro Jodorowski (einer der Haupteinflüsse), David Lynch, Gaspar Noé und Lars von Trier, dessen “Antichrist” bereits zu Anfang eine fast persönliche Widmung bekommt. Wie auch Clive Barker, aus dessen Oeuvre die von Drogen zerfressenen Höllenbiker stammen könnten, die Jeremiahs Drecksarbeit erledigen. Cenobiten auf Rädern.

Dabei gelingt es Panos Cosmatos mit einer imponierenden Selbstverständlichkeit, diese Zitate einfließen zu lassen, um etwas Originäres daraus zu erschaffen. Ohne den Hang zu selbstverliebten Fingerzeigen wie sie etwa Quentin Tarantino zu eigen ist. Selbst völlig disparate Elemente fügen sich wundersamerweise nahtlos ein. Werden gar zum Highlight, wie jener Moment des schrägen, pythonesken Humors, als Nicolas Cage sich im Fernsehen den völlig durchgeknallten “Cheddar Goblin”-Werbespot anschaut (hässlicher Kobold kotzt kleinen Kindern Käsemakkaroni auf den Kopf). Blutig, verdreckt, in Unterhose und T-Shirt steht Red Miller im wohl stylishsten, surrealsten wie ranzigsten 70er-Jahre-Badezimmer, das man sich nur vorstellen kann und starrt gebannt auf die Mattscheibe. Wohlgemerkt, kurz nachdem die Liebe seines Lebens zu Asche verbrannt ist.

Nein, ein hochspannendes Action-Horror-Feuerwerk ist “Mandy” nicht, wohl eine faszinierende Meditation darüber, wie über Liebe, Gewalt, religiösen Wahn und Tod. “I Wanted to Create Something Like a Heavy Metal Album Cover from the ’70s”, sagt Panos Cosmatos über seinen Film. Genau das ist ihm gelungen und viel mehr noch. Ein soghafter, filmischer (Alp)traum, mit einem Nicolas Cage in Höchstform, der zu Recht eine exorbitant hohe Wertung bei Rotten Tomatoes (derzeit 92% Kritikerscore. Das Publikum wertet mit derzeit 68% irritierter) erhalten hat. Und der trotzdem sein Publikum polarisieren wird wie es sich für ein großes Werk gehört. Wer “The Fast And The Furious” als Maßstab für seine Genre-Leidenschaft setzt, dürfte von “Mandy” arg enttäuscht werden. Alle anderen, die offeneren Geistes sind, sollten die Grenze nach Mandyland überschreiten. Es gibt viel zu sehen, zu staunen und noch mehr zu entdecken. Und eine ganze Menge zu hören.

Wie bereits in “Beyond The Black Rainbow”, mit seinen hypnotischen Space-Krautrock-Variationen, spielt die Begleitmusik eine große Rolle. Traurigerweise ist der hervorragende Soundtrack (der auch ohne den Film einen tiefen Eindruck hinterlässt) die letzte Arbeit des im Februar 2018 im Alter von nur 48 Jahren verstorbenen, fabulösen Jóhann Jóhannsson. Eine Drone-Doom-Metal-Symphonie der intensiven Art, das schleichende Grauen in wunderhübscher Verkleidung. Die schneidende Gitarre Stephen O’Malleys [von Sunn O)))]  trifft auf wabernde Synthies und mächtige Trommelschläge, von Ferne grüßen die frühen Pink Floyd, und wenn es tatsächlich hinterm Horizont weitergehen sollte, dann auf dem Planeten, wo die zwergenhaften Kuttenträger aus “Das Böse” (“Phantasm”) ihre toten Opfer entsorgen.

Ein letztes Wort noch zu Patrick Lohmeiers beflissenem Audiokommentar. Trotz seiner etwas monotonen Erzählweise hört man ihm die Begeisterung für “Mandy” an. Gerade zu Beginn begleitet er den Film fachkundig, stellt kluge und anschauliche Zusammenhänge her, ergänzt um mehr oder minder gelungene und passende Anekdoten. Leider behandelt er nebensächliche Details und Abwegiges gerne zu ausführlich (der Exkurs zu Lucio Fulcis “Conquest” (aus dem Jahr 1983 natürlich) ist vom Ansatz her nicht uninteressant, ein kurzer Hinweis, mit Erwähnung der eigenen Rezension hätte aber gereicht, statt quälend lange daraus vorzulesen). Auch ist das wiederholte Rekurrieren auf die Vielfalt der möglichen Zuschauerresonanz überflüssiges Schwadronieren. Mit ein bisschen Sprechtraining, etwas mehr Selbstvertrauen und der Fokussierung auf wesentlichere Aspekte hätte aus dem akzeptablen Kommentar ein richtig guter werden können.

Cover & Szenenfotos  © Koch Media

  • Titel: Mandy
  • Originaltitel: Mandy
  • Produktionsland und -jahr: Norwegen, Frankreich, Dänemark, Schweden 2017
  • Genre: Drama, Mystery, Psychothriller, Liebesfilm
  • Erschienen: 29.11.2018
  • Label: Koch Media
  • Spielzeit:
    116 Minuten auf DVD 
    121
    Minuten auf Blu-Ray
  • Darsteller: 
    Nicolas Cage
    Andrea Riseborough
    Linus Roache
    Bill Duke
    Ned Dennehy
    Richard Brake
  • Regie:
    Panos Cosmatos
  • Drehbuch:
    Panos Cosmatos
    Aaron Stewart-Ahn
  • Kamera:
    Benjamin Loeb
    Musik:
    Jóhann Jóhannsson
  • Extras:
    Audiokommentar zum Film von Patrick Lohmeier (Bahnhofskino) (ca. 120 Minuten), Behind the Scenes (ca. 22 Minuten), Deleted Scenes (ca. 14 Minuten), Vier “One Shot” Teaser (ca. 4 Minuten), Deutscher Trailer (ca. 2 Minuten), Englischer Trailer (ca. 2 Minuten)
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2.35:1
    Sprachen/Ton
    :
    Deutsch, Englisch, Dolby Digital 5.1
    Untertitel:
    Deutsch
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2.35:1
    Sprachen/Ton
    : Deutsch, Englisch, DTS HD-Master Audio 5.1
    Untertitel: 
    Deutsch
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktlink Blu-RayErwerbsmöglichkeiten
    Wertung: 13/15 Mandinskys

1 Kommentar
  1. Zum Audiokommentar: Das “quälend lange Vorlesen” aus der CONQUEST-Rezension dauert weniger als eine Minute. Ich empfinde das im Kontext eines gut zweistündigen Kommentars als durchaus akzeptabel. Aber über Geschmack genau wie das angebrachte Maß an Geduld für solche Ausführungen kann bzw. sollte man nicht streiten. Darüber hinaus Danke für die Rezension und das kritische Feedback 🙂

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