Als die Nachricht von Fidel Castros Tod am 25. November 2016 die Runde machte, waren nicht nur auf Castros Kuba die Reaktionen vielfältig. Differenzierter als bei vielen anderen Akteuren der Zeitgeschichte. Nach Bekanntwerden von Castros Todes erklärte man in Kuba die nächsten fünf Tage zur Trauerzeit. Andernorts feierten Exil-Kubaner in den Straßen. Ähnlich gegensätzlich erscheint die Bewertung der Person in den Geschichtsbüchern, der politischen Gegenwart oder aber durch die Menschen vor Ort. Die einen verehren ihn als Helden, brennen auch heute noch für die politische Idee. Andere sehen einen Kriminellen, einen Verbrecher an den Menschenrechten. Einen gesetzlosen Tyrannen, der das Leben unzähliger Menschen auf dem Gewissen hat. Es wird sich wohl nie das „eine“ Urteil über ihn fällen lassen oder die eine Bedeutung seines Wirkens definiert werden können. Es werden immer subjektive Empfindungen, Berichte oder Einschätzungen sein, die das Gros seines Vermächtnisses ausdrücken. So wie in Castros Kuba, einem Bildband und Erlebnisbericht zugleich.
Pro und Contra
Das renommierte amerikanische Time Magazine betitelte seine Ausgabe vom 12. Dezember 2016 mit „After Castro“ und widmete Kubas Revolutionär einen mehrere Seiten umfassenden Bericht. Das britische Nachrichtenmagazin The Week bezeichnet Castro in der Ausgabe vom 3. Dezember 2016 als eine der am besten zu erkennenden politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Bart, seiner Uniform und der obligatorischen Zigarre hob sich Castro optisch stets ab. Politisch – und das war die weitaus bedeutendere Eigenschaft – schaffte er Besonderes: Als Vermittler zwischen Ost und West auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als Garant eines über Jahrzehnte existierenden kommunistischen Systems oder als Kultfigur der politisch-gesellschaftlichen Linken prägte er Menschen, Zeitgeschehen und Weltgeschichte. Während seiner Amtszeit kamen und gingen zehn US-Präsidenten. Viele feiern ihn als Helden, doch wo viel Licht ist, gibt es bekanntlich auch Schatten. Wie viele Menschen, wie viele politische Gegner, Feinde und andere in den Jahren seiner Herrschaft das Leben verloren, weiß niemand. Viele kritisieren seine Revolution, seine Herrschaft und seine Entscheidungen. Sowohl die einen als auch die anderen haben ihre Gründe und Beweise.
Geschichtsbücher vs. Zeitzeugenbericht
Für viele Generationen ist die Kuba-Krise und all das Drumherum „nur“ aus dem Geschichtsunterricht präsent. Dennoch kommt jemand, der mit einigermaßen offenen Augen durch die Welt geht und sich für Geschichte, Weltpolitik, Regierungssysteme und politische Akteure interessiert, nicht um Castro und Kuba herum. Nicht zuletzt Obamas außenpolitische Aktionen im Herbst seiner Präsidentschaft zeigten, wie wichtig das Kuba-Thema auch in der heutigen Zeit noch ist und wie sehr es die Menschen beschäftigt. Die Auswirkungen der neuerlichen Regelungen sind immens für Land und Menschen, die auf eine bewegte Ära zurückblicken. Erstmals seit langer Zeit nähern sich Kuba und Amerika an. Der Taschen Verlag widmet sich mit seiner Publikation Castros Kuba dem Thema auf spannende Art und Weise.
Castros Kuba: ein beeindruckender Bildband – inhaltlich wie äußerlich
Der XL-Bildband kommt im Hardcover-Format 25,5 x 34 Zentimeter daher und hat satte 368 Seiten Umfang. Eine gute Verarbeitung zeichnet das Buch aus, das überaus wertig wirkt und einen tollen Eindruck hinterlässt. Ein schweres Stück Buch und ein bedeutendes Stück Zeitgeschichte. Autor ist der Fotojournalist Lee Lockwood. Der US-Amerikaner verbrachte zwischen 1958 und den folgenden zehn Jahren viel Zeit auf Kuba, lernte Castro persönlich kennen und erlebte die Geschehnisse dieser Ära hautnah. Dieser Band dreht sich um seine Berichte aus den Jahren 1958 bis 1969.
„Am besten lernt man einen Menschen kennen, indem man sich anhört, was er zu sagen hat.“ – Lee Lockwood
Lockwood hatte viele Möglichkeiten, Fidel Castro zuzuhören. Beide verband gegenseitige Zuneigung und Achtung. Weil sich der Fotojournalist – anders als andere – frei bewegen durfte, entstand dieser Band, der viele Fotografien enthält, die von der damaligen Zeit zeugen und mehr ausdrücken als manche Worte beschreiben können. Herzstück des Bandes ist ein siebentätiges Marathon-Interview, in dem Lockwood und Castro über die bewegenden Dinge ihrer Zeit sprechen. Der Text vermag es, das persönliche Bild, welches ein jeder über Castro hat, zu verändern. Zudem erzählt das Gespräch viel über die politische und gesellschaftliche Lage in den USA und auf Kuba zur damaligen Zeit. Neben diesem bemerkenswerten Dokument zeigt Castros Kuba interessante Bilder, die Fidel mal locker mit seinem Hund zeigen, aber auch von enormen Kundgebungen zeugen, bei denen der Redner seine Stärken auszuspielen weiß und die Massen in seinen Bann zieht. Umrahmt werden Bilder und Text von einordnenden Worten des Lateinamerika-Experten Saul Landau. Insgesamt ist Castros Kuba ein spannendes und bemerkenswertes Dokument, das nicht nur die Persönlichkeit Fidel Castros, sondern auch den Zeitgeist der Ära zwischen 1959 und 1969 auf beeindruckende Weise vermittelt.
Cover © Taschen
- Autor: Lee Lockwood, Saul Landau
- Herausgeber: Nina Wiener
- Titel: Castros Kuba
- Verlag: Taschen
- Erschienen: 12/2017
- Einband: Hardcover
- Seiten: 368
- ISBN: 978-3-8365-3240-2
- Sonstige Informationen:
Produktseite bei Taschen inklusive einiger Bilder und Leseprobe
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 15/15 kubanische Zigarren