„Ekel“ ist ein Meisterwerk. Was der junge Roman Polanski 1965 aus seinem mit einem absurd begrenzten Budget ausgestatteten zweiten Langspielfilm rausholte, ist noch heute faszinierend. Es ist ein außergewöhnlicher Horrorfilm, der sich mit den Federn schmücken darf, danach erschienene Klassiker maßgeblich geprägt zu haben. Dass er der 68er-Bewegung einige wichtige Themen vorweggenommen hat, macht ihn zudem zu einem Kunstwerk von gesellschaftlicher Bedeutung. Doch vor dem Hintergrund der aktuellen #metoo-Debatte stellt sich abermals die Frage, ob sich das Werk selektiv vom Künstler trennen lässt. „Ekel“ ist dabei ein besonders delikater Fall.
Dank Arthaus ist „Ekel“ nun auch in Deutschland in remasterter Form auf DVD und Blu-ray erhältlich. Zwar sind dem Film die Grenzen anzumerken, die das von einer Porno-Produktionsfirma zur Verfügung gestellte Budget von knapp 65.000 Pfund den Beteiligten setzte, doch Polanski schaffte es, das Maximum aus seinem Vorhaben herauszuholen. „Ekel“ kommt mit wenigen Außenaufnahme Londons aus, der Regisseur etablierte schon in seinem zweiten Film die Grundlagen für seine berühmte Mieter-Trilogie, die später durch die weiteren Kammerspiele „Rosemary’s Baby“ und „Der Mieter“ ergänzt wurde. Selbst im begrenzten Raum des eigenen Heims dürfen sich die Hauptfiguren nicht zuhause fühlen und werden unentwegt von Eindringlingen belagert.
Heute gehört dieses Stilmittel in jeden gut sortierten Handwerkskasten für Horror-Regisseure und prägt gerade die aktuelle Welle junger wie gestandener Filmschaffender, die dem Genre neues Leben einhauchen. Vor diesem Hintergrund ist das (Wieder-)Entdecken von „Ekel“ eine wahre Freude, die einen den Kopf darüber schütteln lässt, dass der Film tatsächlich schon vor 53 Jahren erschien. Der behutsame Aufbau, die Schwarz/Weiß-Ästhetik gepaart mit dem sparsamen, dann aber umso effektvolleren Einsatz von nervöser Jazz-Musik, die visuellen Effekte, das Gesamtpaket des audiovisuellen Erlebnisses (spannende wie überraschende Einblicke bietet das Bonus Material) zeigt das Potenzial eines Genies hinter der Kamera, das mit seinem Zweitwerk den Durchbruch schaffen sollte.
Besonders beachtlich ist aber sicherlich die Entscheidung, die Figur der Carole Ledoux in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Für Catherine Deneuve markierte die Rolle ebenfalls den Start einer legendären Karriere, natürlich auch, weil sie fantastisch spielt. Jedoch bietet Polanski ein massives Sprungbrett in Form eines tiefgründig geschriebenen Charakters. Nun ist es nicht das erste Mal, dass eine Frauenfigur in den Mittelpunkt eines Filmes gesetzt wird. Auf welch feinfühlige Weise allerdings die Psyche einer jungen Frau aufgedröselt wird, suchte zu dieser Zeit sicher seinesgleichen.
In „Ekel“ ist schon das eingeschrieben, was drei Jahre später in eine umwälzende Gesellschaftsbewegung münden sollte. Die Anhängerinnen der zweiten Feminismus-Welle dürften in Polanski einen Mitstreiter gesehen haben, der das Frauenbild anprangerte und im Schönheitswahn und den Rollenvorstellungen akute Gefahren für seine Zeitgenossinnen sah. Genauso wichtig ist dem Regisseur eine ausgeglichene, pathologische Herangehensweise an den Wahnsinn, der peu à peu auf Carole übergreift. Sorgsam ausgelegte und geschickt angedeutete Spuren öffnen einen Spekulationsraum für die Spurensuche und führen zu komplexen wie unangenehmen Schuldfragen.
Doch leider bekommt diese ungemeine Stärke des Films heute einige Kratzer. Die Wichtigkeit von Polanskis Werken in filmhistorischen wie in gesellschaftlichen Dimensionen bleibt unbestritten, doch mit dem Wissen um die Privatperson Roman Polanski fällt es schwer, keine Kritik zu äußern. Anders als die Prominenten, die sich dieser Tage mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung oder gar der Vergewaltigung konfrontiert sehen, ist Polanski zumindest in einem Fall der Vergewaltigung einer Minderjährigen schuldig gesprochen worden und lebt nur – so wird es den Behörden angelastet – aufgrund seiner Berühmtheit auf freiem Fuß.
