«Mein wichtigster Ansatzpunkt war, eine Geschichte zu entdecken, die es wert war, gemalt zu werden.»
Band 2 schließt nahtlos an Band 1 an und beginnt dementsprechend mit Kapitel 33. Der namenlose Ich-Erzähler ist weiterhin damit beschäftigt, ein Porträt der dreizehnjährigen Marie zu zeichnen, die möglicherweise die Tochter seines Nachbarn Menshiki sein könnte. Eines Tages verschwindet das Mädchen. Der Maler ist sich sicher, dass die „Die Ermordung des Commendatore“ eine wichtige Rolle dabei spielt und das Geheimnis ihres Verbleibs irgendwo in dem Bild verborgen liegt.
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In der Fortsetzung verschiebt sich der Fokus einen Hauch weg von der Kunst und ein wenig stärker auf die Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Nicht, dass die Malerei hier in den Hintergrund rückt – im Gegenteil, sie ist nach wie vor ein zentraler Bestandteil der Geschichte. Alles, was geschieht, entsteht letztlich aus der Kunst. Die verschiedenen Gemälde, die den Weg des Ich-Erzählers ebnen, nehmen auf verschiedene Weise Einfluss auf den Verlauf seiner Geschichte.
Nicht zuletzt sie sind der Grund dafür, dass sich die menschlichen Beziehungen verändern. Marie fasst immer mehr Vertrauen zum Erzähler und öffnet sich. «Es war das erste Mal, dass ich sie lächeln sah. Es war, als ob eine dichte Wolkendecke aufreißen und ein Sonnenstrahl hell und warm auf ein auserwähltes Fleckchen Erde fallen würde.» – Ein schönes Beispiel für die tiefe, besondere Verbindung, die zwischen den beiden entsteht. Zugleich entfernen sich der Maler und Menshiki voneinander – Letzterer verliert im Vergleich zu Band 1 an Bedeutung und spielt eher eine Nebenrolle, wenngleich er nach wie vor sehr präsent ist. Und auch die Beziehung zwischen dem Erzähler und seiner Frau wandelt sich erneut. Wir erleben hier, wie sehr die Ereignisse das Leben des Porträtisten beeinflussen und wie er schließlich zu sich selbst (zurück) findet. Insofern ist auch in seiner Beziehung zu sich selbst eine Wandlung zu erkennen.
Im ersten Band hielt das Magische bereits in Form des kleinen Commendatore und der klingenden Glöckchen Einzug in den Alltag des Erzählers. Doch in diesem zweiten Teil setzt Murakami noch mal einen drauf und driftet in einigen Kapiteln fast schon ins Fantasy-Genre ab. Um die verschwundene Marie zu finden, muss der Maler ins Reich der Metaphern reisen und sich der Frage stellen, ob er dafür sogar töten würde. Das Fantastische, das im Vorgänger häufig zwischen den Zeilen durchschimmerte, ist hier deutlich sichtbar und hält einige unerwartete Überraschungen bereit. Dadurch entstehen höchst spannende Momente, die den Leser mitreißen.
Wie gewohnt ist auch diese Fortsetzung tiefsinnig und philosophisch, humorvoll und oft mit einem Augenzwinkern erzählt. Murakami versteht es einfach perfekt, alle nur denkbaren Facetten aus seinen Geschichten herauszukitzeln. Er spielt mit dem Leser, genauso wie mit seinen Charakteren.
Der in seiner Bedeutung einzig wirklich beständige Charakter ist in beiden Teilen der Ich-Erzähler. Die Relevanz der weiteren Figuren variiert zwischen den Bänden, sodass wir in diesem Roman Marie besser kennenlernen. Zwar bleibt sie dem Erzähler und damit auch uns dennoch recht fern – sie ist nun einmal ein sehr verschlossener Mensch – aber durch die Annäherung der beiden, erfahren auch wir mehr über das stille, eigensinnige und mutige Mädchen. Daneben decken wir gemeinsam mit unserem Maler noch etwas mehr der Geschichte Tomohiko Amadas, des berühmten Künstlers, in dessen Haus der Erzähler lebt, auf und lernen auch ihn kurz persönlich kennen.
Das Ende kommt schließlich ein wenig zu abrupt. Plötzlich werden die weiteren Ereignisse nur noch zusammengefasst und es wirkt, als wolle der Erzähler seine Geschichte nur noch schnell zu einem Abschluss bringen, nachdem er den Höhepunkt der Geschehnisse erreicht hat. Davon abgesehen ist die Handlung aber in sich schlüssig und rund.
Fazit: Mit seinem in zwei Teile gegliederten Roman „Die Ermordung des Commendatore“ hat Murakami einmal mehr ein Meisterwerk geschaffen. Der Fortsetzung der Geschichte des Malers ist spannend, vielseitig, leidenschaftlich und mit passend eingesetztem Witz erzählt. Der ungewöhnliche Plot fesselt ungemein und legt im Vergleich zu Band 1 stellenweise deutlich an Tempo zu. Insgesamt ist der zweite Teil aufgrund des abrupten Endes aber ein wenig schwächer als sein Vorgänger. Da dies Jammern auf hohem Niveau ist, gibt es für das Gesamtwerk eine ganz klare und unbedingte Leseempfehlung!
Cover © Dumont
- Autor: Haruki Murakami
- Titel: Die Ermordung des Commendatore Teil 2
- Teil/Band der Reihe: 2 von 2
- Originaltitel: Kishidancho goroshi
- Übersetzer: Ursula Gräfe
- Verlag: Dumont
- Erschienen: 04/2018
- Einband: Gebunden
- Seiten: 496
- ISBN: 978-3-8321-9892-3
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Wertung: 14/15 Doppelmetaphern
Eine richtig tolle Rezension!
Ich finde auch, dass das Ende leider viel zu schnell kam. Da hätte ich mir mehr Ruhe und Magie gewünscht. Trotzdem hat mir die Fortsetzung auch sehr gut gefallen. Habe von vielen gehört, dass sie diese nicht so gut finden, das kann ich jedoch nicht teilen. Ich finde sie wirklich gelungen, bis auf das Ende halt.
Alles Liebe
Alina