Story:
Schon seit ihrer Kinderzeit sind Jack und August unzertrennlich – August würde alles für seinen besten Freund tun, insbesondere seitdem Jack ihn vor vielen Jahren dem Ertrinken gerettet hat. So steht er Jack auch zur Seite, als dieser sich stetig verändert: Halluzinationen und Visionen einer fantastischen Parallelwelt bestimmen plötzlich das Leben des 17-jährigen Schülers. Auch August wird in diese Sache hineingezogen, steht für ihn Jacks Wohlergehen doch an erster Stelle. In der Hoffnung, seinem Freund zu helfen, lässt August sich auf das gefährliche Spiel ein und unterstützt Jack dabei die fantastische Welt, die dieser immer deutlicher und farbenfroher sieht, zu retten – ohne zu ahnen, dass er damit alles noch schlimmer macht …
Eigene Meinung:
Mit dem Jugendbuch „Wicker King“ legt Kayla Ancrum ein starkes Debüt vor, das angenehm aus dem Rahmen fällt. Die deutsche Ausgabe erschien bei dtv und folgt dem englischsprachigen Original, was die faszinierende Aufmachung betrifft, inklusive Fotos, Tatortberichten, Zetteln und Notizen anbelangt, die einen Teil der Geschichte erzählen, und den Farbverlaufs der Buchseiten von hell zu dunkel. Dadurch wirkt die Geschichte noch intensiver, die Probleme, die Jack und August haben, noch greifbarer.
Die Geschichte wird in kurzen, prägnanten Kapiteln erzählt, die maximal drei Seiten umfassen und sich mitunter nicht direkt aufeinander beziehen. Daher muss man, um die Geschichte von Jack und August komplett zu verstehen, auch zwischen den Zeilen/Seiten lesen, denn Kayla Ancrum greift nur die relevanten Szenen und Dialoge heraus und verzichtet auf ausufernde Beschreibungen oder unwichtige Handlungselemente. Einige Ereignisse werden zudem nur anhand von Bildern oder Berichten von Lehrern, Ärzten und Psychologen geschildert, sodass die gesamte Handlung wie ein Puzzle wirkt, das sich erst nach und nach zusammensetzt. Gerade am Anfang kann es länger dauern, bis man in die Geschichte eintaucht, da man sich an die ungewöhnliche Form des Erzählens gewöhnen muss. Doch sobald man sich richtig auf „Wicker King“ einlässt, fällt es schwer, das Buch beiseite zu legen (was auch an den kurzen Kapiteln liegt). Man fliegt förmlich durch die Seiten und begleitet die beiden jungen Männer, die immer weiter in Jacks Welt abrutschen und sich darin verlieren. Dass Jack eigentlich ärztlich untersucht werden müsste, um seinen Problemen auf den Grund zu gehen, ist klar – doch man versteht Augusts Intention, die Sache selbst in den Griff zu bekommen, ohne Hilfe von außen.
Auch die Beziehung zwischen den beiden wird intensiv beleuchtet, denn Jack und August verbindet mehr als nur Freundschaft – zu Beginn handelt es sich eher um eine fast krankhafte Abhängigkeit voneinander, später entwickelt sich daraus eine gesündere Beziehung zueinander. Kayla Ancrum findet für die beiden jungen Männer den passenden Weg, ohne zu kitschig zu werden oder zu dick aufzutragen.
Die Figuren sind sehr gut gezeichnet und handeln vollkommen logisch – man versteht sowohl August, der einfach nur für seinen besten Freund da sein möchte und ihn in allem unterstützen will (selbst als diese Aktion zerstörerisch werden), als auch Jack, der sich in seiner märchenhaften Welt verliert und dessen Visionen immer realistischere Züge annehmen. Da beide aus zerrütteten Familien kommen und schon früh auf sich allein gestellt waren, ist klar, dass sie kein Vertrauen in Erwachsene haben und stattdessen selbst einen Weg finden wollen, mit Jacks Problemen zurecht zu kommen. Dabei bauen sie sich gegenseitig auf und sind füreinander da – sie sind stark vom jeweils anderen abhängig. Die übrigen Figuren – Rina, die sie während einer Lesung kennenlernen, die Zwillinge Peter und Roger, die früh mitbekommen, dass Jack ein Problem hat – sind ebenfalls gut gezeichnet, in einigen Punkten allerdings etwas inaktiv. Jeder von ihnen hätte wesentlich früher einschreiten können, um Jack zu helfen, doch sie alle halten sich lieber zurück und hoffen, dass die beiden es irgendwie selbst in den Griff bekommen.
Stilistisch präsentiert Kayla Ancrum ein solides Jugendbuch, das sich angenehm von den gängigen Romanen abhebt. Sie weiß, wie man Szenen auf den Punkt bringt, filtert bei Dialogen die Essenz heraus, die wirklich notwendig ist, um der Handlung folgen zu können und hat ein gutes Gespür für ihre Charaktere. Trotz der Kürze kann man sich sehr gut mit den Charakteren identifizieren und lernt August und Jack sehr gut kennen. Auch die psychische Krankheit unter der Jack leidet ist fesselnd und authentisch umgesetzt. Die Autorin scheint sehr gut recherchiert zu haben, um die Szenen am Ende des Buches umzusetzen.
Fazit:
„Wicker King“ ist ein außergewöhnliches Jugendbuch, das durch tolle, faszinierende Charaktere und eine sehr mitreißende Handlung besticht, die zum Nachdenken anregt und die lange nachklingt. Kayla Ancrum hat einen ungewöhnlichen, sehr präzisen Stil und entwirft im Laufe der Geschichte eine faszinierende Parallelwelt, die man wie August nur als Außenstehender kennenlernt. Nichtsdestotrotz verliert man sich in Jacks Beschreibungen seiner Visionen und hat irgendwann dieselben Schwierigkeiten wie August – man ist kaum noch in der Lage, sie als problematisch einzuschätzen.
Wer ungewöhnliche Jugendbücher mit leicht queerer Komponente und einer fantasievollen Aufmachung schätzt, der sollte unbedingt zum gedruckten Buch greifen. „Wicker King“ ist ein Buch, das den Leser lange beschäftigt und reichlich Stoff zum diskutieren bildet. Unbedingt lesen!
Cover © dtv
- Autor: Kayla Ancrum
- Titel: Wicker King
- Originaltitel: The Wicker King
- Übersetzer: Uwe-Michael Gutzschhahn
- Verlag: dtv
- Erschienen: 09/2018
- Einband: Hardcover
- Seiten: 320
- ISBN: 978-3-423-76233-5
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 15/15 dpt