Charles Spence – Gastrologik (Buch)

Charles Spence - Gastrologik (Cover © C.H. Beck)Manch einer mag mit den Augen rollen: „Nicht schon wieder Kochen!” „Immer dieser Genuss!” „Lasst das Essen doch einfach Essen sein!„ Geschenkt. Tatsächlich nimmt das Thema einen breiten Raum ein – und ist doch wieder ein schönes Beispiel für die gewollte oder unbewusste Verlogenheit menschlicher (Selbst-)Wahrnehmung.

Tatsächlich lässt sich am Essen auch eine ganze Menge über das Selbstverständnis einer Kultur oder Gesellschaft aussagen. Längst ist die Kulinarik Gegenstand zahlreicher Kulturwissenschaftler, Anthropologen, Psychologen geworden. Aber auch die Disziplinen der Logistik und Chemie haben das Essen für sich entdeckt. Und so ist es eigentlich kaum erstaunlich, dass trotz aller gefühlten Aufklärung und Beteuerungen, sich „bewusst“ und „nachhaltig“ ernähren zu wollen, zahlreiche Lebensmittel und deren Zubereitung so stark verändert und manipuliert sind, dass von „natürlicher“ Ernährung eigentlich keine Rede mehr sein kann.

Charles Spence gehört zu den Protagonisten der Gastrologie, die sich mit dieser Manipulation von Lebensmitteln, den Kontexten ihrer Herstellung, Vermarktung, Zubereitung und Darreichung wissenschaftlich beschäftigen. Die Gastrologik beschäftigt sich, grob zusammengefasst, damit, welchen Einfluss unsere Sinne auf die Sensorik haben. Warum ekeln wir uns, wenn wir Milch aus dunklen, schwarzen Tassen trinken? Welche Rolle spielen Farbe und Größe von Tellern auf unser Sättigungsgefühl? Warum beurteilen wir die Qualität des Essens auf Basis des Bestecks? Und warum können selbst erfahrenste Verkoster Rot- von Weißweinen nicht unterscheiden, wenn sie die Weine aus bestimmten Gläsern trinken?

All diese Fragen und viele weitere stellt Charles Spence in seinem grundlegenden Buch Gastrologik. Die Gastrologik sieht sich selbst als wissenschaftliche Disziplin, die sich dabei der Mittel und Herangehensweisen der Soziologie, Psychologie, Empirie, Chemie und Anthropologie bedient. Es mag zutiefst unromantisch und nicht gerade genussförderlich sein, hier auf Basis zahlreicher Experimente zerlegt zu bekommen, warum wir schmecken wie wir schmecken und wie wir auf praktisch einfachste Art und Weise manipuliert werden können. Andererseits lassen sich mit dem Wissen auch Manipulationen sehr leicht aufdecken.

Ob die geneigte Leserin sich diese hier versammelten Erkenntnisse zu eigen macht – so lässt sich dieses Buch natürlich auch als Handlungsanweisung für das perfekte Essen für Freunde, Bekannte, Familie lesen –, oder „nur“ als Panoptikum des Menschen als leicht steuerbares Sinneswesen: Ein Gewinn ist Gastrologik auf jeden Fall.

Nicht jedes Experiment, das Charles Spence hier aufführt, mag strengsten wissenschaftlichen Anforderungen genügen – dennoch führt der Autor kompetent sowie höchst unterhaltsam und mit spürbar lesbarer Freude am Sujet durch seine Ideen – und die bekannter Köche. Den Genuss wird er wohl kaum verleiden können, führt jedoch von der gastrologischen Seite seine LeserInnen zu einem – so meint jedenfalls der Rezensent – unaufgeregten Menschenbild, in dem der Genuss und die Sinne neben aller Aufklärung und soziologisch-philosophisch inspirierten Selbstbildnissen stehen.

Wer sich selbst als aufgeklärten Konsumenten sieht und auf jeder Party von sich behauptet, er esse nur noch ganz bewusst dieses oder jenes auf keinen Fall mehr, der merkt, dass er nach der Lektüre dieses Buches entweder noch sehr viel an sich arbeiten muss – oder sich auch einfach mal dem Genuss, der Magie, den faulen – trotzdem leckeren – Tricks der Köche und Lebensmittelproduzenten hingeben kann.

Charles Spence ist mit seiner Gastrologik ein hinreißend spannender Spaziergang durch die Sinnes- und Genusswelt des Menschen gelungen. Klüger und genussfreudiger ist der Rezensent bisher noch kaum aus einer Lektüre entlassen worden. Der Untertitel dieses Sachbuchs lautet: „Die erstaunliche Wissenschaft der kulinarischen Verführung” – besser kann man alle Elemente dieses Buches nicht zusammenfassen!

  • Autor: Charles Spence
  • Titel: Gastrologik. Die erstaunliche Wissenschaft der kulinarischen Verführung. Aus dem Englischen von Frank Sievers
  • Verlag: C.H. Beck
  • Erschienen: 2018
  • Einband: Gebunden
  • Seiten: 352 Seiten mit 55 Abbildungen (s/w)
  • ISBN: 978-3-406-72036-9
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 12/15 dpt

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