Der Mikrokosmos „deutsche Eigenheimsiedlung“ regt sicher nicht bei jedem unmittelbar die Fantasie an. Alteingesessenes und Traditionelles darf man von solch einem Ort nicht erwarten und von Alexa Hennig von Lange erst recht nicht. Sie nimmt vielmehr die vermeintliche Achtziger-Jahre-Idylle der Mittelschicht auseinander, bis nicht mehr viel von ihr übrig ist.
Das tut sie kapitelweise aus der Sicht von zwei Handvoll Ich-Erzählern: fünf Erwachsenen und fünf Kindern verschiedenen Alters, die alle in derselben Siedlung wohnen. Den Anfang macht Rita. Die frustrierte Frau des farblosen, aber braven Georg und Mutter der genauso farblosen, aber angeblich hochbegabten Kinder Johannes, 16, und Klara, 11, sieht voller Neid aus dem Fenster auf die entzückende achtjährige Tochter Lexchen ihrer wunderschönen Nachbarin Ulla, in die sie heimlich verliebt ist, während sie gleichzeitig über deren Holzfäller-Klamottenstil, ihre mentale Schwäche, ihren gewalttätigen Mann Rainer und ihre „gefährliche“, frühreife sechzehnjährige Tochter Constanze – diesen fliegenden Kampfstern – herzieht. Und dieses Erzähltempo und diese Informationsdichte behält Hennig von Lange das ganze Buch lang bei.
Bis auf zwei Stimmen sind nach dem ersten Kapitel alle Erzähler vorgestellt, die sich im Weiteren in teils sehr kurzen Kapiteln abwechseln, in denen manchmal nur fehlende oder ergänzende Informationen angereicht werden. Der Leser rast durch die Geschichte, die sich in diesem Perspektivenpingpong vervollständigt. Immer mehr erfährt er über die Beziehungen der Ehepaare Rita und Georg, Ulla und Rainer und Ella und Bernhard untereinander und zu ihren Kindern, wie auch über die Sympathien und Antipathien zwischen den Kindern. Wer spricht mit wem und mit wem nicht? Wer darf mit wem spielen und mit wem nicht? Wer schläft mit wem und mit wem nicht? Wer hat eigentlich das Sagen und wie entkommt man als Kind dem elterlichen Erziehungs- und Bildungswahn? Und was hat Johannes Cellolehrer mit alledem zu tun?
Wissen und Halbwissen, Rückschlüsse und Mutmaßungen, Missverständnisse und klärende Gespräche ergeben so am Ende ein aufschlussreiches Bild dieser kleinen Gruppe Nachbarn und ihrer Sicht auf die Welt. Bevor der Leser sich fragen kann, ob ihm diese Konstellation nicht ein wenig zu vollgestopft ist und ihm die einzelnen Figuren und ihre Beweggründe deshalb nicht zu wenig ausgeleuchtet werden, ist das Buch schon aus und lässt ihn ein wenig atemlos zurück. Klappe zu, Affe tot – und was sind wir froh, dass wir die Achtziger mehr oder weniger unbeschadet überlebt haben.
Cover ©DuMont Buchverlag
- Autor: Alexa Hennig von Lange
- Titel: Kampfsterne
- Verlag: DuMont Buchverlag
- Erschienen: 2018
- Einband: gebunden mit farbigem Vorsatzpapier und Lesebändchen
- Seiten: 224
- ISBN: 978-3-8321-9774-2
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Wertung: 14/15 dpt