«Sie weiß, dass sie mit dieser Lüge auf dünnem Eis wandert. Es braucht nur eine falsche Bewegung, und der Boden unter ihren Füßen bricht. Dann stürzt sie in den Abgrund des Bösen.»
Drei Monate ist es her, dass Targa Hendricks beinahe von einem Serienkiller getötet worden wäre. Sie ist in Asturien untergetaucht, lebt dort ein ruhiges Leben, weit weg von dem Grauen, das sie erleben musste. Eines Tages nimmt ihr Kollege Lundt Kontakt zu ihr auf – ein neuer Auftrag. Sie soll Freya von Rittberg überführen, die Bilder aus Menschenblut malt. Ist die exzentrische Künstlerin deshalb auch eine Mörderin? Targa ist die einzige, die das herausfinden kann.
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Mit Targa Hendricks hat das Autoren-Paar B. C. Schiller einen Charakter erschaffen, den es so ganz sicher kein zweites Mal gibt. Targa ist ein besonderer Mensch, der sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Emotionslos, kühl, analytisch, zwanghaft, direkt, nahezu humorlos, intelligent, aber mit zwischenmenschlichen Beziehungen oft überfordert – reiht man diese Charaktereigenschaften aneinander, wirkt die junge Ermittlerin der Sonderabteilung K2 auf den ersten Blick nicht unbedingt sympathisch. Und doch ist sie unglaublich faszinierend und versteht es, den Leser auf ihre Seite zu ziehen. Obwohl man diese Frau manchmal einfach nur schütteln möchte – und das ziemlich fest – folgt man ihr wahnsinnig gerne, platzt geradezu vor Neugier, welche Facetten sie noch bereithält, und ist immer wieder von ihrem eigenwilligen Verhalten überrascht. Im ersten Teil näherten wir uns Targa langsam an, im zweiten Teil kennen wir ihre Eigenarten bereits und können uns besser auf sie einstellen, ihre Gedanken und Handlungen einordnen. Wir wundern uns nicht mehr darüber, dass sie konventionelles menschliches Verhalten erst in Ratgebern nachlesen muss, dass sie ihren Hund „Hund“ nennt, weil sie sich keine Namen merken kann oder dass sie mit ihrer toten Schwester spricht und diese um Rat fragt.
Wie bereits im Vorgänger beginnt auch dieser zweite Teil mit einem Prolog zur Nacht als Targa geboren wurde. Dieses Mal stehen aber nicht die neugeborenen Zwillinge, die schutzlos in der eisigen Nacht liegen, im Fokus, sondern ihre Mutter. Wir erfahren, was mit ihr geschah, nachdem sie die Babys vor dem Hintereingang des Krankenhauses abgelegt hat. Das bringt uns Targa noch ein wenig näher und offenbart ein weiteres Fragment ihrer dunklen Geschichte.
Eine weitere Parallele zum ersten Band: Der Täter ist von Anfang an bekannt. Freya von Rittberg IST eine Mörderin. Es geht in der Reihe (bislang) nicht darum, den Täter zu enttarnen, sondern darum, ihn in Targas Falle laufen zu lassen. Das macht es aber keineswegs weniger spannend. Im Gegenteil – der Spannungsbogen flacht zu keinem Zeitpunkt ab, sondern hält den Leser durchweg in Atem. Ob es die Beziehung zwischen Freya und Targa ist, Freyas grausame Mutproben, denen sich ihre Anhänger stellen müssen, oder die Zusammenführung der verschiedenen Handlungsstränge, die Geschichte fesselt vom ersten bis zum letzten Satz. Insbesondere die Episoden rund um Freya von Rittbergs Großvater, der als überzeugter Nazi nicht nur verantwortlich für eines der Lebensborn-Heime in der SS-Zeit war, sondern seine Enkeltochter aufs Übelste psychisch misshandelt hat, verknoten dem Leser regelrecht den Magen. Sein arischer Wahn und die abscheulichen Dinge, die er Freya angetan hat, werden vom Autoren-Duo überaus eindringlich beschrieben und verlangen dem Leser einiges ab – das ist definitiv harter Tobak, der nicht spurlos an einem vorübergeht.