Vergewaltigungsfantasien und -ängste einer jungen, naiven und kindlich wirkenden Frau, wie sie Catherine Deneuve damals verkörperte, lassen einen vor diesem Hintergrund mit einem flauen Gefühl zurück. Wie Woody Allen kehrt Polanski in seinen Filmen immer wieder zu einem ähnlichen Frauentyp und sexuell aufgeladenen Thematiken zurück, sodass die Unterstellung nahe liegt, er wollte so von seinen eigenen Verstrickungen ablenken. Auch wenn das in die Kategorie Spekulation gehört, so fällt es ähnlich wie im Fall des Comedians Louis C.K. schwer, keinerlei Verbindung zu sehen. Das bringt den Konsumierenden in die unangenehme Bredouille, auf individueller Basis eine Umgangsform mit der Problematik zu finden. Eine moralische Antwort auf das Dilemma hat die Gesellschaft jedenfalls noch nicht finden können.
Manch eine aktuelle Aussage von Catherine Deneuve macht die Verwirrung gänzlich perfekt. Gegen die #metoo-Bewegung führte sie das Argument ins Feld, dass Frauen sich nicht schuldig fühlen sollten, sich als sexuelle Wesen zu inszenieren. Dabei verkennt sie, dass das, was sie als Angriff auf die Weiblichkeit und daraus folgend auf die Kunstfreiheit interpretierte, in „Ekel“ bereits ausgiebig verhandelt worden ist. Frauen sind dort ausschließlich zu besitzende Spielzeuge, weil die Rollenbilder statisch zu bestimmten Verhaltensweisen führen. Nicht umsonst sind die Arbeit und die Gespräche im Schönheitssalon für Carole tragischerweise der zentrale soziale Kontakt nach außen.
Durch die aktuelle Bewegung soll keine Stimmung der Unsicherheit erzeugt werden, sondern ein Klima, in dem sich Frauen wohlfühlen und frei entfalten können. Diesbezüglich sind wir sicher weiter als noch vor 50 Jahren, doch nicht so weit, wie es vonnöten ist. Wie das Bild einer freien Frau für Deneuve aussieht, darüber besteht auch nach Filmen wie „Belle de Jour“ Klärungsbedarf. Die Unsicherheit bezieht sich auf einen anderen Aspekt: Wie sieht die Welt aus, in der wir in Zukunft leben wollen und welchen Rollenfreiheiten müssen dafür geschaffen werden? Auch hierauf gibt es noch keine überzeugenden Antworten und notwendige Debatten.
Wie also umgehen mit „Ekel“? Ein wichtiges Zeitzeugnis ist der Film in jedem Fall, darüber besteht kein Zweifel. Als Artefakt bietet er Ansatzpunkte für Analysen wie die vorliegende und beeinflusste überdies die Debatten selbst. Ihn aufgrund der Taten seines Machers aus dem Verkehr zu ziehen, wäre die einfache, aber völlig falsche Entscheidung, denn es müssen Debatten geführt werden, die von einer Zensur völlig korrumpiert würden. Vielmehr sollte analysiert werden, unter welchen Bedingungen und unter welcher Inspiration ein als wertvoll angesehenes Kulturgut wie „Ekel“ produziert worden ist.
Es sind keine angenehmen Fragen, die dabei aufkommen werden, gerade auch, weil Polanski als schwieriger Mensch bekannt ist. Doch sie müssen gestellt werden, um die Arbeitsbedingungen im Filmbusiness zu verbessern und den Zuschauenden vor weiteren moralischen Dilemmata dieser Art zu bewahren. Doch genau deswegen (und aus vielen anderen Gründen) ist es wichtig, sich „Ekel“ anzunehmen. Der Filmgenuss stellt sich ohnehin ein.
FAZIT: Es ist schön, „Ekel“ nun auch in Deutschland in voller Pracht schauen zu können. Die vorliegende Version holt alles aus einem Klassiker heraus, der trotz aufgezwungenem B-Movie-Flair zu den großen Werken der Filmgeschichte zu zählen ist. Roman Polanski leistet in vielen Fällen Pionierarbeit und schafft mit diesem Film nicht zu Unrecht seinen Durchbruch. Die Privatperson Polanski von seinem Werk zu trennen, fällt hier allerdings im Rückblick schwer, denn die Parallelen sind zu deutlich, um eine Verbindung zu übersehen. Trotz des flauen Gefühls sollte man „Ekel“ aber keinesfalls ignorieren und sich auch nicht den Spaß an dem Meisterwerk nehmen lassen.
Cover und Szenebilder © Arthaus
- Titel: Ekel
- Originaltitel: Repulsion
- Produktionsland und -jahr: GB, 1965
- Genre:
Psychothriller
Horror
- Erschienen: 17.05.2018
- Label: Arthaus
- Spielzeit:
100 Minuten auf 1 DVD
100 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Catherine Deneuve
Ian Hendry
John Fraser
- Regie: Roman Polanski
- Drehbuch:
Roman Polanski
Gérard Brach
David Stone
- Kamera:
Gilbert Taylor
Stanley Long
- Schnitt: Alastair McIntyre
- Extras:
Dokumentaion “A British Horror Film”, Interview mit Kameramann Stanley Long, Audiokommentar von Roman Polanski und Catherine Deneuve, Trailer - Technische Details (DVD)
Video: 1,66:1 anamorph
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,66:1 anamorph
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D - FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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