Eli Roth verfilmt ein Kinderbuch? Da nimmt sich der Splatter- und Trash-Regisseur wohl ein Beispiel an seinem Kollegen Robert Rodriguez, der mit seiner bislang vierteiligen „Spy Kids“-Reihe durchaus ein paar Groschen verdient haben dürfte. Mit den hochkarätigen Namen Cate Blanchett und Jack Black wird Ende September „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ von John Bellairs auf die Kinoleinwand übersetzt und bereits frühzeitig die Halloween-Saison 2018 einläuten. Bei der Lektüre des Buchklassikers, der nun etwa drei Wochen vor Kinostart wiederveröffentlicht wird, fällt auf: Der Stoff hält dem Zahn der Zeit (ironischerweise) nicht ganz stand und könnte durchaus ein Update vertragen.
Mit „The House With A Clock In Its Wall“ begann John Bellairs 1973 nach zwei mäßig erfolgreichen Romanen seine Karriere als Kinderbuchautor. Immer wieder kehrte er zu den Geschichten rund um seine Hauptfigur, dem dicklichen Jungen Lewis Barnavelt, zurück und auch gerade nach seinem frühen Tod 1992 wurden besonders seine Barnavelt-Manuskripte weitergeschrieben und veröffentlicht. „The House With A Clock In Its Wall“ fasziniert bis heute, was sicherlich bei vielen mit der eigenen Leseerfahrung im Jugendalter zu tun hat. 45 Jahre später fällt es jedenfalls deutlich schwerer, dem Stoff ohne Weiteres zu verfallen.
Mit in die Bewertung einbezogen werden sollte, dass Bellairs in den 1970er-Jahren Horrorbücher für Kinder und Jugendliche salonfähig machte und damit junge LeserInnen behutsam an den gepflegten Grusel heranführte. Lewis Barnavelt ist der typische Außenseiter, ein korpulenter 10-jähriger Bücherwurm, der im Sportunterricht immer als Letzter in eine Mannschaft gewählt wird. Nach dem Tod seiner Eltern zieht er zu seinem Onkel Jonathan, der in einem alten Haus in einer amerikanischen Kleinstadt lebt. Statt von der ganzen Situation überfordert zu sein und sich vor dem dunklen Haus zu gruseln, findet sich Lewis in einer Wohlfühloase wieder, die wie ein Urlaub auf einem großen Abenteuerspielplatz daherkommt.
Jonathan und seine urige Nachbarin Mrs. Zimmermann bieten dem Jungen alles, was er sich kaum zu wünschen wagte: Gesellschaftsspiele bis in die Nacht (die Schule wird da gerne mal zugunsten der Kindergeschichte vernachlässigt), Kekse und Kakao bis zum Abwinken und ein wenig Zauberei. In dem großen Haus scheint es ein wenig zu spuken, allerdings nur soweit, wie es für Lewis ein faszinierender Spaß sein kann. Doch das Gebäude trägt auch ein Geheimnis in sich: In den Wänden tickt eine Uhr, die im Haus e nicht zu finden ist.
„Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ ist natürlich eine kleine Coming-of-Age-Geschichte und kommt nicht ohne einen Emanzipationsversuch aus. Da ist nämlich der coole Junge Tarby, den Lewis als Freund gewinnen und dementsprechend beeindrucken möchte. Nachdem sich Tarby unbeeindruckt von Jonathans Zauberkünsten zeigt, versucht sich Lewis selbst an schwarzer Magie, mit der er gleich die ganze Welt ins Wanken bringt.
Was sich gerade heute abgedroschen liest, kann zum Teil durch die Einordnung in der Abteilung „Kinderliteratur“ legitimiert werden. Die Einführung in das Einmaleins der Horror-Topoi ist ein nobles Unterfangen, zumal sich eine Heranführung an das Genre auch aus psychologischer Sicht lohnt. Der Umgang mit den eigenen Ängsten und Traumata, den ein guter Horrorfilm vermitteln kann, sollte ruhig schon in frühen Jahren eingeübt. Doch leider fehlt Bellairs diesbezüglich ein großes Ziel neben dem Unterhaltungswert.
Lewis ist eine in mehrfacher Hinsicht traumatisierte Figur, die obendrein auch noch in einem Haus lebt, in dem eine gewisse Zeitlosigkeit herrscht. Oft wird die Zeit über den Spaß vergessen, Zeitreisen zu Schlachten, von denen Lewis gelesen hat, werden unternommen und vor allem geht es um die versteckte, tickende Uhr. Therapie heißt hier vor allem Ablenkung und eben nicht, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Nun mag es sein, dass Bellairs dies in den darauffolgenden Barnavelt-Teilen aufnimmt, doch gerade zu Beginn der Reihe hätte er den jungen Lesern mehr zutrauen können.