Ihre Vergangenheit lässt Freyas Handlungen und ihre Lebensweise umso verstörender wirken. Zugleich strahlt die Künstlerin eine seltsame Faszination aus. Sie ist eine spannende Frau, die man einerseits anziehend, ob ihrer Taten aber ebenso abstoßend findet. Ihre Blut-Bilder sind so interessant dargestellt, dass man sie gern einmal mit eigenen Augen sehen würde. Wie bereits im ersten Teil schaffen es die Autoren auch dieses Mal wieder, den Mörder – in diesem Fall die Mörderin – zwar gestört und grausam, gleichzeitig aber als vielschichtigen, aufregenden Charakter zu zeichnen. Freya ist nicht einfach nur eine kaltblütige Killerin, sondern auch ein Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen. Auch sie hat eine verletzliche Seite. Gleiches trifft ebenfalls auf Targa zu: Ganz tief unter ihrer harten Schale liegt ein weicher Kern verborgen, den wir Stück für Stück mehr freilegen. Zweifellos sind Targa und Freya zwei sehr besondere und außergewöhnliche Frauen, die sich deutlich von der Masse abheben und die Thriller-Welt ordentlich aufmischen – die eine als Jägerin, die andere als Täterin.
Die Geschichte lebt vordergründig von ihren beeindruckenden Charakteren – von denen es neben Targa und Freya weitere interessante Vertreter gibt, die es aber letztlich nicht mit den beiden Frauen aufnehmen können. Hervorzuheben ist sicherlich Freyas Großvater, der mit seiner zerstörerischen, widerlichen und vollkommen fehlgeleiteten Art der eigentliche Bösewicht ist. Während sonst kaum in Schwarz und Weiß unterschieden werden kann, also niemand ausschließlich gut oder böse ist, steht dieser Mann ganz klar auf einer Seite.
Doch auch die Handlung, die sich auf unterschiedlichen Wegen um die Charaktere entfaltet, steht ihren Akteuren in nichts nach und reißt den Leser erbarmungslos mit. Die verschiedenen Handlungsstränge sind überaus spannend und vielseitig, ihre Zusammenführung besticht durch vielzählige überraschende Wendungen. Nicht zuletzt ist hier das offene Ende zu nennen, in dem Targas Adoptivmutter eine Bombe platzen lässt, die das Warten auf die Fortsetzung nahezu unerträglich macht.
Auch der Erzählstil ist speziell, greift er doch die düstere Atmosphäre und Targas Emotionslosigkeit perfekt auf. Manche Zeilen sind ausgefeilt, fast poetisch, andere abgehackt und nüchtern. Die Beschreibungen von Freyas Mutproben und Bildern sind auf den Punkt und derart bildhaft, dass man sie fast vor sich sehen kann.
Bei aller Begeisterung muss man fairerweise die kleinen Schwachpunkte erwähnen: Die Dialoge wirken manchmal etwas hölzern. Während es im Falle von Targa noch authentisch ist, dass sie teilweise ein wenig gestelzt spricht, passt dies zu anderen Charaktere oftmals nicht. Zudem gibt es im Verlauf der Handlung ein paar Zufälle zu viel – wer Realismus sucht, ist hier falsch. Aber das sollte bei einem solchen Plot auch kaum der Anspruch sein und ist daher Jammern auf sehr hohem Niveau. Womöglich könnte man auch die vielen Parallelen zum ersten Teil bemängeln, andererseits sind sie typisch für Targas Vorgehensweise und geben der Geschichte ihren markanten Rahmen.
Fazit: „Immer wenn du tötest“ ist ein sehr düsterer Thriller, der menschliche Abgründe auf eine neue Stufe hebt und seine Charaktere ebenso wie seine Leser an Grenzen treibt. Die Verbindungen zwischen den Untaten der SS-Zeit und Freyas Malerei mit Menschenblut sind verstörend und grauenvoll, gleichzeitig sind die mordende Künstlerin ebenso wie Targa extrem faszinierende, einzigartige und vielschichtige Charaktere, die den Leser bis zum Schluss und darüber hinaus an die Geschichte fesseln. B. C. Schiller haben mit „Targa“ einer Reihe Leben eingehaucht, die viel Potenzial für Fortsetzungen bietet und sich vom Mainstream deutlich abhebt. Bitte mehr davon!
Cover © Penguin
- Autor: B.C. Schiller
- Titel: Immer wenn du tötest – Ein Fall für Targa Hendricks
- Teil/Band der Reihe: 2 von 2
- Verlag: Penguin
- Erschienen: 05/2018
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 400
- ISBN: 978-3-328-10163-5
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 14/15 Bilder aus Blut