Selma, Los Angeles, Detroit: Polizeigewalt und Rassenunruhen prägen die USA der 1960er-Jahre. Es ist der Kampf der Schwarzen für Gleichberechtigung gegen die Vormachtstellung der Weißen, verkörpert durch eine von Rassismus geprägte Polizei. Wenn es denn nur so etwas wie die eine Wiedergutmachung für all die Opfer der blinden Gewalt gäbe, so wäre es die Transformation ihrer Vereinigten Staaten in ein Land, das dem Martin Luther King’schen Traum entspricht. In den 2010er-Jahren sind es Ferguson, Charlotte und New York, die Bürgerrechtsbewegung heißt „Black Lives Matter“ und Schwarze werden weiterhin Opfer von Polizeigewalt. Regisseurin Kathryn Bigelow legt den Finger in eine bis heute klaffende uramerikanische Wunde und erzählt schonungslos von der realen Sinnlosigkeit eines weiteren Kriegs. Eine halsbrecherische und mutige Mission, für das sie abermals scharf angegangen wird. Dieses Mal haben die Kritiker allerdings einige gewichtige Argumente mehr auf ihrer Seite.
1967, in Detroit wollen sich die Schwarzen nicht mehr länger von der ihr gegenüber willkürlich agierenden Polizei herumschubsen lassen. Den Ausgangspunkt bildet eine Party, die aufgrund der fehlenden Ausschanklizenz der Bar von der Polizei aufgelöst wurde. Strategische Fehler bei der Organisation der Festnahme von über 80 ausschließlich schwarzen Gäste führten umgehend zu Protesten, die im Laufe der Nacht in gewaltsame Unruhen ausarteten. Bis heute ist umstritten, was in dieser Nacht wirklich geschah und welche Motivationen die Beteiligten zu ihrem Handeln veranlassten. Unbestreitbar ist hingegen die fast schon allergische Reaktion des Gouverneurs George W. Romney, der die Nationalgarde Michigans bereits am zweiten Tag der Unruhen nach Detroit schickte.
Die einrollenden Panzer und einmarschierenden Soldaten machten das Bild der Kriegssituation komplett. Teile von Detroit brannten und lagen in Schutt und Asche, in der Folge sollte es einer der größten Aufstände in der US-Geschichte werden. Der Film fängt diese chaotische Situation mit einer wackeligen Handkamera und hektischen Schnitten ein, doch „Detroit“ wirkt in diesem einführenden Teil nicht immer nachvollziehbar zerfahren. Eine Vielzahl an Charakteren wird so mosaikhaft eingeführt, dem Geschehen ist erst einmal nur schwer zu folgen. Es zeigen sich dramaturgische Schwächen, untypisch plump konstruieren die eigentlich um Exaktheit bemühte Regisseurin und ihr Stammdrehbuchautor Mark Boal die dramatische Verdichtung der Ereignisse.
Letztendlich werden Nationalgarde und Polizei gemeinsam für die Beruhigung der Situation sorgen, doch bis dahin werden in der unübersichtlichen Lage aus Gerüchten, Ausschreitungen, Plünderungen und Angriffen von Heckenschützen 43 Menschen ums Leben gekommen und über 1000 verletzt worden sein. Dem Einzug von Recht und Ordnung war ein Zustand der Anarchie vorangegangen, der seinen Tiefpunkt in einer grausamen Bluttat fand. Wenn sich Bigelow den Geschehnissen im Hotel Algiers zuwendet, findet der Film sein inhaltliches wie qualitatives Herzstück, wirkt fokussiert und konzentriert. Ein Missverständnis führt dazu, dass die Newcomer-R&B-Band „The Dramatics“ zusammen mit anderen Außenseitern wie Prostituierten und anderen Schwarzen Opfer einer absurden Episode wird, die die von blinder Wut und ungerechten Strukturen ermöglichte Sinnlosigkeit auf unerträgliche Weise auf den Punkt bringt.
