Nerve (Spielfilm, DVD/Blu-ray)

Nerve - Cover © StudiocanalDie Sensibilität für den Umgang mit modernen Technologien wächst zumindest in Teilen der Bevölkerung, und vielleicht sind nicht zuletzt deswegen dystopisch/technokratische Geschichten so erfolgreich (“Blade Runner” erhielt sogar eine Fortsetzung und “Ghost in a Shell” eine verfilmte Neuauflage). Im Gegensatz zu vielen der düsteren Zukunftsvisionen, die mehr oder weniger weit in der Zukunft spielen, könnte Nerve aber jederzeit Realität werden.

Nur ein Schritt weiter?

Nerve - Pic © Studiocanal

Nerve ist ein via Internet weltumspannendes Spiel ohne einen verantwortlichen Betreiber oder feste Serverstandorte, in etwa wie ein peer-to-peer-Netzwerk. Die Teilnehmer wählen zu Beginn, ob sie watcher oder player sein möchten – eine folgenschwere Entscheidung. Während die watcher Vorschläge für Herausforderungen entwickeln und über Wohl und Wehe der player abstimmen, sind die player die Stars des Spiels. Beginnend mit einfachsten Aufgaben können die Player schnell eine Menge Geld verdienen, denn je schwieriger respektive gefährlicher eine Aufgabe, desto mehr Geld wird von der Community bei deren Bewältigung auf das Konto des players gutgeschrieben. Parallelen zu YouTube-Stars, von denen manche (ich bin weit davon entfernt das Medium generell zu verurteilen) Wagnisse eingehen oder mehr oder weniger sinnvolle Herausforderungen absolvieren, um Abonnenten zu sammeln oder bei der Stange zu halten, kann man hier gut ziehen. Die Aufgaben bei Nerve reichen dabei von “Küsse einen Fremden” bis hin zu wirklich lebensgefährlichen Straftaten. Brenzlig wird es für den player, wenn er sehr beliebt ist und gefährliche Aufgaben mehrmals ablehnt beziehungsweise ganz aus dem Spiel aussteigen möchte. Die Drahtzieher der Community schrecken nicht vor Entführungen und Drohungen zurück und wissen ihre Macht zu demonstrieren. Wenn man nicht weiter mitspielt, droht der Verlust der Identität, ein leeres Bankkonto, Rufmord und Schlimmeres, und zwar für den Spieler selbst und alle die er liebt – eine Flucht ist in einer technologisch nahezu vollständig erschlossenen Welt so gut wie unmöglich.

Das schwierige Thema, für das der Film gleichsam ein erdachtes soziales Experiment darstellen könnte, ist der Umgang mit Macht, insbesondere wenn diese Macht vollkommen anonym ausgeübt werden kann. Während die Player ihre gesamte Person öffentlich machen, richtet eine anonyme Menge aus Watchern über die “Gladiatoren”, und oft möchte die Meute Blut sehen. Wenn jeder für seine eigenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen tragen müsste, sähe das Spiel vermutlich gänzlich anders aus. Spoiler-Alarm: Das ist im Übrigen auch die Kernidee, die den Protagonisten zu ihrer Rettung kommt.

Der unvermeidliche erhobene Zeigefinger kommt so unverhofft daher, dass ich ihn in den schnell aufeinander folgenden Spannungselementen beinahe übersehen hätte und dann eher irritiert als nachdenklich war.

Ein dynamisches Duo

Die beiden Regisseure Henry Joost und Ariel Schulman („Catfish“, „Paranormal Activity 3“) haben sich an die filmische Umsetzung eines Romans von Jeanne Ryan gewagt, dessen Inhalt zwar fiktiv aber auch erschreckend nah ist und daraus einen rasanten Thriller mit 2 Jungstars in den Hauptrollen gemacht.

Der Film wird neben der durch den realen Zeitgeist brandaktuellen Geschichte von den zwei charismatischen Protagonisten getragen. Die Schülerin Vee wird verkörpert durch Emma Roberts („Scream 4“) und der Draufgänger Ian durch Dave Franco („Die Unfassbaren 2“). Beide erweisen sich der Aufgabe als gewachsen und funktionieren als Paar sehr gut. Weder die thrillerähnlichen Szenen noch die Teile des Films, die am ehesten als Teenie-Romanze zu bezeichnen sind, wirken mit Roberts und Franco im Zentrum deplatziert.

Unverbrauchte Optik

Einige der Szenen sind dank schneller Schnitte und ungewohnter Kameraperspektiven (GoPro-Feeling lässt grüßen) richtig herausfordernd für schwache Nerven, ohne jedoch in allzu gewollte Schockmomente abzurutschen. Die ganze Optik des Filmes inklusive eingeblendeter Nachrichten, verwackelten Handysequenzen und schnellen Einspielern wirkt gekonnt auf die junge Zielgruppe zugeschnitten.

Die Herausforderungen steigern sich dem fiktiven Spielprinzip folgend im Verlauf des Films und reichen dabei von witzig über waghalsig (Ian muss blind Motorrad fahren während die rittlings sitzende Vee ihn steuert) bis hin zu lebensmüde. Und natürlich werden stets die Schwächen und Ängste des jeweiligen Players ausgelotet. Social Media machte es möglich. Gruselig und erschreckend durchdacht.

Fazit

Der schrill-bunte, schnelle Thriller glänzt nicht durch überraschende Wendungen, weiß aber etwa eine Stunde lang  gut zu unterhalten. Im Finale schwächelt Nerve leider etwas und leidet unter Logikschwächen. Für Popcorn-Kino okay, für einen gesellschaftskritischen Thriller zu schwach. Die Story-Idee hätte vermutlich mehr hergegeben. Emma Roberts und Dave Franco wissen gleichermaßen zu überzeugen und meistern den Spagat zwischen Thriller und Jugendromanze, den der Film insgesamt leider nicht recht schafft.

Cover und Szenenbilder © Studiocanal

Wertung: 10/15 dpt

Produktseite

 

Blu-ray

  • Thriller, USA 2016, ca. 97 Minuten
  • FSK 12
  • erschienen am 09.01.17

Extras

  • Making of, 17 Featurettes, “Player-Mode”, Trailer

Darsteller

  • Emma Roberts
  • Dave Franco
  • Kimiko Glenn
  • Miles Heizer
  • Juliette Lewis

Stab

  • Regie: Henry Joost, Ariel Schulman
  • Drehbuch: Jessica Sharzer
  • Kamera: Michael Simmonds
  • Produktion: Anthony Katagas, Allison Shearmur

Technische Angaben

  • Bild: 2,40:1 1080/24p Full HD
  • Sprachen/Ton: Deutsch 5.1 DTS-HD (Master Audio), Englisch 5.1 DTS-HD (Master Audio)
  • Untertitel: Deutsch
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