Finn-Ole Heinrich – Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes (Buch)


Finn-Ole Heinrich, Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes (Cover ©Rán Flygenring)Wie wird man ein guter Vater, wenn man selbst keinen Vater gehabt hat? Diese Frage stellt sich der namenlose Ich-Erzähler, kurz bevor sein Kind zur Welt kommt, und die Angst vor dieser neuen Rolle, der er sich nicht gewachsen fühlt, treibt ihn in den Wald. Dort will er vom Reuber, dieser Schreckgestalt aus Kindertagen, Überlebenstechniken lernen, um ein guter Beschützer zu werden, eine Art Geburtsvorbereitungskurs sozusagen. Leider macht er sich ohne Vorankündigung aus dem Staub, sodass seine für seine Lebensgefährtin überraschende Rückkehr vier Wochen später fürs Erste damit quittiert wird, dass er im Garten der Schwiegereltern zelten muss und seinen inzwischen geborenen Sohn nur ab und zu durchs Fenster sehen darf. Zeit genug also, um die Erfahrungen im Wald für den Sohnemann und die Leserschaft niederzuschreiben.

Miserabel ausgerüstet und mit viel romantischem Idealismus hatte er sich aufgemacht, um sich im tiefen Wald jenseits von Zivilisation und Handyempfang vom Reuber finden zu lassen, denn den Reuber zu finden, indem man ihn sucht, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem er den Reuber bekniet hat, ihn im Überleben im Wald zu unterrichten, erweist sich dieser zwar als ein – wie nicht anders zu erwarten – grobschlächtiger, wortkarger Mann ohne Familiensinn, doch für die Zwecke des angehenden Vaters als genau der richtige Lehrmeister in Sachen Orientierung und Ernährung im Wald, Feuer machen, Floß bauen, Fischen, Jagen und Luft futtern. Praktische Dinge. Mit Gefühlen hat er es nicht so, denn: „Reuber glaub an Wetter. Glaub an Tag, glaub an Nacht. Reuber glaub Sommerherbsun Winta. Was eine Gefühl is einfachnuregal. Deshalb Reuber gefühlnicht.“

Diese Geschichte erzählt die Hauptfigur in Finn-Ole Heinrichs neuem Roman „Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ nicht dem Leser, sondern seinem zu diesem Zeitpunkt noch nicht namentlich bekannten Sohn mit dem vorläufigen Namen Krümelchen. Väter machen in Kinder- und Jugendbüchern häufig nicht so eine gute Figur. In Heinrichs Roman ist die Hauptfigur gerade erst Vater geworden und darf erklären, wieso er mit dieser neuen Rolle Mühe hat und wie er lernt sie anzunehmen und auszufüllen. Dabei gelingt dem Autor der Spagat zwischen Kinder- und Erwachsenenbuch erstaunlich gut. Fragt der Leser sich anfänglich noch, wer wohl die Zielgruppe dieser Geschichte sein mag – eine Frage, die sich der Autor beim Schreiben laut eigener Aussage nicht stellt –, findet er doch schnell in die Reubergeschichte hinein und lässt sich von der fantasievollen Geschichte und den eigens für den Reuber erfundenen Synonymen für geräuschvolles Sprechen – der „Klaviatur des Grüllens und Gnurchens” – mitreißen.

Finn-Ole Heinrich, Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes (©Rán Flygenring) S. 4 und 5Hinzu kommt, dass das Buch von Rán Flygenring liebevoll und wunderschön illustriert wurde – abwechselnd mit dem allergrößten Quatsch und dann wieder mit wissenswerten Survivaltips. Die Eignung als Vorlesebuch wird die Rezensentin in Kürze testen.

Hat der junge Vater jetzt im Wald metaphorisch nach sich selbst gesucht, ganz real einem Kindheitstraum nachgejagt oder war er nie im Wald? Und wer ist der Reuber? Wir werden es wahrscheinlich nicht erfahren. Doch die Lektüre hat großen Spaß gemacht.

  • Autor: Finn-Ole Heinrich
  • Titel: Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes
  • Illustirationen: Rán Flygenring
  • Verlag: mairisch
  • Erschienen: 2018
  • Einband: dreiseitig angeschnittenes Hardcover mit Titelprägung und bedrucktem Vorsatzpapier
  • Seiten: 184
  • ISBN: 978-3-938539-51-4
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 14/15 dpt


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