Das intensive und mitreißende Kammerspiel um den Schuss aus einer Spielzeugpistole vermittelt durch die dichte Inszenierung dem Zuschauenden den immensen psychischen Druck, unter dem die Beteiligten standen. Die Situation ist außer Kontrolle, hat eine Eigendynamik entwickelt, die sinnloses Sterben zur Folge hat. Die Polizisten suchen fieberhaft nach Beweisen (ähnlich wie die Amerikaner sie im Irak gesucht haben), um den Angriff der Polizisten zu rechtfertigen. Als dies nicht gelingt, versuchen sie durch ekelhaftes, strategisches Handeln einen Fall gegen die Verdächtigen zu schaffen. Frei nach Michael Haneke stellt sich dabei die Frage, ob sich dabei nicht diejenigen Zuschauenden schuldig machen, die in dieser Situation die Entscheidung trifft, weiterzuschauen. Hier hätte es sich gelohnt, deutlicher herauszustellen, dass der Film größtenteils auf Grundlage der Aussagen von Melvin Dismukes erzählt wird.
Dem Wachmann, gespielt von John Boyega, kam in der verhängnisvollen Nacht eine besondere Rolle zu. Als eine der wenigen schwarzen Autoritätspersonen der Zeit konnte er zwischen der Polizei und den Verdächtigen vermitteln und wurde Zeuge des Handels beider Seiten. Da das angebliche Vertuschen der Geschehnisse auch Dismukes zum Verdächtigen machten, wirkt der Film über weite Strecken wie ein weiteres Beweisstück und eine Betonung der Aussage des Wachmanns. Das ist insoweit bemerkenswert, als dass sich Bigelow mit „Zero Dark Thirty“ und „The Hurt Locker“ stets um eine ausgewogene Sichtweise und Kritik aller Akteure bemühte und mit den daraus resultierenden unangenehmen wie komplexen Fragen Aufsehen erregte. „Detroit“ stellt sich jedoch erstaunlich deutlich auf die Seite der Schwarzen vor allem in der Abgrenzung zur Polizei. Diese wird – anders als die Nationalgarde – als korrupter Haufen dargestellt, der fast ausschließlich von Rassismus, Gewalt, Dummheit und Nervenschwäche durchzogen ist und sich in ihren Vergehen untereinander deckt. Andere Erklärungsansätze wie Überforderung und Überarbeitung werden nur kurz genannt, aber keinesfalls in einem ausreichend fairen Maße.
Das gilt dann auch für den Polizisten Krauss (Will Poulter), der gleich zwei Schwarze erschießt und als für den Film komponierte Figur keinerlei gute Seiten zu haben scheint. Auch wenn die Schuldfrage nicht ganz so simpel gestellt und auch darauf gerichtet wird, ob sich das System und seine Strukturen schon verselbständigt haben, so sehr fehlt die Betonung, dass auf beiden Seiten Fehler gemacht wurden. Nicht umsonst stand Martin Luther King für Gewaltlosigkeit ein, denn wie groß die aufgestaute Wut über Ungerechtigkeit auch sein mag, auf eine gewaltsame Antwort wird eine gewaltsame Reaktion folgen. Davon, dass die Aufständischen ihre eigene Nachbarschaft zerstörten, ganz zu schweigen. Die Reaktion eines überlebenden Mitglieds der Dramatics fällt ebenfalls harsch aus: Er will nicht mehr zur Unterhaltung der Weißen auftreten und zieht sich in die Kirchenmusik zurück. Eine durchaus verständliche Reaktion, die jedoch eine Pauschalisierung zum Ausdruck bringt, der der Film trotz einiger weißer Helden nicht deutlich genug widerspricht, denn der dringend gebrauchte Dialog kommt so jedenfalls nicht zustande. Vielleicht ist es die Ohnmacht, dass sich auch 50 Jahre nach Detroit keine Gleichberechtigung eingestellt hat, aber jedes noch so gut gemeinte Plädoyer kann sich ins Gegenteil verkehren, sobald es nicht auf gesicherten Fakten basiert.
