Die ersten beiden Bände der „The Red“-Trilogie hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können. „Morgengrauen“ war ein fantastischer Roman, der unter anderem die Auswirkungen des Einflusses von Großkonzernen auf Kriege beleuchtete. „Prüfungen“ war hingegen ein Reinfall, da hier zu wenig geschah, um die Handlung vom Vorgängerband unterscheidbar zu machen. Mit „Funkstille“ wird die Reihe jetzt abgeschlossen und man darf gespannt sein, was sich Autorin Linda Nagata dieses Mal hat einfallen lassen.
Offiziell gilt James Shelly als tot. Inoffiziell ist er jedoch Teil einer geheimen Organisation, die verdeckte Operationen durchführt. Er und seine Kollegen haben vor allem eins gemein: Sie sind teilweise vercybert und ihr Schädelnetz, das unter anderem ihre Emotionen kontrolliert, ist fest in ihrem Kopf implantiert.
Ein Auftrag führt sie in die Arktis, wo James Shelly einerseits mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird, andererseits aber merkt, dass die titelgebende Künstliche Intelligenz namens “das Rote” ihn weiterhin jederzeit manipulieren kann. Die Aktionen in der Kälte eskalieren sehr schnell, und am Ende wird sich für den ehemaligen Army Lieutenant einiges verändern. Denn es scheint, als ob das Rote nicht die einzige KI ist, die im Hintergrund die Fäden zieht.
Mit „Funkstille“ macht Linda Nagata vieles besser als bei den Vorgängergeschichten, aber eben nicht alles. Was man ihr zugute halten muss, ist die Tatsache, dass sie dieses Mal ein komplett anderes Ausgangsszenario wählt und es ebenso gut umsetzt. Die Auswirkungen davon, dass James Shelly dieses Mal ohne offizielle Erlaubnis seines Landes agiert, werden glaubwürdig geschildert. Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Extraktion, die nur unter vielen Schwierigkeiten erfolgen kann, untermauern das.
Gleichzeitig zeigt sie ebenfalls, wie anfällig James Shelley gegenüber dem Einfluss des Roten ist. Es gibt eine Szene, in der er etwas macht, was für seinen Charakter absolut widersinnig ist, und wo er am Ende entsetzt feststellen muss, dass er von der KI manipuliert wurde. Das ist auch nicht das einzige Mal, dass dies geschieht, denn es gibt im Laufe der Geschichte wiederholt Passagen, in denen die KI wesentlich aktiver ist als noch in den letzten Büchern. Das führt dann am Ende zu einer Entscheidung, die drastische Auswirkungen auf James Shelly hat und ihn, vielleicht zum ersten Mal seit Beginn der Reihe, eigenständiger agieren lässt.
Im Laufe der Erzählung trifft man nicht nur James Shelly wieder, sondern auch viele andere bekannte Charaktere, wie zum Beispiel Delphi. Und an ihr zeigt sich besonders schön, wie sehr Linda Nagata aus ihren Fehlern gelernt hat. Denn dieses Mal wirkt die Figur emanzipiert und nicht wie eine bloße Kopie von James Shellys Freundin aus „Morgengrauen“.
Über einen großen Teil des Romans entwickelt sich die Story spannend und unvorhersehbar. Vor allem die Tatsache, dass das Rote wesentlich aktiver agiert, sorgt dafür, dass man das Buch nicht mehr so schnell aus der Hand legt. Doch in der Mitte der Geschichte wird man über etwas stolpern, das einen aus dem Lesefluss rauswirft.
So schreibt Linda Nagata, dass sich James Shelly einen Fuß seiner mechanischen Beine bricht. Normalerweise hat so etwas Gravierendes spürbare Auswirkungen. Dieses Mal nicht, im Gegenteil: Die Autorin scheint dieses Detail wiederholt zu vergessen. So kann sich ihr Protagonist unbehindert bewegen, obwohl der Bruch dies eigentlich nicht zulassen dürfte! Nur selten bezieht sie die schwerwiegende Verletzung in ihre Figurenzeichnung mit ein.
Richtig ärgerlich ist das Ende des Romans. Der Endkampf verpufft aufgrund seines gekünstelt wirkenden Szenarios undramatisch, jeder Anflug von Spannung fällt flach. Der Showdown plätschert vor sich hin und stirbt einen würdelosen Tod.
Trotzdem: Auch wenn „Funkstille“ nicht an die Qualität von „Morgengrauen“ heranreicht, ist dies immer noch ein besserer Roman als „Prüfungen“. Und erhält von daher eine Leseempfehlung.
Cover © Cross Cult
- Autor: Linda Nagata
- Titel: The Red 3: Funkstille
- Teil/Band der Reihe: The Red 3
- Originaltitel: The Red: Going Dark
- Übersetzer: Helga Parmitter
- Verlag: Cross Cult
- Erschienen: 07/2017
- Einband: Broschiert
- Seiten: 550
- ISBN: 978-3-959811-98-9
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Wertung: 11/15 dpt