Nur selten ist von den verstorbenen Eltern die Rede und selbst wenn etwas angedeutet wird (wie bei der rasenden Verfolgungsjagd), so ist es für Kinder in seiner Symbolik nur schwer zu erkennen. Onkel Jonathan ist ein Entertainer, aber eben keiner, der sich mit Jonathan zur Aufarbeitung hinsetzt. Einzig der Konflikt mit Tarby wird gelöst, indem Lewis den Schluss zieht, dass er sich nicht ausgerechnet mit dem coolsten Jungen der Schule anfreunden muss. Deswegen wirkt das Happy End aus heutiger Sicht eines Erwachsenen verschenkt.
Es muss aber auch miteinbezogen werden, dass das Buch 1973 veröffentlicht wurde und 1948/1949 spielt. Manche Querverweise auf Volkslieder und die Gewohnheit, mit Zinnsoldaten zu spielen und sich für Kriege zu interessieren, dürfte selbst auf den US-amerikanischen Jugendlichen der Gegenwart antiquiert wirken, weswegen die doppelte Brechung durch Kindheitserfahrungen von Bellairs eigenen über die seiner Leser*innen heute nicht ohne Weiteres in eine dreifache überführt werden kann. Hier kommt Eli Roth ins Spiel, der die Atmosphäre, von der das Buch heute noch am ehesten zehren kann, mit bunten Kinobildern aufpolieren wird. Das ist sicher auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung der Kindheitserfahrungen kritisch zu sehen, doch leider liegt es auch am Buch selbst, das sich für solch eine Interpretation ironischerweise anbietet.
Selbst für ein Kinderbuch ist „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ nicht raffiniert genug, um für nachhaltige Spannung zu sorgen. Bellairs ergeht sich gerne in exotischen Wörtern, die eine mysteriöse und verrückte Stimmung erzeugen sollen, die aber nach einem Publikum verlangen, das – entgegen der Empfehlung „ab 8″ – schon ein zweistelliges Alter erreicht hat. Vermutlich ohne es intendiert zu haben, wirkt sein Buch dadurch gerne mal belehrend statt bildend. Es ist nicht so ganz klar, ob sich der Autor seiner Zielgruppe bewusst war oder ob er einfach etwas geschrieben hat, das er selbst gerne gelesen hätte.
Das Buch kann trotzdem ein unterhaltsamer Spaß sein, es ist aber vor allem in seiner Bewertung als Pionierwerk interessant zu lesen. Zeitlos ist es nicht, sondern vielmehr ein Zeitzeugnis, das es auf seine Wirkungen seinerzeit und seinen Einfluss bis heute zu untersuchen gilt. Nach dem Krieg Kinder Kinder sein zu lassen und auch heute Kindheit beschützen zu wollen, ist eine legitime Idee, die sich in Zeiten der permanenten Unterhaltung vor ganz neue Herausforderungen gestellt sieht.
Fazit: „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ wird kurz vor dem Kinostart seiner Verfilmung wiederveröffentlicht, kann 45 Jahre nach seinem Erscheinen aber nicht mehr gänzlich überzeugen. Die erste Geschichte rund um Lewis Barnavelt war seinerzeit sicher pionierhaft für Horror im Kinderbuchformat, lässt aber einige Chancen liegen, das therapeutische Potenzial des Genres auszuschöpfen. Das Haus ist für den traumatisierten Lewis nur ein ablenkender Abenteuerspielplatz, den Tod seiner Eltern braucht er dort nicht zu verarbeiten. Heute wirken viele Elemente klischeehaft, aber größtenteils auch deswegen, weil viele Horror-Topoi von der Erwachsenen- und die Kinderwelt übernommen wurden und sich heute noch viele Werke an „Das Haus…“ orientieren. Jugendliche, die sich mit dem Stil zurechtfinden, können auch heute noch Spaß mit dem Buch haben, es wirkt allerdings etwas aus der Zeit gefallen. Vor allem ist es aber ein Zeitzeugnis und eher weniger zeitlos.
Cover © heyne fliegt
- Autor: John Bellairs
- Titel: Das Haus der geheimnisvollen Uhren
- Originaltitel: The House With A Clock In Its Walls
- Übersetzer: Alexander Schmitz
- Verlag: heyne fliegt
- Erschienen: 09/2018
- Einband: Paperback
- Seiten: 224
- ISBN: 978-3-453-27193-7
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 9/15 dpt