Ungewollt zeigen die Reaktionen auf den Film das wahre Problem in der momentanen Debatte. Obwohl Bigelow Feuer-mit-Feuer-bekämpfen-Strategie mit „Detroit“ zu kritisieren versucht, kann der Film in der gerade vorherrschenden Situation als Waffe von verschiedenen Seiten instrumentalisiert werden. Liberale Kräfte berufen sich auf normative Argumente und sehen in „Detroit“ einen Beweis für die Kraft der Wahrheit in Fragen der Gerechtigkeit, Schwarze empören sich (etwas kurz gedacht) über die Umsetzung durch eine weiße Frau, Konservative und Rechte werden Fake News und Stimmungsmache identifiziert haben. In diesem Fall leider nicht zu Unrecht, denn obwohl der Film im Abspann darauf hinweist, dass die Geschehnisse im Hotel Algiers wohl nie restlos aufgeklärt werden können, spricht der Untertitel von „Zeit für die Wahrheit“.
Wenn man bedenkt, dass „Detroit“ auf einer Mischung aus geschichtlich umstrittenen Fakten und der Aussage von Melvin Dismukes beruht, ist Skepsis angebracht. Der ehemalige Wachmann behauptet, dass der Film zu „99,5%“ der Wahrheit entspräche, doch bei den heutigen Erkenntnissen über die Belastbarkeit von Augenzeugenaussagen wirkt die Betonung seiner Version als die nächstgelegene zur Wahrheit nicht überzeugend. Im Film wird es außerdem so dargestellt, als wäre Dismukes nicht immer in den entscheidenden Szenen dabei gewesen. Im Englischen ist von „Time We Knew“ die Rede, eine abgeschwächte Form, die eher in den Fokus nimmt, dass es wichtig ist, dass die Existenz des Ereignisses und die schwer zu ertragende Ungewissheit über die Wahrheit ins kollektive Gedächtnis gebracht wird. Doch die vielen Vielleichts machen „Detroit“ zu einem instabilen Projekt, das nicht auf jede kritische Nachfrage etwas Untermauertes zu entgegnen haben wird.
FAZIT: Fünf Jahre nach dem Meilenstein „Zero Dark Thirty“ beschäftigt sich Kathryn Bigelow mit einer weiteren realen Geschichte, die ein uramerikanisches Thema auf schmerzhafte Weise auf den Punkt bringt. „Detroit“ bewahrt die grausamen Geschehnisse im Hotel Algiers davor, in Vergessenheit zu geraten und beleuchtet schonungslose die Sinnlosigkeit einer außer Kontrolle geratenen Situation inmitten der Rassenunruhen von 1967. Auch wenn der Film einräumt, selbst nach intensiven Recherche nicht die ganze Wahrheit ans Licht bringen zu können, wirkt die dramatische Bearbeitung vereinfachend und verzerrend. Bigelow zeigt ungewohnten Schwächen in der Konstruktion und stellt sich untypisch deutlich auf die Seite der Schwarzen. Es entsteht ein fast durchweg negatives Bild der Polizei, womit sich die Regisseurin in Kombination mit der wackeligen Faktenlage für Konservative und Rechte angreifbar macht. Außerdem befördert „Detroit“ eher die angespannte Stimmung in den Staaten, da er sich bis zu einem gewissen Grad einem dringend gebrauchten Dialog verschließt. Das Anliegen der Wahrheitsfindung kann dabei noch so nobel sein, wenn die Ausführung und die Faktenlage dieses nicht stützen können.
Cover und Szenebilder © Concorde Video DVD
- Titel: Detroit
- Produktionsland und -jahr: USA 2017
- Genre:
Thriller
Drama
Historie
- Erschienen: 05.05.2018
- Label: Concorde Video DVD
- Spielzeit:
144 Minuten auf 1 DVD
144 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
John Boyega, Anthony Mackie, Will Poulter, Algee Smith, John Krasinski, Hannah Murray, Jack Reynor, Samira Wiley, Ben O’Toole
- Regie: Kathryn Bigelow
- Drehbuch: Mark Boal
- Kamera: Barry Ackroyd
- Schnitt:
William Goldenberg
Harry Yoon
- Musik: James Newton Howard
- Extras:
– Featurettes (Die Wahrheit von Detroit, Die Besetzung von Detroit, Die Invasion von Detroit, Die Hoffnung von Detroit, Damals und heute)
– Musikvideo “Grow” mit Algee Smith und Larry Reed
– Bildergalerie
– Deutscher und Original Kinotrailer - Technische Details (DVD)
Video: 1,85:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,85:1 (16:9) (1080p)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 12
Wertung: 8/15 dpt