«“Es ist nur eine Tür, Mia, nichts weiter“, sagte Berna. So klangen Kinder, die sich im Wald fürchteten und sangen. Am liebsten hätte ich in diesen Gesang eingestimmt.»
Dogwalkerin Mia möchte einer ihrer Lieblingskundinnen nur schnell deren Hündin zurückbringen. Doch als Berna sie an der Tür empfängt, scheint etwas nicht zu stimmen. Die todkranke Seniorin wirkt benommen, macht seltsame Andeutungen und umarmt Mia zum Abschied – das hatte sie vorher noch nie getan. Außerdem bittet sie die Dogwalkerin, zwei Stunden später wiederzukommen. Als die junge Frau, wie verabredet, erneut vor der Tür steht und niemand auf ihr Klingeln reagiert, verschafft sie sich Zugang zum Haus – und findet Berna tot in ihrem Bett. Zunächst von einem Selbstmord ausgehend, erfährt sie schließlich, dass die alte Dame umgebracht wurde. Plötzlich ist Mia nicht nur eine wichtige Zeugin für die Polizei, sondern auch eine Gefahr für den Täter.
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Ein Charakter, den man sofort ins Herz schließt: Mia ist einfach wunderbar! Sie erzählt uns ihre spannende, unvorhersehbare Geschichte und reißt uns vom Anfang bis zum Ende mit. Immer mehr decken wir an ihrer Seite auf, kommen Ungereimtheiten auf die Spur, versuchen herauszufinden, warum Berna auf diese Weise sterben musste. Mia verhält sich dabei nachvollziehbar und authentisch. Sie geht analytisch vor, ist furchtlos, unnachgiebig, klug und mit einem großen Herzen für Mensch und Tier ausgestattet. Viele kleine Details machen die junge Frau mit jeder Seite noch sympathischer. Aufgrund der Verdächtigungen, die im Laufe der Ermittlungen gegen sie aufkommen, ist das Lesen eine emotionale Achterbahnfahrt. Man leidet mit Mia mit, ist fassungslos über die Anschuldigungen und genießt umso mehr die Momente im Kreise guter Freunde.
Die Autorin beweist mit ihrem Roman ein Händchen für Charaktere. Wir lernen tolle, starke Frauen in allen Altersgruppen kennen. Neben Mia und ihrer Mitbewohnerin Charlotte sowie der liebenswürdigen Berna begeistert vor allem die betagte Nachbarin Grete. Sie und Mia verbindet eine tiefe, ungewöhnliche Freundschaft, die den Leser zum Schmunzeln bringt.
In krassem Gegensatz dazu steht die Familie der ermordeten Berna. Zu keinem Mitglied der Nawraths lässt sich eine positive Beziehung aufbauen und die verworrenen Familienverhältnisse schüren Skepsis. Wer steckt wirklich in der Sache mit drin? Und wie tief? Was ist wahr und was gelogen?
Der gesamte Roman ist durchzogen von kleinen Besonderheiten wie Mias ungewöhnlichen Freundschaften und dem einzigartigen Küchentisch in ihrer WG, auf dem sich jeder Gast mit einem Spruch über seine Sicht des Lebens verewigt. Diese Kleinigkeiten verleihen der Handlung das gewisse Etwas. Aber auch der eigentliche Plot kann voll und ganz überzeugen. Er ist logisch und überaus spannend konstruiert, lässt den Leser lange im Dunklen, legt falsche Fährten – dieses Buch hat das häufig genutzte Attribut „Pageturner“ wirklich verdient. Darüber hinaus reichert die Autorin ihre Geschichte mit zahlreichen interessanten Aspekten an. So zum Beispiel Mias Job, der nicht nur bildhaft beschrieben ist, sondern sich unter anderem mit den Beschreibungen, wie Mia die Hunde darauf trainiert, Grete und verlorengegangene Dinge zu finden,auch perfekt in die Handlung einfügt. Ebenso speziell ist die Tatsache, Berna nur vier Wochen vor ihrem geplanten Tod – aufgrund ihrer unheilbaren Krankheit wollte sie in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen – sterben zu lassen. Dies lässt viel Raum für Spekulationen: Wollte ihr womöglich jemand einen „Gefallen“ tun? Oder wurde sie aus anderen Motiven umgebracht? Fiel es dem Mörder leichter, weil sie ohnehin sterben wollte? Die Autorin beschreitet hier spannende Wege, die das Kopfkino des Leser auf Hochtouren laufen lassen.
Kornbichler entwickelt eine sehr facettenreiche Story in einer überaus ausgefeilten Sprache. Ihr Stil ist klar und flüssig, eher anspruchsvoll, ihre Worte sind wohlüberlegt und auf den Punkt. Die Ich-Perspektive lässt den Leser tief ins Geschehen und in Mias Innenleben, ihre Gedanken und Gefühle eintauchen.Für die Auflösung lässt sich die Autorin viel Zeit und auch, wenn zwischenzeitlich vage Ahnungen herumschwirren, können das Ende und die Hintergründe durchaus überraschen.
Fazit: „Der letzte Gast“ ist ein von der ersten bis zu letzten Seite spannender, gut durchdachter Spannungsroman, der sowohl mit der Haupthandlung als auch mit zahlreichen besonderen Details punkten kann. Dank der liebevoll gezeichneten Charakteren fühlt man sich emotional mit Mia und ihrer Geschichte verbunden und erlebt die Ereignisse, die ihr wahres Gesicht Stück für Stück entfalten, hautnah mit.
Cover © Piper
- Autor: Sabine Kornbichler
- Titel: Der letzte Gast
- Verlag: Piper
- Erschienen: 05/2018
- Einband: Broschiert
- Seiten: 384
- ISBN:978-3-492-06106-3
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Wertung: 14/15 Hundenasen