Wir schreiben die 1990er Jahre. Doch nicht die, die wir alle gekannt haben, denn nach dem zweiten Weltkrieg ist einiges anders gelaufen, und so ist es seitdem und erst recht seit einem Militärputsch 1963 für Deutschland, das in sechs Staaten zerfallen ist, immer nur bergab gegangen, während sich die jeweiligen Befehlshaber bereicherten.
Josua Brenner, geboren 1978 in Berlin, der Hauptstadt der Neuen Preußischen Republik, kennt die Welt nicht anders. Sein Leben lang haben er und seine zwei jüngeren Geschwister ums Überleben kämpfen müssen, seit der Vater 1984 aus politischen Gründen verschwand. Zu dieser Zeit begann eine Nahrungsmittelknappheit, die bis in die neunziger Jahre andauerte. Auch Trinkwasser gab es kaum und wenn, dann meist verschmutzt. Die Bevölkerung litt, hungerte und (er-)fror.
Nach der Mittelschule ist für Josua Brenner das Ende seiner Schullaufbahn erreicht, denn er muss helfen, die Familie zu ernähren. Er hangelt sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob, bis er eine mehr oder wenige feste Anstellung als Taxifahrer findet, bei der er bleibt und die Jahre später auch genug einbringt, um seine kleine Familie zu ernähren.
Doch Josua träumt von einem besseren Leben. Trotz aller als unüberwindlich ausgetüftelter, bürokratischer Hürden gelingt es ihm, eine kleine Bar zu eröffnen, die ein Zeitlang gut läuft. Doch als seine Familie zerbricht und die Bar abbrennt, ist auch bei ihm das Maß voll und er entscheidet sich, in den Süden zu gehen. Denn in Afrika, das weiß ja jeder, leben die Menschen in Saus und Braus.
Der Leser folgt Josua Brenner auf seiner abenteuerlichen, haarsträubenden Flucht nach Kenia, wo ein guter Kumpel von ihm Fuß gefasst haben soll.
Christian Torkler hat in Der Platz an der Sonne den Spieß rumgedreht. Bei ihm ist Europa arm, korrupt und entwicklungsbedürftig, während Afrika im Wohlstand schwelgt und sich der illegalen Einwanderer erwehren muss. Entwicklungshilfe fließt entsprechend von Süden nach Norden und versickert dort in den Taschen der Regierungen – und die Migrationsströme bewegen sich von Norden nach Süden unter denselben menschunwürdigen Bedingungen wie in Wirklichkeit. Vielleicht ein wenig plakativ und klischeehaft, aber dafür sehr anschaulich. Unter diesen Rahmenbedingungen schickt der Autor seinen Protagonisten ins Rennen und beweist großes Einfühlungsvermögen für dessen Situation, wobei er selbst bei Schicksalsschlägen nie auf die Tränendrüse drückt. Fast möchte man ihm übertriebene Sachlichkeit vorwerfen.
Ein interessantes Gedankenexperiment, das als Lektüre jedem wärmstens empfohlen ist, der Wirtschaftsflüchtlinge einzig als Läuse im Pelz der westlichen Gesellschaften empfindet. Kleiner Wermutstropfen: Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive des Josua Brenner erzählt, der sie niederschreibt, während er auf seine Abschiebung wartet. Da dieser, wie wir erfahren, keine besondere Bildung genossen hat, ist sie sehr mündlich und sprachlich relativ einfach geschrieben, was zwar nur konsequent ist, nach einer Weile beim Lesen ein wenig anstrengt. Das Perfekt heißt zwar Perfekt, aber als literarische Erzählzeit eignet es sich alles andere als perfekt. Abgesehen davon ist Der Platz an der Sonne ein sehr lesenswertes Buch.
- Autor: Christian Torkler
- Titel: Der Platz an der Sonne
- Verlag: Klett – Cotta
- Erschienen: 30.08.2018
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 592
- ISBN: 978-3-608-96290-1
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