Mit „Lagune“ feierte die Autorin Nnedi Okorafor ihr Deutschland-Debut. Dabei beeindruckte der Roman durch sein afrikanisches Setting. Sie beschrieb ein Land, das zwischen Tradition und Moderne hin- und her gerissen war, bei dem Recht und Ordnung auf schwachen Füßen standen, weshalb teilweise Straßengangs das Sagen hatten. Es war ein gelungener Auftakt, dessen Erfolg dafür sorgte, dass auch ihre übrigen Bücher hierzulande herausgebracht werden.
„Wer fürchtet den Tod“ ist jetzt der zweite Band, der hier in Deutschland erscheint. Interessanterweise hat man chronologisch gesehen nicht wirklich ihr zweites Werk vorliegen, sondern vielmehr ihr erstes, welches sie für erwachsene Leser schrieb. Zuvor war nämlich die 1974 geborene Schriftstellerin als Kinderbuchautorin aktiv, wobei von diesen Geschichten keine Einzige den Weg nach Europa fand. Erst ab dem Jahr 2010 fing die Tochter eines in die USA emigrierten Ehepaares an, sich umzuorientieren.
Die Erzählung spielt in einer Zukunft, in einem unbekannten afrikanischen Land. Die Hauptfigur Onyesonwu (übersetzt: Wer fürchtet den Tod) wurde durch eine Vergewaltigung erzeugt. Die ersten Jahre ihres Lebens lebte sie gemeinsam mit ihrer Mutter in der Wüste, fernab jeglicher Zivilisation. Erst nach einigen Jahren zogen die beiden in eine kleine Stadt und damit auch zurück unter Menschen. Schnell zeigt sich, dass sie über außergewöhnliche, magische Fähigkeiten verfügt. Diese wird sie brauchen, wenn sie verhindern will, dass ihr in der Fremde lebende Vater das Volk, mit dem sie sich als Außenseiterin verbunden fühlt, in einem Genozid auslöscht. Allerdings ist ihr Erzeuger ebenfalls magisch begabt und im Vergleich zu ihr deutlich stärker. Das zeigt sich dadurch, dass er wiederholt versucht, sie aus der Entfernung mit seiner Magie zu töten, eine Gabe, die sie nicht beherrscht.
Im Laufe ihres Romans scheut die Autorin nicht davor zurück, sich diverser heikler Themen anzunehmen. Die Vergewaltigung spielt dabei im Vergleich eine eher kleine und unbedeutende Rolle, auch wenn die Schriftstellerin sich mit einem gewissen Respekt damit beschäftigt. So behandelt sie zum Beispiel das Thema der Beschneidung von Frauen, ebenso wie die Auswirkungen der Erwartungshaltung einer patriarchalischen Gesellschaft an seine Mitglieder weiblichen Geschlechts. Ebenso, wie sie sich mit der fatalen Idee befasst, dass ein Volk allen anderen auf Grund seiner Rasse überlegen sei.
Natürlich stellt sich bei so vielen gewichtigen Themen die berechtigte Frage, ob es nicht zu viel des Guten ist? Ob da nicht die Gefahr besteht, dass sich diese Vielzahl an Thematiken quasi gegenseitig den Platz zur Entfaltung wegnehmen und darunter die grundlegende Handlung leidet. Doch im Laufe des Romans kann Frau Okorafor diese Bedenken zerstreuen.
Dabei vermengte die Autorin gekonnt Science Fiction und Fantasy, wobei mal das eine, mal das andere literarische Genre in den Vordergrund tritt. Mal liest man zum Beispiel, wie zur Orientierung Tablets eingesetzt werden. Dann wiederum verwandelt sich Onyesonwu in eine andere Gestalt oder trifft auf eine höhere Wesenheit.
Der Plot dreht sich um die Hauptfigur Onyesonwu, deren Sicht überwiegend die Darstellung des Geschehens bestimmt. Nur selten wird nämlich in die Perspektive eines anderen Charakters gewechselt. Man erlebt eine Figur, die kein einfacher Mensch ist. Sie kann bockig und engstirnig sein, Probleme gerne ignorieren, vor ihnen davonlaufen oder sie mit ihrem Dickschädel quasi mit dem Kopf voran anzugehen. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wie sie versucht, doch noch eine Ausbildung zur Zauberin zu absolvieren, obwohl sie als beschnittene Frau von ihrem potentiellen Lehrmeister abgelehnt wird. Hauptsächlich geht es ihr darum, ihre eigenen Ziele und Wünsche durchzusetzen, egal wie. Gleichzeitig kümmert sie sich allerdings um die Personen, die sie gerne mag und die ihr nahe stehen.
Nach dem ersten Drittel wird der Band zu einem Reiseroman, in dem die Heldin sich mit ihren Freunden auf den Weg macht, ihren Vater zu konfrontieren. Dies nutzt die Autorin dafür, all das, was sie zuvor vorbereitet hat, aufzugreifen und zu verarbeiten. Vor allem Onyesonwus Entwicklung zu einer magisch gesehen immer mächtigeren Persönlichkeit, aber auch das Beziehungsgeflecht zwischen ihr und den Freunden und Freundinnen, die sie begleiten, werden interessant und spannend dargestellt. Dabei weiß man nie, was einen erwartet, da die Entwicklungen unvorhersehbar sind. So scheut die Autorin nicht davor zurück, Figuren, die man lieb gewonnen hat, schonungslos umzubringen.
“Wer fürchtet den Tod” ist ein großartiger Roman, der Lust auf mehr Werke der Schriftstellerin erzeugt. Zum Glück ist inzwischen „Das Buch des Phoenix“ erschienen, womit der Lesehunger zumindest vorerst gestillt worden sein dürfte.
Cover © Cross Cult
- Autor: Nnedi Okorafor
- Titel: Wer fürchtet den Tod
- Originaltitel: Who fears Death
- Übersetzer: Claudia Kern
- Verlag: Cross Cult
- Erschienen: 04/2017
- Einband: Broschiert
- Seiten: 480
- ISBN: 978-3-95981-186-6
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Eine tolle Rezension. Ich fand den Roman auch absolut klasse. Aktuell lese ich Binti 2 und Binti 3 von Okorafor, die es endlich in Deutsch als ebooks gibt. Eigentlich hätte ich sie auch auf Englisch gelesen, aber ich hoffe, dass durch meinen Lesebeitrag die Verlage auch weiterhin motiviert werden, derlei Romane und AutorInnen nach Deutschland zu bringen. Danke für diese tolle Rezension 🙂
Hallo Powerschnute, danke für das Lob. Was weitere Veröffentlichungen von Okorafor angeht, so scheint der Cross Cult-Verlag Nägel mit Köpfen zu machen, was mich ehrlich gesagt auch sehr freut. Denn die Geschichten der Autorin sind genial!